Veröffentlicht: 12.02.09
Labor für Ionenstrahlphysik

Die Hüter der Zeit

Was vor fast einem halben Jahrhundert mit einem Teilchenbeschleuniger in der Kernphysik an der ETH Zürich begann, ist heute ein weltweit führendes Labor für Ionenstrahlphysik. Der zum Beschleunigermassenspektrometer umfunktionierte Teilchenbeschleuniger wird heute zur Altersbestimmung von historisch bedeutenden Objekten genutzt.

Simone Ulmer
Hans-Arno Synal im Labor, in dem die Proben für den AMS aufbereitet werden.  (Bild: Simone Ulmer/ETH Zürich)
Hans-Arno Synal im Labor, in dem die Proben für den AMS aufbereitet werden. (Bild: Simone Ulmer/ETH Zürich) (Grossbild)

Vom 1963 an der ETH Zürich in Betrieb genommenen Tandem-Van-de-Graaf-Beschleuniger zum Beschleunigermassenspektrometer ist es eine lange Geschichte, die Hans-Arno Synal, Leiter des Labors für Ionenstrahlphysik der ETH Zürich, zu erzählen hat. Man sieht es den Apparaturen auch an, dass sie einen langen Weg hinter sich haben. Aber hinter dem nostalgisch anmutenden Beschleuniger mit seinem Kontrollraum verbergen sich modernste Instrumente und Vorrichtungen, mit denen Ionenstrahlanalysen von höchster Genauigkeit und Empfindlichkeit durchgeführt werden können. Mit den ausgeklügelten Filtersystemen, die an die Beschleuniger anschliessen, werden bestimmte Atome herausgefiltert und identifiziert. Die Filter sind in Reihe geschaltet und verlängern den Beschleuniger wie einen endlosen metallenen Arm. «Mit dieser Vorrichtung können wir sogar einzelne Atome nachweisen», sagt Synal, «die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist da nur ein unzureichender Vergleich.»

Messen von Isotopenkonzentrationen

Das als Accelerator Mass Spectrometry (AMS) bezeichnete Verfahren wird zur Bestimmung der Isotopenkonzentration langlebiger und durch die kosmische Strahlung erzeugter Radionuklide (instabile Atomkerne die radioaktiv zerfallen) eingesetzt. Bei der Radiokarbondatierung wird beispielsweise das Verhältnis des stabilen Kohlenstoffisotops Kohlenstoff-12 (12C) zum Radioisotop Kohlenstoff-14 (14C) gemessen. 14C bildet sich durch kosmische Strahlung, wird durch die Photosynthese von Pflanzen einverleibt und von einem Organismus durch Nahrung aufgenommen. Es macht im Vergleich zum 12C nur einen Bruchteil des Kohlenstoffs in Organismen aus. Durch die kontinuierliche Zuführung von 14C bleibt das Verhältnis während des biologischen Kreislaufs, im lebenden Organismus - trotz des Zerfalls von 3000 14C -Atomen in der Sekunde - zur Atmosphäre konstant. Erst wenn der Organismus abstirbt, beginnt die 14C-Uhr zu ticken. Kalibrierungskurven, mit denen die in Proben gemessenen Werte verglichen und überprüft werden können, reichen über mehr als 15‘000 Jahre zurück, erklärt Synal. Sie stammen aus Messungen von Baumringen fossiler Bäume.

Wenige Milligramm Ötzi

Auf diese Weise wurden an der ETH berühmte Objekte wie etwa das Turiner Grabtuch oder der Ötzi datiert. Sie sind die bis anhin berühmtesten Objekte, die am Labor für Ionenstrahlphysik datiert wurden. Zur Altersbestimmung werden wenige Milligramm des Objekts verbrannt und aus dem dabei entstandenen Kohlendioxyd eine Graphitprobe hergestellt, die im AMS analysiert wird. Das Verhältnis von 14C Atomen zu 12C-Atomen im Verhältnis zur Ausgangkonzentration von 14C in der Atmosphäre ergibt nach der Kalibrierung durch die Baumringkurven schliesslich die Altersinformation.

Bei traditionellen Methoden wird der radioaktive Zerfall gemessen. Mit steigender Halbwertszeit sind jedoch die Zerfälle selten und es braucht viel mehr Material um ein gutes Signal zu erhalten, erklärt Synal. Die AMS Methode ist drei bis vier Mal effizienter. Die natürlichen Isotopenverhältnisse haben dabei in dem zu untersuchenden Material eine Konzentration von zwischen 10-15 und 10-12 Atomen. Auf ein 14C-Atom kommen 1015 Atome von 12C. Der im Verhältnis derart geringe Anteil von 14C muss deshalb mit hoher Genauigkeit gemessen werden, was nur mit der AMS möglich ist.

