Veröffentlicht: 19.08.08
ETH-Führungsstruktur

„Die Qualität der Führung stärken“

Die Leitungsstrukturen der ETH Zürich erfahren ab 1. Oktober wichtige Veränderungen. Die Schulleitung will die Hochschule mit klareren Zuständigkeiten für die Zukunft wappnen: Fokussierung des Präsidenten auf die strategischen Felder Professuren, Politik und Fundraising; Bündelung und Stärkung der Sektoren Ressourcen, Personal und Finanzen – dies die Kernpunkte der Anpassung, die ETH-Präsident Ralph Eichler am 19. August den Vernehmlassungsteilnehmern vorgestellt hat.

Das Interview führte Norbert Staub
Ralph Eichler, Präsident der ETH, informiert über die revidierte Organisationsverordnung.
Ralph Eichler, Präsident der ETH, informiert über die revidierte Organisationsverordnung. (Grossbild)

Herr Eichler, die Schulleitung ist angesichts wachsender Herausforderungen während der letzten Monate ein grosses internes Reformwerk angegangen, das Führung und Organisation der ETH Zürich stärken soll. Nach breiter Vernehmlassung und entsprechender Überarbeitung liegt die revidierte Organisationsverordnung (OV) nun vor, am 1. Oktober tritt sie in Kraft. – Ist das Werk aus Ihrer Sicht gelungen?

Ralph Eichler: Ja, auf jeden Fall - und dies obwohl die Vernehmlassung gezeigt hat, dass vieles, aber nicht alles so umgesetzt werden kann, wie es sich die Schulleitung vorgestellt hat. Aber das gehört zu einem solchen Unternehmen. Was mich besonders freut ist, dass die Departemente und die Infrastrukturbereiche grosses Vertrauen in unsere Schulleitung gezeigt und konstruktiv mitgedacht und -gestaltet haben. Sie tragen die zentralen Gedanken der Revision mit. Nämlich, dass die ETH Zürich mit mehr Effizienz und Professionalität in ihren Leitungsstrukturen auf die zunehmende Komplexität ihres wissenschaftlichen und politischen Umfelds reagieren muss. Diese Flexibilität zeigt mir, dass Erfolg und Stärke der ETH auch im Bewusstsein liegen, dass wir eine Einheit sind. Das betrifft übrigens auch die Schulleitung. Wir sind ein Team, das eng kooperiert.

Ihr eigener Bereich, das Präsidium, sollte die Möglichkeit zur Fokussierung auf die strategischen Felder Professuren, Politik und Fundraising erhalten. Werden Sie nun mehr Zeit für diese Aufgaben haben?

Ja. Diese drei zum Teil ja neuen Gebiete werden mich nämlich voll beanspruchen. Nur soviel dazu: Die Entwicklung der ETH Zürich steht und fällt mit einem wachsenden Drittmittelzufluss in den kommenden Jahren.
Aber natürlich bleibt es dabei: Der Präsident ist in letzter Konsequenz für alles verantwortlich. Ein Ziel der OV-Revision war es, einen Teil meiner vielen Verpflichtungen auf die Schultern meiner Schulleitungskollegen zu verlagern. Die thematischen Zuständigkeiten, die Prozesse und die Schnittstellen und nicht zuletzt der Informationsfluss: Das alles ist nun klarer definiert; dies erhöht die Effizienz.

Sie haben die steigende Bedeutung der aktiven Mittelbeschaffung durch die ETH angesprochen. Ist das der Grund für die Aufwertung der Direktion Finanzen und Controlling zu einem Vizepräsidium?

Die Autonomie gibt uns die Möglichkeit, unsere beträchtlichen Mittel – wir sprechen von einem 1,3-Milliarden-Franken-Budget – nicht nur statisch zu verwalten, sondern zu bewirtschaften und ein effizientes Controlling aufzuziehen. Dies birgt natürlich auch Risiken. Der richtige Umgang mit unserem Geld erfordert Top-Leute. Da ist es für mich nur konsequent, dass dieser Bereich seinem Stellenwert gemäss von einem Vizepräsidenten geführt wird.

Gegenüber dieser Aufwertung wurden allerdings auch Bedenken laut. Ohne die Bedeutung hoher Finanzkompetenz für die ETH schmälern zu wollen, sollte die Schulleitung schlank gehalten werden und im Wesentlichen das akademische Kerngeschäft abbilden, hiess es da und dort. - Wie begegnen Sie diesen Bedenken?

Ich verstehe sie. Aber man könnte sagen: form follows function. Im absolut zentralen Bereich der Finanzen möchten wir etwas, das heute real bereits gelebt wird, in die adäquate Form bringen. Ich glaube, es ist heutzutage entscheidend, in der Führung einer Hochschule keine Abstufung mehr zu machen zwischen akademischen und Infrastruktur-Belangen. Sicher, die Akademia weist den Weg. Zum Erreichen der Ziele ist aber beides gleich wichtig. Diese Einsicht hat sich gerade auch in den US-Top-Universitäten längst durchgesetzt.

Stärkung und Konzentration der Infrastruktur – wie setzen Sie diesen Leitgedanken um?

