Veröffentlicht: 07.05.10
Globetrotter

Saudi Arabien - ein touristischer Rohdiamant

In Saudi-Arabien gibt es zwar Pilger, aber keine Touristen. Kulturstätten sind verwaist und kaum beachtet. Dabei bietet das Land eine vielseitige Schönheit. Das stellt zumindest die Geophysikerin Sabrina Metzger während ihres Aufenthalts in Saudi-Arabien fest.

Sabrina Metzger
Bald nachdem man Jeddah verlässt, sind die Strassenschilder nur noch in Arabisch angeschrieben. (Bild: Sabrina Metzger / ETH Zürich)
Bald nachdem man Jeddah verlässt, sind die Strassenschilder nur noch in Arabisch angeschrieben. (Bild: Sabrina Metzger / ETH Zürich) (Grossbild)

Wie in einem schlechten Gangsterfilm verfolgte uns der grosse Wagen, als wir auf unserem Ausflug zu den Lavafeldern im arabischen Hinterland gemütlich durch die spektakuläre Landschaft rollten, die jeden Nationalpark im Südwesten der USA in den Schatten stellen würde. Das Auto lag zwar unaufdringlich weit zurück, doch unsere zahlreichen Foto-Stopps machten eine Konfrontation unvermeidlich. Es stellte sich heraus, dass der kaum englisch sprechende Fahrer zur saudischen «Touristenpolizei» gehört, welche die Aufgabe hat, Touristen wie uns auf Schritt und Tritt zu begleiten. Ob zu unserem Schutze oder dem der Einheimischen, ist mir bis jetzt nicht klar.

Viel Pilger, wenig Touristen

Obwohl Saudi Arabien jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen ausländische Pilgerreisende beherbergt, ist Tourismus im Königreich ein kaum bekannter Begriff. Das sowieso schon delikate Verhältnis gegenüber Reisenden verschärfte sich noch mehr, als 2007 in der Nähe von Medain Saleh, UNESCO Weltkulturerbe und bedeutendste Sehenswürdigkeit des Landes, drei französische Touristen von Heckenschützen getötet wurden. Seit damals lässt man ausländische Reisende ungern alleine herumstreunen. Pilger werden auf ihrer Reise nach Mekka und Medinah unter strenger Aufsicht bis zurück zum Flughafen begleitet. Nicht wenige Leute aus armen Ländern beginnen jedoch die Pilgerfahrt ohne Rückreiseabsichten, mit der Hoffnung auf ein neues, besseres Leben im Heiligen Land.

Der Golfstaat unterhält keine touristische Infrastruktur. Anscheinend ist man hier weder an ausländischen Touristen interessiert, noch sind die Saudis selber neugierig auf ihre Heimat. Es gibt kaum Hotels, und nach detaillierten Landkarten sucht man vergebens. Strassenschilder sind meist nur auf Arabisch angeschrieben und die wenigen Reiseagenturen verdienen ihr Geld mit Expats, also westlichen Gastarbeitern wie mir, die ab und an einen Wochenend-Ausflug zur Rosenstadt Taifa, an den urchigen Viehmarkt im Nachbarstädtchen oder eben nach Medain Saleh buchen.

Weder Nachtleben noch Flaniermeile

Was ist der Grund für dieses uns unverständliche Desinteresse am eigenen Land? Schon während der kurzen Zeit meines Aufenthaltes wurde mir klar, dass Saudis kein öffentliches Leben führen. In Jeddah gibt es weder frequentierte Plätze mit Nachtleben, Flaniermeilen oder ständig besetzten Tischen im Restaurant. Die unerträgliche Hitze und die strikte Geschlechtertrennung tragen sicher auch zu dieser Stubenhocker-Mentalität bei. Sport hat keinen Stellenwert, Mobilität gibt es nur per Auto, wenn möglich direkt von einer Garage in die nächste. Wer es sich leisten kann, fliegt für ein Shopping- oder Party-Wochenende ins Ausland, alle anderen besuchen eventuell nur rasch ihre Verwandten in der nächsten Stadt und übernachten in deren Haus.

