Veröffentlicht: 10.09.13
Science

Uran am Limit?

Uran, der Kraftstoff für Atomkraftwerke, wird knapp und teuer, und zwar eher und rascher, als wir es wahrhaben wollen, sagt ETH-Physiker Michael Dittmar in seiner Studie «The end of cheap uranium». Die Verknappung habe andere Gründe als die Endlichkeit der natürlichen Ressource, entgegnet Rohstoffgeologe Christoph Heinrich.

Peter Rüegg
Droht weltweit Uranmangel, weil bestehende und geplante Minen - im Bild die Ranger-Uranmine (AUS) - zu wenig Uranerz fördern können, um den steigenden Bedarf zu decken? (Bild: Dr Snafu/flickr.com)
Droht weltweit Uranmangel, weil bestehende und geplante Minen - im Bild die Ranger-Uranmine (AUS) - zu wenig Uranerz fördern können, um den steigenden Bedarf zu decken? (Bild: Dr Snafu/flickr.com) (Grossbild)

Vom «Peak Oil» war viel die Rede – davon, dass Erdöl knapp und teuer werde und die Menschheit in eine Versorgungs- und Energiekrise schlittere. Um den «Peak Uranium» hingegen war es bisher eher still. Nun hat der ETH-Physiker Michael Dittmar die verfügbaren Uranabbau-Daten der vergangenen Jahrzehnte unter die Lupe genommen und berechnet, wie viel Uranerz zu wirtschaftlich vernünftigen Preisen in den nächsten zwei Jahrzehnten gefördert werden könnte, und wie lange damit Atomkraftwerke weltweit rentabel betrieben werden könnten.

Gemäss Dittmars Berechnungen wird der weltweite Abbau von Uranerz in den bestehenden und geplanten Minen im Jahr 2015, also bereits in zwei Jahren, mit rund 58'000 Tonnen pro Jahr ein Maximum erreicht haben. Die Erzförderung dürfte danach bis 2025 auf rund 54'000 Tonnen und bis 2030 auf jährlich 41'000 Tonnen zurückgehen. Diese Mengen sind als Mittelwert einer Bandbreite zu verstehen. Für das Jahr 2030 geht Dittmar von einer Produktion von 36'000 bis 46'000 Tonnen aus. Doch selbst der höchste angegebene Wert dürfte nicht ausreichen, um alle Atomkraftwerke, die derzeit in Betrieb oder im Bau sind, mit genügend (günstigem) Uran zu versorgen: Denn der voraussichtliche Bedarf im Jahr 2030 wird rund 68‘000 Tonnen betragen.

In fünf Jahren zum Engpass?

Steigt die Nachfrage nach Uran fortan jedes Jahr um ein Prozent an, wird es laut Dittmars Studie, die in der Fachzeitschrift «Science of the Total Environment» veröffentlicht wurde, in den kommenden fünf Jahren zu Uranmangel und einem massiven Preisanstieg kommen. «Das könnte dazu führen, dass das derzeit geförderte Uran nicht reicht, um alle AKWs zu betreiben – und zwar unabhängig vom Preis», sagt Dittmar. Einige Länder würden dann kein Uran mehr bekommen. Ein derartiger abrupter Ausstieg aus der Atomkraft könnte in den betroffenen Ländern zu einem teilweisen bis kompletten Zusammenbruch der Stromversorgung führen – mit Folgen für die entsprechenden Volkswirtschaften und Gesellschaften. Selbst wenn einige Länder in den kommenden Jahren freiwillig aus der Atomkraft aussteigen und die Urannachfrage als Folge davon bis 2025 jährlich um ein Prozent abnehmen würde, dürfte es schwierig sein, Versorgungsengpässe zu vermeiden.

