Veröffentlicht: 04.12.07
Vitamin B1-Biosynthese

Wichtiges Puzzleteil gefunden

Eigentlich ist es fast ein Wunder: 70 Jahre nachdem die Struktur von Thiamin, auch als Vitamin B1 bekannt, beschrieben wurde, beginnen Wissenschaftler erst jetzt damit, dessen Synthese in grünen Pflanzen zu erforschen und zu verstehen. Und sind gleichermassen verwirrt über die Art der beteiligten Puzzleteile.

Peter Rüegg
Beim Wildtyp ist das THIC-Protein aktiv und hilft Vitamin B1 zu produzieren. Ist es jedoch ausgeschaltet, geht die Pflanze ein (Mitte). Wird das Vitamin übers Nährmedium zugeführt, entwickelt sich die Pflanze normal (rechts).
Beim Wildtyp ist das THIC-Protein aktiv und hilft Vitamin B1 zu produzieren. Ist es jedoch ausgeschaltet, geht die Pflanze ein (Mitte). Wird das Vitamin übers Nährmedium zugeführt, entwickelt sich die Pflanze normal (rechts). (Grossbild)

Die Struktur von Thiamin ist eigentlich länger bekannt als diejenigen von anderen Vitaminen. Ausserdem ist Vitamin B1 ein für Mensch, Tier und Pflanze äusserst wichtiger Stoff. Mangelerscheinungen beim Menschen führen beispielsweise zur mitunter tödlich verlaufenden Beriberi-Krankheit. Da mag es erstaunen, dass die Forschung um die Biosynthese von Vitamin B1 in Pflanzen bisher einen Bogen gemacht hat. Die Synthese ist allerdings auch ein komplizierter Vorgang, der seine Geheimnisse nicht leicht preisgibt.

Eine Forschergruppe um Teresa Fitzpatrick, Oberassistentin am Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH Zürich, hat nun aber in diesem komplizierten Puzzle ein wichtiges Teilchen gefunden und charakterisiert. Das Puzzleteil ist ein spezielles Protein, das in ähnlicher Form und Funktion in Bakterien vorkommt und bei der Synthese von Vitamin B1 eine wesentliche Rolle spielt. Die Resultate der Arbeit wurden Ende letzter Woche in der Fachzeitschrift PNAS online veröffentlicht.

Ein wichtiges Kettenglied

Thiamin besteht im Wesentlichen aus zwei Molekülringen, einem Pyrimidin- und einem Thiazol-Rest. Beide Teile werden in der Pflanze über mehrere Schritte aufgebaut und schliesslich über zahlreiche weitere Zwischenstufen zu Vitamin B1 zusammengefügt. Dieser Vorgang ist bekannt. Nicht beziehungsweise nur rudimentär geklärt ist aber, wie die beiden ringförmigen Moleküle Pyrimidin und Thiazol entstehen.

Die Arbeit der Pflanzenwissenschaftler der ETH, dem Max Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie und Duilio Arigoni, dem emeritierten ETH-Professor für organische Chemie, zeigt nun auf, dass die Synthese des Pyrimidin-Rests entscheidend von einem Protein gesteuert und reguliert wird, das eine Entsprechung in Bakterien hat und als THIC bekannt ist.

Riboswitch steuert Produktion

Das zu THIC homologe Protein in der Pflanze enthält unter anderem einen Eisen-Schwefel-Cluster, der für die chemischen Reaktionen, die bei der Synthese von Pyrimidin ablaufen, unerlässlich ist. Wie dieser Cluster genau aufgebaut ist, ist derzeit noch nicht klar. Die Forscher gehen von einer würfelartigen Struktur mit je vier Schwefel- und Eisenatomen aus. Die Reaktion läuft in den Chloroplasten ab.

Das Protein wird zudem über einen so genannten Riboswitch, eine Art molekularen Schalter, reguliert. Der Riboswitch ist ein Stück RNA, das ganz bestimmte Moleküle einfangen kann, in diesem Fall Vitamin B1. Der Komplex, der sich daraus bildet, schaltet schliesslich das Protein die Bildung des Proteins aus, so dass auch die Bildung von Thiamin unterbrochen wird.

Pilz-Bakterien-Kombination?

Dass das Pyrimidin synthetisierende Protein in Bakterien eine Entsprechung findet, hat Teresa Fitzpatrick erstaunt. Bei Pflanzen war bis jetzt erst ein Protein bekannt, das an der Biosynthese von Vitamin B1 beteiligt ist, nämlich beim Aufbau des Thiazol-Rests, und seine Entsprechung in Pilzen hat. Die Biosynthese von Vitamin B1 scheint bei Pilzen und Bakterien aber komplett verschiedenen abzulaufen. Aus diesem Grund vermuteten die Forscher, dass der Pyrimidin-Rest ebenfalls wie in Pilzen synthetisiert wird.

Die Entdeckung des THIC homologen Proteins in Pflanzen zeigt nun, dass dies nicht zutrifft, denn die THIC-Route ist der Weg, auf welchem Bakterien den Pyrimidin-Rest synthetisieren. „Mich hat erstaunt, dass der Pyrimidinring wie in Bakterien synthetisiert wird und der Thiazolring möglicherweise wie in Pilzen. Das wirft auch interessante entwicklungsgeschichtliche Fragen auf”, sagt Fitzpatrick.

Viele Teile fehlen

Für die ETH-Forscherin steht die Aufklärung der Vitamin B1-Synthese jedoch noch ganz am Anfang. „Wir werden auch in einem Jahr nicht den ganzen Vorgang verstanden haben“, betont sie. Im Gegensatz zu Biosynthese von Vitamin B6, die ebenfalls in ihrer Gruppe geklärt wurde, ist die Biosynthese von B1 in Pflanzen ein kompliziertes Puzzle mit viel mehr verschiedenen Teilen.

Dass THIC aber ein ganz wichtiges Teilchen im Puzzle ist, zeigen Versuche, bei denen das für THIC-kodierende Gen abgeschaltet wurde. Dadurch konnte die Pflanze kein Vitamin B1 bilden und starb als Keimlinge ab. Wurden die Keimlinge jedoch mit Vitamin B1 „gefüttert“, konnten sie Blättchen bilden und wachsen.

Fitzpatrick denkt, dass diese Arbeit die Grundlage dazu liefern könnte, um beispielsweise die „Überproduktion“ von Thiamin in Pflanzen anzuregen. Damit könnte etwa der Vitamin B1-Mangel, der besonders in Ländern mit hohem Reiskonsum herrscht, bekämpft werden.