Dabei hat dieses Land, das mehr als dreimal so gross ist wie Frankreich, so viel zu bieten. Da gibt es die Wüste Rub'al Khali im Süden des Landes. Sie ist eines der menschenfeindlichsten Gebiete der Welt, doch die Dünenformationen sind von einzigartiger Schönheit. Gegen Südwesten ragt die Asir-Hochebene 2500 Meter hoch gegen den Himmel, nur um dann in Küstennähe über kürzeste Distanz wieder auf Normalnull abzufallen. Entlang der Westküste erstreckt sich ein uraltes Bergmassiv bis nach Jordanien, durchsetzt mit Vulkanen und jungen Lavafeldern. Und gleich daneben lockt das Rote Meer mit seinen endlosen Korallenriffen.

Auf meinen Erkundungsreisen habe ich erlebt, wie stark das arabische Kulturerbe vernachlässigt wird und wie das Land noch im touristischen Holozän steckt. Die Schönheit von Medain Saleh ist mit der jordanischen Nabatäerstadt Petra zu vergleichen. Während Petra jedoch von Hunderttausenden von Touristen jährlich überrollt wird, machen sich nach Medain Saleh höchstens ein paar tausend auf den Weg. Unser Reiseleiter übergab einer Kollegin eine antike Tonscherbe, die er am Boden aufgelesen hatte, obwohl Warnschilder auf das fragile Gleichgewicht dieses Ortes hinweisen und die Besucher um ein entsprechendes Verhalten bitten (nichts wegwerfen, nichts mitnehmen usw.)! Links und rechts der Strassen verfallen die Lehmhäuser der dicht gebauten, mit engen Gassen versehenen, Quartiere zu Staub, seit alle Bewohner auf einen Schlag in modernere Häuser umgezogen sind. Erst zögernd tauchen Vorschläge auf, wie man die einzigartige Altstadt Jeddahs mit ihren aus Holz geschnitzten, balkonartigen Fenstern vor dem Verfall, der Feuchtigkeit und den Autoabgasen schützen kann. Als Wanderkarten benutzten wir ausgedruckte Satellitenbilder von Google Earth. Auf Wanderungen in den scheinbar menschenleeren Gegenden entledigte ich mich jeweils meiner Abbaya, aber immer mit dem Bewusstsein, dass ich auch im hintersten Tal auf einen ultrakonservativen Muslim stossen könnte, der sich über nackte Waden empört.

Eine Visum-Odyssee

Zur Zeit gibt es nur eine Handvoll Agenten, die Touristen-Visa ausstellen dürfen. Wenn ich die strengen Auflagen durchlese, schätze ich mich erneut glücklich über mein «geschäftliches» Multi-Entry-Visa, dank dem ich mich frei im Lande bewegen kann: Normale Touristen dürfen nur in geführten Touren mit mindestens 4 Personen reisen. Frauen unter 30 Jahren müssen von einem männlichen Verwandten begleitet werden. Der Staat will über den jeweiligen Aufenthaltsort informiert sein. Für Autofahrer, die das Land über den Landweg durchqueren, werden Visa für eine entsprechende Anzahl Tage erstellt, welche knapp für die zügige Durchfahrt reicht. Die vielen Pilger gelangen leichter zu einem Visum, sind aber ebenso an festgesetzte Routen gebunden.

Zur Zeit verdient sich das Königreich dank seinen Ölfeldern noch eine goldene Nase, doch bald müssen andere Geldquellen erschlossen werden. Der Tourismus könnte eine sein, und ich bin mir sicher, die Leute würden in Strömen kommen, zumal das faszinierende Land bezüglich Kriminalität als äusserst sicher gilt. Damit Saudi-Arabien sich für den Tourismus öffnen kann, wäre jedoch eine grosse Entspannung der Verhältnisse nötig, was sicherlich nicht von heute auf morgen passiert. Massen kurzbehoster Touristen wären momentan noch undenkbar.

Zur Autorin

Sabrina Metzger hat an der ETH Zürich Interdisziplinäre Naturwissenschaften studiert. Nachdem sie anschliessend beim Schweizerischen Erdbebendienst für ein Jahr bei einem Projekt mitarbeitete, bei dem Mikrobeben in der Nähe des im Bau stehenden Gotthard-Basis-Tunnel untersucht wurden, wechselte sie zur Spectraseis Technologie AG, ein Spin-off der Uni Zürich. Im Frühjahr 2008 kehrte sie an die ETH zurück, um am Institut für Geophysik zu promovieren.
Zur Zeit weilt Metzger als Gastwissenschaftlerin in Saudi Arabien, an der neu gegründeten King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), da ihr Betreuer, der isländische Geophysiker Sigurjón Jónsson, von der ETH Zürich an die KAUST wechselte.