Der Physiker, der am Cern in Genf Elementarteilchen erforscht und sich nebenbei mit der Klima- und Energieproblematik befasst, stützte seine Berechnungen und Schätzungen auf verfügbare Daten aus dem «Red Book» der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA über die weltweite Gewinnung von Uranerz in früheren und aktuellen Minen ab. Er berechnete, wann in den jeweiligen Erzlagern mit dem Abbau begonnen und wann die maximale Produktion erzielt wurde, wie lange sich diese auf einem stabilen, 10 Jahre dauernden Plateau hielt und wann der Abbau eingestellt wurde. Dittmar nahm an, dass eine Mine eine rund zweijährige Anlaufzeit hat, ehe sie auf konstantem Niveau Erz fördert. Weiter ging er davon aus, dass während der hauptsächlichen Produktionsphase nur ein Zehntel des effektiv verwertbaren Erzes gefördert wird.

Erschöpfte Lager

Die Studie zeigt auf, dass in einer Mine durchschnittlich nur 50 bis 70 Prozent des ursprünglich geschätzten Uranvorkommens wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden kann. Genaue Zahlen sind allerdings nicht öffentlich. Die Zahlen machen auch klar, dass viele bekannte Uranlager erschöpft sind oder bald nicht mehr genug Ertrag abwerfen. Europas Uran-Minen sind seit Ende der 1990er Jahre stillgelegt. In über 40 Jahren Abbau holten die Europäer gegen 460'000 Tonnen Uranerz aus dem Boden. Heute decken sie ihren Bedarf – 21'000 Tonnen jährlich – ausschliesslich über Importe.

Auch in anderen Schürfgebieten mehren sich Anzeichen, dass die Minen erschöpft sind. Etwa die Rabbit-Lake-Mine im kanadischen Bundesstaat Saskatchewan. Fünf Erzlager konnten ausgebeutet werden, die maximale Produktion betrug 4500 Tonnen pro Jahr. Das war 1997 und 1998. Danach nahm die Produktion kontinuierlich ab, 2010 wurde sie eingestellt. Gefördert wurden 61'000 Tonnen. Bevor die Minen in Betrieb genommen wurden, schätzte die IAEA das Vorkommen auf 52'500 bis 115'000 Tonnen.

Die letzte produktive Uranmine Kanadas ist das 1988 entdeckte McArthur-Erzlager. 2011 aber war auch da die Produktion zum ersten Mal seit Beginn des Abbaus rückläufig. Gegenüber 2010 sank sie um einen Drittel, möglicherweise auch deshalb, weil das Hauptlager erschöpft und Nebenzonen erst erschlossen werden mussten. Insgesamt ging zwischen den Jahren 2001 und 2012 die Uranproduktion in Kanada von 12'000 auf 9000 Tonnen zurück.

Militärische Reserve anzapfen

Um den Versorgungsengpass beim Uran bis 2025 zu mildern, schlägt der Physiker neben der Stilllegung von einzelnen AKWs vor, die militärischen Uranreserven der USA und Russlands anzuzapfen. Beide Staaten lagern rund 500'000 Tonnen an waffenfähigem Uran, welches genauso gut zur Energiegewinnung eingesetzt werden kann. Diese Reserven könnten den Engpass hinauszögern, aber nicht verhindern.

Ob Dittmars Prognosen eintreffen, hängt auch mit der Altersstruktur der Atomreaktoren zusammen. Zurzeit sind weltweit über 430 Kernkraftwerke am Netz, 68 Anlagen sind im Bau. Von den bestehenden Reaktoren haben einige bereits 30 Betriebsjahre erreicht. «Im Jahr 2020 werden 100 Reaktoren seit 45 Jahren in Betrieb sein und müssen stillgelegt werden», sagt Dittmar. Demnach könnte es gut sein, dass die Nachfrage nach Uran stärker sinkt als erwartet.

Geologische Ressourcen grösser als bekannte Reserven

Christoph Heinrich, Professor für Rohstoffgeologie an der ETH Zürich, widerspricht der Schlussfolgerung von Michael Dittmar, dass die Verfügbarkeit von Uran die künftige Nutzung der Kernenergie limitiere. Er könne sich wohl vorstellen, dass Dittmars Voraussage einer starken Preiserhöhung von Uran in den nächsten zehn Jahren zutreffen könnte. Er verweist jedoch auf Schätzungen von viel grösseren Ressourcen, die in der Erdkruste mit grosser Wahrscheinlichkeit vorhanden sind. Diese sind mit heutiger Technologie wirtschaftlich gewinnbar, wurden aber noch ungenügend exploriert. «Voraussagen grundlegender Verknappung von mineralischen Rohstoffen aufgrund von Verbrauchszahlen und bekannten Reserven haben sich bislang immer als falsch herausgestellt, weil sie die geologische Exploration vernachlässigen», betont Heinrich.

