Veröffentlicht: 25.01.10
80. Geburtstag Alt-ETH-Präsident Hans Bühlmann

ETH als wesentlicher Teil des Lebens

Er hat einen Grossteil seines Lebens und seines Schaffens der ETH gewidmet: Alt-ETH-Präsident Hans Bühlmann wird dieser Tage 80 Jahre alt. Der noch immer aktive Mathematiker über seinen Beitrag an der Schaffung der zweiten Säule, sein Fach und die Zukunftsaussichten von heutigen Mathe-Studierende.

Interview: Peter Rüegg
Alt ETH-Präsident Hans Bühlmann wird 80. (Bild: D-MATH, ETH Zürich)
Alt ETH-Präsident Hans Bühlmann wird 80. (Bild: D-MATH, ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Bühlmann, Sie werden demnächst 80, sind aber noch regelmässig an der ETH anzutreffen. Woran forschen Sie?
Ich arbeite nach wie vor an Themen der Versicherungsmathematik. Das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht. Ich mache natürlich nicht mehr so viel wie früher, publiziere aber noch Artikel, vor allem zusammen mit jüngeren Kollegen.

Welche Fragen sind aktuell?
Aktuell sind Fragen nach der Solvenz von Versicherungsgesellschaften, so zum Beispiel welche Regeln gelten sollen, damit Versicherungen ihren Verpflichtungen nachkommen können. Dafür braucht es viel mathematischen Input. Das Versicherungsaufsichtsgesetz wurde vor sieben Jahren neu gemacht. Ich war damals Mitglied einer begleitenden Task Force. Aufgrund dieses neuen Gesetzes gab es für die Versicherungen verbesserte Vorschriften bezüglich Kapitalerfordernis. Damit haben ja aktuell auch Banken Mühe. Sie haben oft zu wenig Kapital, um sich selbst zu erhalten, wenn etwas passiert. Solche Krisen sind eine Chance für uns Wissenschaftler. Wir haben dann die Möglichkeit, intelligentere Gesetze mitzugestalten.

Sie gelten als geistiger Vater des Pensionskassengesetzes, des BVG, in der Schweiz. Wie kamen Sie dazu?
Von 1978 bis 1992 war ich Mitglied der schweizerischen AHV-Kommission. So kam ich in den Bereich Sozialversicherungen hinein. Ich präsidierte eine Unterkommission, deren Aufgabe es war, jedes Jahr den Index für die Anpassung der AHV-Rente zu berechnen. Beim BVG wurde ich mit zwei anderen Mathematikern als Experte hinzugezogen, um bei der Beratung des Gesetzes mitzuwirken.

Wie waren Ihre Erfahrungen?
Die Übung war interessant. Man hörte auf uns. Meine politische Erfahrung daraus war jedoch nicht so positiv. Wie alle anderen, also auch die Politiker, stellte ich mir ein Gesetz mit einer einfachen Struktur vor. Am Ende des Gesetzgebungsprozesses war das Resultat ein unglaublich kompliziertes Gesetz.

Wieso?
Weil jeder noch etwas einbauen und jede Eventualität geregelt haben wollte.

Hat sich das BVG in Ihren Augen trotz allem bewährt?
Alle betrachten es heute als zu kompliziert. Wenn man sieht, welche Kämpfe man nur schon mit dem Umwandlungssatz beim BVG hat, dann sieht man, dass es nicht gut läuft. Experten können ihre Meinung kaum mehr einbringen, das Ganze ist sehr politisch geworden. Das war früher anders. Die Experten hatten einen guten Stand und waren von politischer Seite akzeptiert. Heute steht Politik im Vordergrund. Das verhindert das Finden von vernünftigen, teilweise mathematisch abgestützten Lösungen.

Was bräuchte das BVG?
Eine mathematische Vereinfachung. Ob so was politisch überhaupt noch machbar ist, ist jedoch fraglich.

Hat Sie an der Aufgabe, das BVG zu machen, nur der mathematische Teil interessiert?
Nein, schon auch der staatsbürgerliche Teil. Ich war ein junger Professor, als die 68er-Unruhen losgingen. Wir Professoren lernten aus dieser Zeit viel. Ich dachte vor den Unruhen, dass ich als ETH-Professor nur dazu da war, Mathematik zu machen. Durch die politischen Diskussionen jener Zeit lernte ich, dass wir auch eine öffentliche Aufgabe haben.

Hat man Ihre Dienste für das BVG aktiv abgerufen?
Die ETH hatte schon immer Dozenten im Bereich Versicherungsmathematik, die aus der Privat- oder den Sozialversicherungen stammten. Als ich begann, dozierte auch Professor Ernst Kaiser, der als hoher Beamter des Bundesamtes für Sozialversicherung Berater des Bundesrats war. Die ETH hatte einen direkten Draht ins Bundeshaus. Kaiser brachte oft die ETH ins Spiel, wenn es darum ging, Abklärungen zu halten.

Die ETH hatte demnach schon immer einen guten Ruf in der Versicherungsmathematik?
Ja, das darf man so sagen. Mein Vorgänger war Professor Walter Saxer. Er hatte viel gemacht für die Sozialversicherungen in der Schweiz und war international bekannt.

