Veröffentlicht: 13.10.08
NFP 54 "Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung"

Erholungs- und Naturgebiete verschwinden

Die Schweiz wird zunehmend zersiedelt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschenden der ETH Zürich. Die Zersiedelung greift vom Mittelland bis in die Alpentäler hinein und macht auch vor dem Tessin und dem Wallis nicht halt.

Simone Ulmer
Häuschen-Schweiz: Der Siedlungsbrei wird immer dichter. (Bild: P. Rüegg)
Häuschen-Schweiz: Der Siedlungsbrei wird immer dichter. (Bild: P. Rüegg)

Die Zersiedelung ist seit Jahrzehnten ein Thema in der Schweiz. Durch sie gehen Erholungs- und Naturgebiete verloren, und die ausufernde Bebauungsweise bei geringer Bevölkerungsdichte führt zu hohen Erschliessungskosten. Die Auswirkungen sind ökologisch, gesellschaftlich, und wirtschaftlich zunehmend zu spüren und werden künftig noch weitaus relevanter werden, sagt Jochen Jaeger vom Institut für terrestrische Ökosysteme der ETH Zürich. Bis anhin gab es in der Schweiz aber kein klares, mit Fakten und Zahlen belegtes Bild der Entwicklung der Zersiedelung. Bisher wurde hierzu lediglich die Siedlungsfläche angegeben, aber es fehlten die Instrumente, mit denen das räumliche Muster der Siedlungsflächen und somit die Zersiedlung, zahlenmässig erfasst werden konnten.

Neue Messgrössen definiert

Im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms 54 „Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung“ unter der Leitung von Jochen Jaeger wurden deshalb neue Messgrössen definiert. Mit diesen konnten die Forscher nun die von 1935 bis 2002 erfolgte Zersiedlung der Schweiz erfassen. Als Messgrössen dienten den Wissenschaftlern die „Dispersion“ (Streuung der Siedlungsfläche in einem Raum), „urbane Durchdringung der Landschaft“ (Kombination der Siedlungsstreuung mit der Siedlungsfläche eines bestimmten Gebietes) sowie „Durchsiedlung pro Einwohner“ (Kombination der Siedlungsstreuung mit der Siedlungsfläche und der Bevölkerung).

Die Auswertung der Analysen zeigte, dass die urbane Durchdringung in dem untersuchten Zeitraum in allen Kantonen zwischen 46 und 190 Prozent gestiegen ist. Die höchsten Zuwachsraten weisen die Kantone Wallis, Nidwalden, Baselland, Solothurn, Tessin und Genf auf. Dabei fanden die Forscher heraus, dass dies nicht nur auf die Ausdehnung der Siedlungsflächen zurückzuführen ist, sondern auch auf deren zunehmende Streuung.

Kaum noch unbebaute Gebiete

Zudem zeigt die Studie, dass im Mittelland – und zu einem Grossteil auch im Jura und in den Voralpen - vollständig unbesiedelte Gebiete fast vollkommen verschwunden sind. Städte, die 1935 noch klar begrenzt waren, fingern heute entlang von Tälern oder Hautverkehrsachsen weit in die Umgebung hinaus.

Die grösste Zuwachsrate der Zersiedlung fand laut der Studie zwischen 1960 und 1980 statt und schwächte sich zwischen 1980 und 2002 wieder ab. Trotzdem sei damit zu rechnen, dass die Zersiedelung ohne Gegenmassnahmen weiter stark zunehmen wird. Da dies im Widerspruch zur Nachhaltigkeit stehe, schlägt das Forscherteam Massnahmen vor, mit denen sie diese Entwicklung eingedämmt werden kann. Etwa indem regionsspezifische Richtwerte zur Begrenzung der Zersiedelung festgelegt werden.

Dringender Handlungsbedarf

Jochen Jaeger sagt: „Unsere neun Szenarien für das Jahr 2050 zeigen, dass die heute dominierenden Trends der Siedlungsentwicklung uns vom Ziel der Nachhaltigkeit in der Landnutzung immer weiter weg führen.“ Deshalb bestünde dringender Handlungsbedarf, um diese Trends zu verlangsamen und wünschenswerte zu ermöglichen und stärker zu fördern. Klare gesetzliche Vorgaben zur Begrenzung der Zersiedelung als verlässliche Rahmenbedingung für alle Akteure seien daher notwendig, um Rechtssicherheit zu schaffen und die kontraproduktive Konkurrenz zwischen den Gemeinden um Arbeitsplätze und Steuerzahler zu beenden. Dadurch könne eine bessere Kooperationen zur Nachhaltigkeit ermöglicht werden. „Die Grössen der Bauzonen und die unzureichende Internalisierung der Erschliessungskosten und der externen Kosten des neu erzeugten Verkehrs setzen falsche Signale, denn sie machen das Bauen an zersiedelungssensitiven Orten überproportional attraktiv“, sagt Jaeger

Analyse bis 1885

Eine ähnlich ungünstige Entwicklung zeigt sich auch bei der Zerschneidung der Landschaft in der Schweiz, zu der das gleiche Forscherteam von Jochen Jaeger, Christian Schwick und René Bertiller im vergangenen Jahr einen Bericht vorgelegt hat. Dieser reicht sogar bis 1885 zurück. Kurzfassung: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/02/22/publ.html?publicationID=2990).

Literaturhinweis

Jaeger, J., Schwick, C., Bertiller, R., Kienast, F. (2008): Landschaftszersiedelung Schweiz – Quantitative Analyse 1935 bis 2002 und Folgerungen für die Raumplanung. Wissenschaftlicher Abschlussbericht. Schweizerischer Nationalfonds, Nationales Forschungsprogramm NFP 54 „Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung“. Zürich, 344 S. Online: http://www.diegeographen.ch/Links/works_de.htm