Veröffentlicht: 07.09.12
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Viel Ehre für Paul Bernays

Die Mathematik gilt als das Fundament aller Wissenschaft – doch wie gesichert sind eigentlich ihre Grundlagen? Mit Fragen dieser Art befassen sich die «Paul Bernays Lectures». Diese neue Ehrenvorlesungsreihe der ETH Zürich widmet sich dem Grenzbereich von Philosophie, Mathematik und Physik. Der erste Referent ist der bekannte Mathematiker und Philosoph Solomon Feferman.

Florian Meyer
Paul Bernays (1888-1977) war einer der führenden Mathematiker, Logiker und Philosophen seiner Zeit. Die ETH Zürich hat ihm zu Ehren eine neue Vorlesungsreihe eingeführt. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv).
Paul Bernays (1888-1977) war einer der führenden Mathematiker, Logiker und Philosophen seiner Zeit. Die ETH Zürich hat ihm zu Ehren eine neue Vorlesungsreihe eingeführt. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv). (Grossbild)

Die Mathematik ist die strengste aller Wissenschaften und die reinste Form des Denkens. Ihr Wissen zeichnet sich durch Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Beweisbarkeit aus und beruht ganz auf unzweifelhaft und für alle Zeiten gesicherten Grundlagen. Davon jedenfalls war der deutsche Mathematiker David Hilbert (1862-1943) fest überzeugt Er formulierte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ein Forschungsprogramm, das – als «Beweistheorie» etabliert – die Mathematik prägte wie kaum ein zweites.

Das Ziel des Programms war ebenso klar wie kühn: Die gesamte Architektur der Mathematik sollte auf wenigen festgelegten Grundannahmen, den Axiomen, aufgebaut werden. Jede weitere mathematische Aussage, so Hilberts Vorstellung, sollte nur noch dann als wahr gelten, wenn sie durch Anwendung von wohldefinierten Schlussregeln in endlich vielen Schritten aus den aufgestellten Axiomen abgeleitet werden konnte. Auf der Grundlage dieser axiomatischen Methode wollte er den endgültigen Nachweis erbringen, dass die reine Mathematik frei von Widersprüchen sein musste.

Von der «Beweistheorie» in die «Grundlagenkrise»

Ausgelöst hatte Hilberts Programm unter anderem, dass Logiker wie Gottlob Frege (1848-1925) und Bertrand Russell (1872-1970), die die Mathematik mit den Mitteln der Logik neu begründen wollten, zeigen konnten, dass in der Mengentheorie paradoxe Aussagen auftreten, wenn zum Beispiel eine Menge sich selbst enthält. Da der Begriff der Menge zu den wichtigsten Fundamenten der modernen Mathematik zählt, erschütterte die Entdeckung der mengentheoretischen Paradoxien die Mathematik in den Grundfesten und weitete sich zu einer regelrechten «Grundlagenkrise» aus.

Ein Assistent Hilberts in dieser für die Mathematik bewegten Zeit war der Schweizer Paul Bernays (1888-1977), der von 1939 bis 1958 zuerst als Privatdozent, dann als Professor an der ETH Zürich wirkte. Paul Bernays arbeitete zunächst Hilberts Beweistheorie weiter aus. Ein wichtiger Beitrag zur Grundlagendebatte war sein Entscheidungsverfahren, mit dem er zeigen konnte, dass jede aussagenlogisch gültige Formel aus aussagenlogischen Axiomen abgeleitet werden und damit ein widerspruchsfreies Axiomen-System begründen kann.

Widersprüchlich und/oder unvollständig

Das Aus für Hilberts Programm kam 1930 mit Kurt Gödels (1906-1978) Unvollständigkeitssätzen: Der böhmische Logiker konnte beweisen, dass ein Axiomen-System, das ein gewisses Mass an Arithmetik mit natürlichen Zahlen, Addition und Multiplikation zulässt, widersprüchlich oder unvollständig (oder beides zugleich) ist, aber nie widerspruchsfrei und vollständig, und dass es selbst, wenn es widerspruchsfrei ist, seine Widerspruchsfreiheit nicht beweisen kann. Seither muss die Mathematik damit leben, dass sie die Möglichkeit von Widersprüchen in ihren theoretischen Grundlagen nicht prinzipiell ausschliessen kann.

