«In einer idealen Zukunft sind wir überflüssig»
Vom Einbau des ersten Wickeltischs an der ETH bis hin zu Genderfragen in der Forschung – seit 20 Jahren kümmert sich Equal um angemessene Bedingungen für Frauen und Männer an der ETH Zürich. Das Jubiläum feiert die Stelle für Chancengleichheit mit einer Ausstellung im Hauptgebäude und einer Podiumsdiskussion.
Renate Schubert ist Professorin für Nationalökonomie und seit 2008 Delegierte für Chancengleichheit an der ETH Zürich. Heute Abend wird sie das Podium zur Eröffnung der Ausstellung «Check your stereotypes» moderieren. Im Interview blickt sie zurück und in die Zukunft.
Stereotypen stehen im
Zentrum der neuen Ausstellung – welche Stereotypen halten Sie für besonders problematisch?
Im Hochschulkontext gibt es hauptsächlich zwei Bereiche, in denen Stereotypen relevant
sind. Einerseits existieren sie im Bereich «Karriere», wo in unseren Köpfen
häufig noch das klassische Karrieremodell vorherrscht, bei dem die Frau
Teilzeit arbeitet und der Mann Karriere macht und wenig Zeit mit seiner Familie
verbringen kann. Dieses Modell scheint inzwischen aber für viele – Frauen wie
Männer – nicht mehr zu stimmen. Andererseits spielen Stereotype auch bei der
Studienwahl noch immer eine wichtige Rolle.
Inwiefern beeinflussen sie die Fächerwahl?
Ein Beispiel dazu: Aus wissenschaftlichen Studien weiss man, dass die
Verteilung der mathematischen Fähigkeiten bei Mädchen ausgewogener ist als bei
Jungen. Es gibt wenige extrem gute und extrem schlechte Mathe-Schülerinnen. Ist
aber nur ein Junge in der Klasse ein «Überflieger», zweifeln viele Mädchen,
nicht zuletzt wegen des Stereotyps, an ihren Fähigkeiten. So kann bei der
Studienwahl auch das Image der ETH zum Stolperstein werden. Unsere Befragungen
zeigen, dass viele Maturandinnen und Maturanden davon ausgehen, es sei anspruchsvoll,
an der ETH zu studieren. Das ist ja auch so und soll auch so bleiben. Doch man
muss sich bewusst sein, dass dieses Image bei Männern und Frauen
unterschiedliche Effekte auslöst. Während Männer die Herausforderung gerne
annehmen, denken Frauen manchmal, sie seien dem nicht gewachsen und entscheiden
sich oft für eine «einfachere» Hochschule.
Stereotype kennt man ja
schon lange. Warum braucht es dazu noch eine Ausstellung?
Stereotypen existieren nicht grundlos. Sie helfen uns dabei, Personen und Dinge
schneller und einfacher einordnen zu können. Das Problem ist allerdings, dass
sie den Blick auf das Individuum verstellen. Mit unserer Ausstellung wollen wir
zum Innehalten aufrufen. Es wäre illusorisch, Stereotypen abschaffen zu wollen.
Unsere Ausstellung heisst deshalb auch nicht «Erase your stereotypes», sondern
«Check your stereotypes». Wann immer ein Stereotyp auftaucht und etwas
unmöglich erscheint, sollten wir uns fragen, ob es nicht doch eine andere Lösung
gibt.
Sie holen für die Eröffnung
der Ausstellung Vertreterinnen der Universitäten von Yale, Berkeley und Tokio
aufs Podium, um mit ihnen über Stereotypen in der globalisierten
Hochschullandschaft zu sprechen. Was erhoffen Sie sich davon?
Diese Professorinnen sollen einerseits von der Situation an
ihren Universitäten berichten und andererseits ihre Best-Practice-Erfahrungen im
Genderbereich vorstellen. Im Austausch mit anderen Hochschulvertreterinnen stelle
ich immer wieder fest, wie viele gute Ideen vorhanden sind, die in der einen
oder anderen Form auch bei uns umgesetzt werden könnten.
Ihre
Gesprächspartnerinnen sind Vertreterinnen der International Alliance of
Research Universities (IARU). Wie kamen Sie zu Ihren Gästen?
