«Null Risiko wird es nie geben»
Der Unfall auf der Ölförder-Plattform «Deepwater Horizon» im Golf von Mexiko hat der Menschheit drastisch vor Augen geführt, welche Risiken mit der Erdölförderung im Meer verbunden sind. Laut Michael Faber, Leiter der Professur für Risiko und Sicherheit, ist ein solches Unglück auch mit dem fortschrittlichsten Risikomanagement nicht auszuschliessen.
Herr Faber,
Sie waren selber schon als Berater für das Risikomanagement auf Ölförder-Plattformen
im Golf von Mexiko tätig? Wurde das Risiko im Fall von «Deepwater
Horizon» unterschätzt?
Der Fakt, dass bei «Deepwater Horizon» etwas schief lief, bedeutet
nicht, dass die Risiken mangelhaft beurteilt wurden. Die Öl- und
Gasförderindustrie hat eine enorme Erfahrung im Umgang mit Risiken und eine der
grössten Expertisen in diesem Gebiet überhaupt. Risikomanagement versucht die
wichtigsten möglichen Szenarios zu erfassen und diese zu kontrollieren. Je mehr
wir die Grenzen des Machbaren ausloten, wie zum Beispiel bei der Ölförderung
tief im Meer, desto weniger Erfahrungswerte haben wir. Risikomanagement soll helfen,
damit verbundene Risiken zu kontrollieren. Ein Nullrisiko wird es aber trotzdem
nie geben. Selbst sehr fundierte Entscheidungen können aufgrund von
Unsicherheiten zu schlechten Ergebnissen führen.
Man vermutet dass ein «Blow-out»,
also ein unkontrollierter Austritt von Erdöl in rund 1500 Meter Tiefe unter
Wasser, zur Katastrophe geführt hat. Inwiefern ist ein solches Szenario Bestandteil des Risikomanagements?
Während der Planung und dem Betrieb von Ölförder-Plattformen sind
Blow-outs eine der grössten Sorgen. Aber es ist sowohl theoretisch wie
praktisch unmöglich, alle möglichen Zwischenfälle, die zu Blow-outs führen
könnten, zu berücksichtigen. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die
Erdölförderung im Meer starken Unsicherheiten durch Naturereignisse, aber auch
durch Entscheidungen des Menschen ausgesetzt ist. Solche Projekte sind mit
Risiken verbunden; schliesslich ist es nicht das erste Mal, dass es bei der
Ölförderung zu einem Blow-out kommt.
Sicherheitssysteme,
die ein Blow-out verhindern und das Bohrloch automatisch schliessen sollten, sogenannte Blow-out-Preventer,
funktionierten im Fall von «Deepwater Horizon» nicht. Wie hoch ist dieses
Risiko?
Wir wissen im Moment noch nicht genau, was bei «Deepwater Horizon» wirklich
passierte; aber die Erfahrung zeigt, dass solche Sicherheitssysteme versagen
können, weil getroffene Annahmen während der Planung bei einem Zwischenfall nicht
zutreffen.
Inwiefern hätte das Risiko durch
zusätzliche Sicherheitssysteme für eine Aktivierung des Blow-out-Preventers
reduziert werden können?
Damit können Risiken nicht zwingend geschmälert
werden. Besonders, wenn solche Systeme in starker Abhängigkeit zu den bereits
bestehenden Sicherheitsbarrieren stehen.
Werden
ökologische Risiken im Gegensatz zu ökonomischen Risiken bei solchen
Plattformen genügend stark gewichtet?
Das würde ich behaupten, ja. Die grosse öffentliche
Wahrnehmung von vergangenen Umweltschäden hat der Erdölindustrie enorme
Verluste zugeführt. Insofern ist die Industrie, abgesehen von einem erstarkten
Umweltbewusstsein, stark daran interessiert, das Risiko von Umweltschäden und Reputationsschäden
so gering wie möglich zu halten.
Was bedeutet die jetzige Katastrophe für alle
anderen Bohrplattformen, die im Meer Erdöl fördern?
Für
die grosse Mehrheit der existierenden Öl- und Gasförderplattformen wird das
aktuelle Ereignis keine grossen Auswirkungen haben. Natürlich werden aber
zukünftige Aktivitäten von den Erkenntnissen darüber profitieren, wie es zum
Unfall auf der «Deepwater
Horizon» gekommen ist. Das Unglück
hat aber sicher einen öffentlichen Vertrauensverlust in die Tiefseebohrung zur
Folge. Darum
sollte der Dialog zwischen Industrie und Öffentlichkeit darüber, wie mit solchen
Risiken umgegangen wird und weshalb ein solches Ereignis trotz allen
Anstrengungen geschehen konnte, unbedingt gefördert werden.
Michael Havbro Faber ist Professor am Institut für Baustatik und Konstruktion an der ETH Zürich, wo er Lehrveranstaltungen im Bereich von Risiko und Sicherheit betreut. In seiner Forschung spielen Entscheidungstheoretische Ansätze nach Bayes zur Risiko- und Zuverlässigkeitsanalyse eine zentrale Rolle. Zwischen 1993 und 1998 war er im Ausschuss der European Safety and Reliability Association (ESRA) tätig, wo er zurzeit in der Arbeitsgruppe zur Offshore-Sicherheit aktiv ist. Er ist Mitglied im ISO Committee on Assessment of Existing Structures, dem ASCE Committee on Structural Safety und der internationalen Vereinigung CERRA (Civil Engineering Reliability and Risk Analysis).
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