Die axiomatische Mengenlehre als Versuch, der Widersprüche Herr zu werden, erwies sich weiterhin als ein fruchtbares Betätigungsfeld für den Mathematiker und Philosophen Paul Bernays. Er bestimmte das Verhältnis zwischen Philosophie und Mathematik genauer und verdankt seine philosophische Bedeutung unter anderem seiner Unterteilung von fünf Klassen der konstruktiven und nicht-konstruktiven Methoden der Mathematik.

Bedeutender Philosoph der Mathematik

«Paul Bernays war ein Mathematiker und Logiker von internationalem Rang», sagt Giovanni Sommaruga, «Es ist Zeit, diesen vielleicht bedeutendsten Philosophen der Mathematik der ETH Zürich zu ehren und seiner Ausstrahlung mit einer neuen Ehrenvorlesung zusätzlich Intensität zu verleihen.» Sommaruga ist ETH-Dozent für Philosophie der formalen Wissenschaften und einer der Initiatoren der neuen Vorlesungsreihe.

Die Paul-Bernays-Vorlesungen lehnen sich in Aufbau und Ablauf an die seit 1962 jährlich stattfindenden Wolfgang Pauli Vorlesungen an. Wo die Pauli Lectures jeweils einen Themenkreis aus Physik, Mathematik und Biologie aufgreifen, fokussieren die Paul Bernays Lectures auf wissenschaftsphilosophische Aspekte von Mathematik, Logik und Physik. «Mit den Paul Bernays Lectures möchten wir die Abteilung für Philosophie an der ETH Zürich als international wichtiges Lehr- und Forschungszentrum für Wissenschaftsphilosophie in der Schweiz etablieren», sagt Giovanni Sommaruga.

Wie Paul Bernays war auch der theoretische Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli von 1928 bis zu seinem Tode 1958 Professor an der ETH Zürich, und 1935 kam es bei der Überfahrt nach Amerika sogar zu einem «Gipfeltreffen» der beiden mit Kurt Gödel.

Solomon Feferman – ein Beweistheoretiker und Philosoph

Auch der erste Gastreferent der Paul Bernays Lectures ist Kurt Gödel eng verbunden: Solomon Feferman (*1928), emeritierter Professor für Mathematik und Philosophie der kalifornischen Stanford Universität, gab von 1982 bis 2003 Gödels Gesammelte Werke heraus. Ausserdem beschäftigt sich Feferman mit mathematischer Logik (Beweistheorie, Berechenbarkeitstheorie), Grundlagen und Philosophie der Mathematik sowie Geschichte der Logik. Seine drei Vorlesungen an der ETH befassen sich mit Grundlagenproblemen der Mathematik.

Paul Bernays Lectures

Die Paul Bernays Lectures sind eine neue, jährlich stattfindende, dreiteilige Ehrenvorlesungsreihe, die der Philosophie der exakten Wissenschaften gewidmet ist. In ihrem Rahmen präsentieren eingeladene Referenten ihre wegweisende Forschung aus den Gebieten der Philosophie der Logik oder der Mathematik oder der Philosophie der Physik.

Die drei Paul Bernays Lectures 2012 von Solomon Feferman heissen «Bernays, Gödel and Hilbert’s consistency program», «Is the Continuum Hypothesis a definite mathematical problem?» und «Foundations of Unlimited Category Theory». Sie finden am Dienstag 11. September um 16.30 Uhr und am Mittwoch 12. September um 14.15 und 16.30 Uhr im Auditorium C 14 des CHN Gebäudes der ETH (Universitätsstrasse 16, 8006 Zürich) statt.

Die Paul Bernays Lectures werden von Erwin Engeler eröffnet, einem der bedeutendsten Schüler Paul Bernays‘ und emeritierter Professor der ETH Zürich für Logik und Informatik.

Das Alan Turing Jahr 2012 an der ETH

Konkrete Bedeutung erhielten die Grundlagenprobleme der Mathematik in der Informatik, für Computerprogramme und die künstlichen Intelligenz. Ihr Wegbereiter war der Engländer Alan Turing (1912-1954), der einen Briefwechsel mit Paul Bernays führte. Aus Anlass von Turings 100-jährigem Geburtstag führt die Schweizerische Gesellschaft für Logik und Philosophie der Wissenschaften am 26./27. Oktober 2012 an der ETH Zürich die Veranstaltung «Turing Under Discussion» durch.

 
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