Da ETH-Präsident Ralph Eichler derzeit auch Präsident der IARU
ist, findet das Jahrestreffen der Genderdelegierten der IARU an der ETH statt. Es
ist eine tolle Gelegenheit, dass viele Spezialistinnen, die sich mit
Genderfragen an Universitäten bestens auskennen, hier in Zürich sind. Diese
wollten wir uns nicht entgehen lassen, weshalb wir das IARU-Treffen mit dem
Jubiläumsanlass von Equal kombinierten. Unser Präsident darf dafür auch als
einziger Mann auf dem Podium Platz nehmen.
Gab es schon frühere
Kontakte zu den Gender-Delegierten von IARU?
Im März 2012 haben wir uns bereits in Tokio getroffen und
dabei Erstaunliches festgestellt: Zum Beispiel ist das Gender-Monitoring der verschiedenen
Universitäten von Umfang und Methodik her sehr unterschiedlich. Dies bedeutet,
dass wir die Frauenanteile auf den verschiedenen Stufen der akademischen
Karriereleiter zwischen den einzelnen Hochschulen nur bedingt vergleichen
können.
Der neue Gender-Monitoring-Bericht
2012/13 der ETH Zürich erscheint in diesen Tagen. Was trägt er zu dieser Diskussion
bei?
Wir zeigen sowohl für die ETH Zürich als auch für jedes
Departement auf, wie sich die Anteile von Männer und Frauen über die Zeit
verändert haben. Auf diese Weise können wir schnell feststellen, ob wir die mit
dem ETH-Rat vereinbarten Ziele erreicht haben oder nicht. Unser Monitoring
findet innerhalb der IARU grossen Anklang, nicht zuletzt deswegen, weil wir keinen
«Zahlenfriedhof» anbieten, sondern gut aufbereitete und leicht erfassbare
Informationen.
Gibt es neben IARU
noch andere Netzwerke für Professorinnen?
Nur wenige auf institutioneller Ebene. Wir haben an der ETH
Zürich mit dem Women Professors‘ Forum (WPF) einen ersten wichtigen Schritt
gemacht. Hier treffen sich jüngere und erfahrene Professorinnen, tauschen sich
aus, unterstützen sich gegenseitig und sorgen für mehr Sichtbarkeit der
Professorinnen. Heute gehören bereits 80 Prozent aller Professorinnen der ETH
Zürich dazu. In den nächsten Jahren wird sich das Women Professors‘ Forum auch
international besser vernetzen.
Was bleibt beim
Rückblick auf 20 Jahre Equal?
Wir haben als kleine Gruppe in der Personalabteilung
angefangen. Heute sind wir beim Präsidenten angesiedelt. Dies zeigt, wie sich
der Stellenwert von Genderfragen auch an der ETH entwickelt hat. Angefangen hat
alles mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – das hiess damals konkret
mit Wickeltischen und Kinderkrippen. Dann verlagerte sich der Fokus auf die
Frage, wie viele Frauen überhaupt in den verschiedenen akademischen Positionen
an der ETH präsent sind bzw. wie man die in der Regel tiefen Frauenanteile
erhöhen könnte. Heute sind wir so weit, dass wir nicht nur mehr Studentinnen
und Professorinnen gewinnen möchten, sondern uns weiterreichende Ziele setzen.
Und wie sehen diese
Ziele aus?
Da gibt es zwei Aspekte: Einerseits möchten wir die Genderfragen
in der Forschung noch besser verankern, andererseits diese bewusst auch in der
Lehre betonen. Das Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie ist in
diesem Zusammenhang ein Paradebeispiel: Sobald Technik mit interessanten
Fragestellungen kombiniert ist, sind die Frauen mit an Bord. Auch bei den
Prüfungen gibt es spannende Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Studien
haben gezeigt, dass es Frauen entgegenkommt, wenn kleinere Stoffeinheiten geprüft
werden. Ein Versuch dazu startet im Departement Umweltsystemwissenschaften.
Dort wird in Mathematik eine Midterm-Prüfung angeboten, die zum Teil der
Schlussnote angerechnet werden kann. Uns interessiert, ob dabei
geschlechterspezifische Unterschiede sichtbar werden.
Was ist aus den Plänen
geworden, Genderaspekte innerhalb der Forschung zu stärken?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist hier sehr aktiv und verwendet
Genderaspekte als Bewertungskriterium bei Entscheidungen zur Forschungsförderung.
Etwas Ähnliches könnte auch für die ETH Zürich sinnvoll sein.
Wie sieht Equal in der
fernen Zukunft aus?
In einer idealen Zukunft werden Geschlechterunterschiede in
produktiver Weise genutzt, so dass ein Mehrwert entsteht – wir hätten uns dann
selber überflüssig gemacht.
LESERKOMMENTARE