So sei vor 40 Jahren eine globale Verknappung oder Erschöpfung von vielen Metallen im Verlauf unseres Jahrhunderts vorhergesagt worden. Entgegen diesen pessimistischen Vorhersagen haben sich etwa beim Kupfer sowohl die Abbaumengen als auch die weltweiten geologischen Vorräte an primärem Erzmetall im Lauf der Zeit stetig erhöht und nicht etwa reduziert. Dieser Zuwachs werde durch die Intensität geologischer Exploration bestimmt, und diese wiederum werde durch die erwartete Marktentwicklung gesteuert, gibt der Rohstoffgeologe zu bedenken. Auch beim Uran seien die geologischen Ressourcen gross, wenn auch weniger gut bekannt. «Michael Dittmars Berechnung basiert vornehmlich auf Daten von Kanada sowie von Australien, wo die Reserven produzierender Minen weitgehend erschöpft und die Exploration neuer Vorkommen durch eine politische Entscheidung verhindert wurde.»

Christoph Heinrich zweifelt auch daran, dass die IAEA-Daten vollständig sind. Dies betrifft bereits explorierte Uranvorräte in Ländern Afrikas, von China, Russland sowie Kasachstan, welches vor vier Jahren Kanada und Australien als wichtigste Uranförderländer abgelöst hat. «Ich würde mich wundern, wenn diese Länder und ihre Firmen der IAEA den Kenntnisstand ihrer Exploration und ihre bekannten Reserven im vollen Umfang mitteilten. Neben der strategischen Bedeutung nicht deklarierter Vorräte für die eigene Elektrizitätsgewinnung wartet vielleicht China auch ganz gerne auf die von Michael Dittmar prognostizierte Preis-Hausse», schmunzelt Heinrich.

Politische Entscheidung gefragt, nicht Verknappungspanik

«Die globale Zukunft der Kernkraftnutzung wird bestimmt durch politische und wirtschaftliche Entscheidungen, und ich hoffe, dass bei der Risikoabschätzung die klimapolitischen Konsequenzen der Verbrennung fossiler Brennstoffe im Vergleich zur CO2-ärmeren Elektrizitätsgewinnung aus Kernenergie einbezogen werden», sagt Heinrich. «Uranverknappung ist kaum der limitierende Faktor für die Zukunft der Kernenergie.» Der Geologe verweist auch auf den geringen Kostenanteil des Urans bei der nuklearen Elektrizitätserzeugung: Nur drei Prozent der Kosten entfallen auf den Rohstoff Uran. Bei Kohlenkraftwerken hingegen schlägt der Brennstoff mit 30 Prozent zu Buche, bei Gasturbinen mit 60 Prozent.

Heinrich kann Dittmars politischer Schlussfolgerung denn auch nicht folgen. «Diese Analyse erscheint mir nicht als überzeugendes Argument, ein weltweites Phase-Out von Kernkraftwerken vorzuschlagen.» Kernkraftwerke hätten wie Uranminen sehr lange Planungs- und Bauzeiten, während derer Rohstoffvorkommen erschlossen werden könnten, ist der Geologe überzeugt.

Literaturhinweise

Dittmar M. The end of cheap uranium. Science of the Total Environment (2013), doi: 10.1016/j.scitotenv.2013.04.035

MacFarlane & Miller (2007) Nuclear energy and uranium resources. In Energy: A Geoscience Perspective. Elements, v. 3/3, p. 185-192 http://www.elementsmagazine.org/archives/

Tilton, J. E. and Lagos, G. (2007). Assessing the long‐run availability of copper. Resources Policy, 32, 19‐23.