Veröffentlicht: 16.11.09
Wissenschaftler und Vaterschaft

Spagat zwischen Familie und Karriere

Am vergangenen Dienstag trafen sich rund hundert junge, alte und potentielle Väter an der ETH Zürich zur Veranstaltung «Wissenschaftler und Vater – wie bringt man(n) das unter einen Hut?». In einem Referat und einer Podiumsdiskussion gingen ETH-Wissenschaftler der Frage nach, wie sich die Vaterrolle mit einer akademischen Karriere verbinden lässt.

Florian Wehrli
Detlef Günther, Richard Ernst, Rolf Probala, Peter Döge und Sebastian Jessberger (v.l.n.r.) diskutierten am Dienstag über die Frage, ob eine wissenschaftliche Karriere noch Platz für eine Familie lässt. (Bild: Florian Wehrli / ETH Zürich)
Detlef Günther, Richard Ernst, Rolf Probala, Peter Döge und Sebastian Jessberger (v.l.n.r.) diskutierten am Dienstag über die Frage, ob eine wissenschaftliche Karriere noch Platz für eine Familie lässt. (Bild: Florian Wehrli / ETH Zürich)

«Stellen Kinder eine Belastung dar, wie zum Beispiel für Jean-Jacques Rousseau, der seine drei Kinder ins Findelheim bringen liess?» Diese Frage stellte Roman Boutellier, Vizepräsident Personal und Ressourcen der ETH Zürich, am vergangenen Dienstag gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion zum Thema «Wissenschaftler und Vater». Initiiert wurde die Veranstaltung von Equal der Stelle für Chancengleichheit der ETH, um das Thema «Vereinbarkeit» einmal nur aus der Väter-Perspektive zu diskutieren.

Vom Versorger zum Erzieher

Antworten auf diese Frage gab der Politikwissenschaftler Peter Döge vom Institut für anwendungsorientierte Innovations- und Zukunftsforschung in Berlin in seinem Referat «Lebendiges als Störfaktor?» In einer Studie über den Zeitraum von 1991 bis 2001 veranschaulicht Döge den Wandel der Vaterrolle in der Gesellschaft und im wissenschaftlichen Umfeld. Die «neuen Väter» sollen nicht nur Versorger, sondern auch Erzieher sein – aktive Väter, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Döges Studie zeigt, dass Frauen rund eine Stunde pro Woche weniger für die Kinderbetreuung aufwenden als anfangs der 90er Jahre. Diese Lücke füllen die Väter aus. Damit widmen sich Väter heute doppelt so lange ihren Kindern, wie sich damals ihre eigenen Väter ihnen gewidmet haben.

Dem gegenüber steht nach wie vor eine Anwesenheitskultur in der Arbeitswelt. Leistung wird oft an der physischen Präsenz am Arbeitsplatz gemessen. In der Wissenschaft wird laut Döge das Menschliche weitgehend ausgeklammert. Die Vaterrolle sei jedoch eine Aufgabe, die mit purer Ratio nicht bewältigt werden könne. «Leben ist Stoff, nicht mit Technik zu bewältigen», zitiert Döge dazu Max Frisch, der kurz vor seiner Vaterschaft an der ETH Zürich Architektur studierte. Man könne die Vaterschaft durchaus als Traineeprogramm für «soft-skills» verstehen, sagt Döge. «Väter, die nach einer Babypause wieder in den akademischen Betrieb zurückkehren, sind im Allgemeinen loyaler, motivierter und leistungsbereiter.»

Gratwanderung zwischen Familie und Karriere

Die ETH-Professoren Richard Ernst, Detlef Günther und Sebastian Jessberger stellten sich in der anschliessenden Podiumsdiskussion den Fragen von Moderator Rolf Probala und zeigten drei verschiedene Modelle auf, Vaterschaft und wissenschaftliche Karriere zu vereinbaren. «Die Rollenverteilung in unserer Familie war sehr traditionell», sagt der Chemiker und Nobelpreisträger Richard Ernst. «Meine Frau zog die Kinder gross, so dass ich mich ganz meiner Forschung widmen konnte.» Obwohl Ernst gerne mehr Zeit mit seinen Kindern verbracht hätte, hat sich das Modell nach seiner Ansicht bewährt.

Sind beide Elternteile berufstätig, wird die Rollen- und Zeitaufteilung für die Kinderbetreuung komplizierter. Detlef Günther, Professor für anorganische Chemie an der ETH Zürich, hat zusammen mit seiner Ehefrau drei Kinder. «Ich sehe meine Kinder meistens nur zum Frühstück und zum Abendessen», gesteht Günther. Durch feste Rituale will er die Zeit mit seinen Kindern aber so intensiv wie möglich verbringen. «Am Samstagmorgen mache ich Frühstück, nehme Abstand von meiner Arbeit und widme meine volle Aufmerksamkeit der Familie.» Wollen die Kinder wissen, woran der Vater arbeitet, muss Günther von der wissenschaftlichen Sprache Abstand nehmen. «Das Gespräch mit meinen Kindern hilft mir, meine Arbeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.»

Wie schwierig sich die Zeitplanung für die Betreuung von Kindern für zwei Akademiker gestaltet, zeigt das Beispiel von Sebastian Jessberger. Er ist Assistenzprofessor am Institut für Zellbiologie an der ETH Zürich, seine Frau ist Ärztin. «Wir müssen unseren Zeitplan Tag für Tag neu ausarbeiten», sagt Jessberger. «Unvorhergesehenes bringt diesen Plan ins Wanken.» Jessberger arbeitet oft auch nachts, damit er sich die Wochenenden frei halten kann. Sein Team habe zum Glück Verständnis dafür, dass er sich diese Zeit für die Familie nehmen will.

Prioritäten setzen

Angesichts solcher Herausforderungen stellt sich die Frage, wie eine Forschungseinrichtung wie die ETH Zürich den Bedürfnissen von Eltern entgegenkommt, die Familie und wissenschaftliche Karriere miteinander verbinden wollen. Die Stiftung «Kinderbetreuung im Hochschulraum Zürich» (kihz) biete Dienstleistungen wie Tagesstätten oder Ferienbetreuung an, um die Eltern zu entlasten, sagt Roman Boutellier. «Wer aber Spitzenforschung betreiben will, kommt an Überstunden nicht vorbei.» Es sei ja nicht die Hochschule, die die Akademiker zu den langen Arbeitszeiten zwinge. «Die Wissenschaftler arbeiten aus dem eigenen Forschungsantrieb länger», so Boutellier. «Wir versuchen, unserem Personal entgegenzukommen, letztlich muss aber jeder aufgrund seiner persönlichen Prioritäten entscheiden, ob seine Ziele in Forschung und Lehre mit einer Familie vereinbar sind.»

Aktueller Literaturhinweis

Julia Reuter, Günther Vedder, Brigitte Liebig (Hg.): Professor mit Kind – Erfahrungsberichte von Wissenschaftlern, Campus Verlag, 2009.