Die Radiokarbondatierung ist die bekannteste Anwendung. Mit den Instrumenten des Labors können aber auch andere Radionuklide, wie etwa Beryllium-10 (10Be), Aluminium (26Al), Chlor (36Cl), Kalzium (41Ca), Iod (129I), Plutonium und Protaktinium gemessen werden. Diese Analysen werden etwa zur Datierung in der Klimaforschung oder in der Geologie genutzt. Beispielsweise kann mit 10Be der Zeitpunkt datiert werden, zum dem sich ein historischer Bergsturz ereignete. Die Radionuklide werden direkt im Gestein durch die Wechselwirkung mit der kosmischen Strahlung produziert. Dabei werden jedoch gerade mal 5 bis 10 10Be-Atome in einem Gramm Gestein pro Jahr erzeugt, erklärt Synal. Über die Anzahl der Radionuklide von Beryllium, die sich nach einem Bergsturz auf dem neu exponierten Gestein der Abbruchstelle zu bilden beginnen, kann somit das Alter des Ereignisses datiert werden.

Auch in den Life Sciences werden die nachweisbaren Radioisotope als «natürliche Spurenstoffe» genutzt. Daneben werden mit der sogenannten Ionenstrahlanalyse auch materialwissenschaftlich relevante Untersuchungen durchgeführt oder mit dem Ionenstrahl Materialoberflächen verändert. Mit ihr kann beispielsweise die Wirkung der kosmischen Strahlung auf Solarzellen von Satelliten imitiert werden.

AMS-Methodik geprägt

Der Auftrag des Labors ist die Forschung auf dem Gebiet der Ionenstrahlphysik. Systematische Untersuchungen der physikalischen Prozesse, die dem Verfahren zu Grunde liegen haben in den vergangenen Jahren immer wieder neue Erkenntnisse zu Tage gefördert, die weitreichende Verbesserungen der Messmethodik ermöglichten und neue leistungsfähigere Instrumente hervorgebracht haben. «Die Antworten auf die bei uns im Vordergrund stehende Fragestellung, warum die Dinge so funktionieren wie wir es beobachten, brachte unserem Labor eine Spitzenstellung ein», erklärt Synal, «und haben die Entwicklung der AMS Methodik weltweit geprägt.»

Das Team des Labors entwickelt selbst Instrumente für die Forschungsarbeit, neue Methoden bis hin zu deren Anwendungen und macht dieses Know-how seinen Benutzern zugänglich. So wurde in den vergangenen zwei Jahren ein hochempfindliches Massenspektrometer für die Pharmaindustrie entwickelt und hergestellt, mit dem 14C als Tracer bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe eingesetzt werden kann. Damit lässt sich insbesondere der Metabolismus eines neuen Wirkstoffs im menschlichen Organismus in der frühen Entwicklungsphase des Medikamentes nachvollziehen. Dadurch soll der Zeitraum vom entwickelten Medikament bis zu seinem Einsatz verkürzt werden.

Die Kunden des Labors sind nicht nur Wissenschaftler. Auch Auktionshäuser oder die Stadt Bern zählen dazu. Für Bern wird derzeit versucht einen langjährigen Streit unter Historikern zu klären. Hierfür ist das aus dem 13. Jahrhundert stammende Dokument, mit dem der Stauferkönig Friedrich II der Stadt Bern die Stadtrechte verliehen haben soll, mit der 14C-Methode zu datieren, um zu schauen, ob es sich wirklich um eine Originaldokument handelt.

Seit dem ersten Januar dieses Jahres ist das Labor für Ionenstrahlphysik, als Teil des Departements für Physik, mit seinen rund dreissig Mitarbeitenden «das» Labor für Altersdatierungen in der Schweiz. Die Finanzierung des Grundauftrags der Laboraktivitäten, die zuvor massgeblich durch das PSI bereitgestellt wurde, gingen damit an die ETH über. Etwa zwei Drittel der Laborkosten werden durch in Rechnung gestellte Analysekosten vom Labor selbst erwirtschaftet. Das Labor wird durch ein Kuratorium getragen, in dem seine Partner - Eawag, Empa und PSI sowie das Departement Erdwissenschaften - finanzielle Beiträge liefern. Dies sichert nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Qualität der Forschung, da für jede Analyse im Vorfeld durch einen Forschungsantrag Mittel bewilligt worden sind.

 
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