Das sind und waren Sie auch. Sie waren an vielen Top-Unis Gastprofessor…
… und ich habe fünf Ehrendoktorate, wobei die viel einfacher zu erringen waren als der richtige Doktortitel (lacht)!

Was war das Thema Ihrer Dissertation?
Ich war einer der ersten, der an der ETH auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie doktorierte. Mein damaliger Professor, Walter Saxer, sagte mir, dass dies an der ETH keiner verstehe, also solle ich im Ausland meine Diss schreiben. Eine gute Hochschule weiss auch, was sie nicht weiss (lacht). Saxer schickte mich in die USA an die University of California in Berkeley, wo ich meine Dissertation verfasste. Den Titel erhielt ich dann trotzdem von der ETH.

Was machten Sie nach Ihrer Rückkehr nach Zürich?
Als ich wieder zurückkam, arbeitete ich eine Weile in der Versicherungsindustrie bei der Schweizer Rück, heute SwissRe, ehe ich definitiv an die ETH zurückkehrte ...

… wo Sie Professor wurden …
... ich kam von der ETH nie los …

… und später auch ETH-Präsident.
Offensichtlich hat es mir an der ETH gut gefallen! Im Ernst: Die ETH ist ein wesentlicher Teil meines Lebens.

Übernahmen Sie das Amt gerne?
Ich musste mich ein bisschen durchringen, hatte aber das Gefühl, dass ich das machen wollte. Nachträglich war ich froh, dass ich es gemacht hatte, denn es ist ein interessantes Amt.

Welchen Herausforderungen mussten Sie sich als Präsident stellen?
Der Hauptschritt war, dass während meiner Amtszeit die Departemente eingeführt wurden. Vorher gab es Abteilungen, organisiert nach dem Unterricht. Die Schulleitung wollte aber neue Gefässe, die sich an der Forschung orientierten. Eine Zeit lang waren dann Abteilungen und Departemente parallel vorhanden. Wir waren der Meinung, dass man schauen müsse, welche Struktur sich durchsetzt. In meine Zeit als Präsident fällt zudem die Gründung des Centro Stefano Franscini auf dem Monte Verita und des Rechenzentrums in Manno. Aus diesen Initiativen und dem, was die Tessiner selbst aufbauten, entstand die heutige Universität der italienischen Schweiz.

Hatten Sie überhaupt Zeit für Hobbies und Freizeit?
Mein Hobby war mein Beruf. Ich machte aber immer relativ viel Sport, wie Bergsteigen. Ich sang in einem Chor, auch während meiner Präsidialzeit. Das war nützlich für mein seelisches Gleichgewicht. Sobald ich sang, verflog mein Ärger, wenn solcher vorhanden war.

Sie haben drei Kinder. Haben diese Ihre mathematischen Fähigkeiten geerbt?
Eine Tochter ist Primarlehrerin, ein Sohn Architekt. Der jüngste Sohn ist ebenfalls Mathematiker und heute Professor am Seminar für Statistik an der ETH. Er beschäftigt sich jedoch mit einem ganz anderen Bereich als ich. Er arbeitet mit Biologen in der Genomik.

Zu Ihrem Geburtstag gibt es am 26.1. ein Fest-Symposium im Ausbildungszentrum der SwissRe in Rüschlikon. Was erwarten Sie?
Ich freue mich darauf, viele Leute zu sehen, die ich längere Zeit nicht gesehen habe. Ein Vortrag wird gehalten von einem meiner Doktoranden, René Schnieper. Er ist heute Mitglied der Geschäftsleitung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma und beschäftigt sich mit der Versicherungsseite. Da bin ich gespannt, was er erzählt. Natürlich interessieren mich auch die anderen Vorträge.

Was muss ein Maturand können, wenn er Mathematik studieren will?
Ich glaube, er muss vor allem Freude am logischen Denken und am Konstruieren von Gedankengebäuden haben. Mathematik ist eine kreative Arbeit. Es braucht gar nicht so viele spezifische Fähigkeiten. Klar muss man später auch mit dem Computer umgehen können, das aber ist nicht fachspezifisch.

Welche Zukunftsaussichten haben junge Mathematiker?
Es gibt sehr viele Zukunftschancen, wenn man bereit ist, Mathematik breit anzuwenden. Leute finden in der Regel ohne Probleme eine Stelle, wenn sie bereit sind, in der angewandten Mathematik zu arbeiten, und zwar in Fachgebieten, die vom Maschinenbau bis hin zum Bankenwesen reichen. An der ETH haben wir viele Studierende der Mathematik, weil bei uns der angewandte Teil gut ausgebaut ist.

Hans Bühlmann, geboren am 30. Januar 1930, war ab 1966 ordentlicher Professor für Mathematik an der ETH Zürich. Von 1973 bis 1977 war er Präsident der Forschungskommission der ETH. 1981 bis 1985 stand er dem Mathematikdepartement vor, von 1987 bis 1990 war er Präsident der ETH. Er emeritierte 1997.