Mit der Schaffung eines Vizepräsidiums, das die grossen Infrastruktursektoren in sich bündelt. Mit dem Vizepräsidium „Personal und Ressourcen“ (VPPR) hat die ETH erstmals einen Schulleitungsbereich, der sich ausschliesslich der für eine Hochschule immer wichtigeren Infrastruktur widmet. Ich möchte diesen Namen auch als Signal verstanden wissen: Der VPPR ist der oberste Personalchef der ETH und insofern für die wichtigste Ressource zuständig, die Mitarbeitenden. Personalentwicklung und -Strategie ist eine Aufgabe, die immer ernster zu nehmen ist, ebenso das Immobilienmanagement und die entsprechende Planung. Neu hinzu kommen die Informatikdienstleistungen, die ETH-Bibliothek und die ihr unterstellten Sammlungen. Hier speziell zu erwähnen ist die Zuständigkeit des VPPR für das nationale Supercomputing Center CSCS in Manno. Das CSCS ist ein Dienstleistungsunternehmen mit höchster wissenschaftlicher Kompetenz. In der Vernehmlassung wurde empfohlen, die Informatikdienstleistungen der ETH (ICT) und CSCS unter die gleiche Verantwortung zu stellen – und das tun wir.
Dieses Vizepräsidium erhält auch neues Gesicht an der Spitze, es ist ein Professor mit einem grossen Leistungsausweis in diesem Bereich. Alle Ernennungen müssen allerdings noch vom ETH-Rat bestätigt werden, was voraussichtlich am 23./24. September. der Fall sein wird.

Beim Thema Internationalisierung konnten Sie die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer mit Ihren Vorschlägen, die auch ein neues Vizepräsidium umfassten, nicht überzeugen. Wie gehen Sie damit um?

Es ist schade, dass der Internationalisierung offenbar nicht jene Bedeutung zugemessen wird, die sie aus Schulleitungssicht eindeutig hat. Das hat mich schon überrascht. Vielleicht haben wir das Bedürfnis nicht genügend klar gemacht. Aber ich nehme die Einwände ernst: Es wird keinen Vizepräsidenten für internationale Beziehungen geben. Trotzdem müssen jene Aufgaben, die bis jetzt von verschiedenen Stellen und zum Teil unkoordiniert wahrgenommen werden, konzentriert werden. Dazu gibt es eine Arbeitsgruppe, die die Aufgaben klarer formulieren soll. Vorgesehen ist ein Delegierter, der die Suche nach guten Studierenden im Ausland, deren Empfang, den internationalen Auftritt der ETH und den Besuch von ausländischen Delegationen aus einer Hand betreut. Die Auswahl der richtigen Kooperationspartner ist auch eine strategische Aufgabe. Dieser Delegierte ist bei mir angesiedelt. Das heisst, mein Portefeuille wird auf Grund der Umstände doch breiter als geplant.

Das Vizepräsidium Forschung und Wirtschaftsbeziehung (VPFW) unter Peter Chen erhält mit der strategischen Hochschulentwicklung eine gewichtige Erweiterung. Welche Überlegung führte Sie zu diesem Schritt?

Die Entwicklung einer Hochschule wie der ETH wird in starkem Masse von der eingeschlagenen Forschungsstrategie bestimmt. Welche Themen beschäftigen uns mittel- und langfristig? Davon ausgehend ist dann im Führungsgremium zu agieren. Natürlich beteiligen sich alle Bereiche, Präsident, Rektorin und Vizepräsidenten, mit ihren je eigenen Agenden an der Formulierung dieser Ziele. Es scheint uns aber sinnvoll, den eigentlichen Prozess der Strategie und Planung beim VPFW anzusiedeln. Die Departemente werden selbstverständlich weiterhin eine zentrale Rolle bei der Planung spielen. Was mich hier besonders freut, ist die grosse Akzeptanz, welche die neue Strategiekommission mit der verstärkten Beteiligung der Departemente – und natürlich der Stände – gefunden hat.

Im Bereich Lehre verschiebt sich inhaltlich auf den ersten Blick wenig. Die Betreuung der Dozierenden wird allerdings vom Bereich Rektorin ins Präsidium verschoben, die Bibliothek zum VP Personal und Ressourcen. Wird das nicht als Verlust empfunden?

Nein. Ziel der OV-Revision war nicht zuletzt, Prozesse klarer zu strukturieren und Schnittstellen, wo nötig, neu zu definieren. Ein solcher Prozess umfasst beispielsweise die Belange der Professorenschaft, von der Berufung (bereits bisher Aufgabe des Präsidenten) bis zur Emeritierung. Die damit verbundenen Teilprozesse sind neu beim Präsidenten konzentriert. Dabei geht es vor allem um Verschiebungen administrativer Art. Das Kerngeschäft der Rektorin ist die Lehre. Die Neuaufteilung der Aufgaben im Bereich Dozentendienst trägt diesem Umstand Rechnung. Für die Rektorin stellen die Konsolidierung der Bolognareform sowie die damit einhergehende Internationalisierung im Bereich der Masterstudiengänge neue, komplexe Herausforderungen dar. Die Sicherung der Qualität auf allen Stufen der Aus- und Weiterbildung verlangt grösste Aufmerksamkeit. Es ist jedoch klar, dass auch in Zukunft zwischen allen Schulleitungsbereichen intensive Kontakte bestehen müssen und neu entstandene Schnittstellen klar zu definieren sind. Zum Bereich Bibliothek: Die geplante Nähe zum Bereich ICT-Management ist sachlich begründet.

Unterm Strich: Hat das Echo auf die OV-Revision Ihren Erwartungen entsprochen?

Ja, und ich kann damit gut leben. Die generellen Ziele der Revision wurden akzeptiert. Wir werden mit diesen sorgfältig durchdachten Strukturanpassungen unsere immer komplexeren Aufgaben meistern können - und darauf freue ich mich. Bei der Umsetzung gab es wie gesagt unterschiedliche Meinungen. Aber Einwände liefern auch wichtige Erkenntnisse über die Hochschule. Eine Befürchtung war zum Beispiel, dass mehr Vizepräsidien zu einer Aufblähung der Verwaltung führen. Diese Sorge kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich werde stark darauf achten, dass künftig nicht die Verwaltung vergrössert, sondern die Qualität der Führung gestärkt wird.