Veröffentlicht: 09.08.12
Science

Krabbelnde Patrouille in den Lymphgefässen

Nicht nur Kleinkinder krabbeln. Zellen des Immunsystems nutzen eine ganz ähnliche Art der Fortbewegung häufiger, als man bisher vermutete. Das konnten Forscher der ETH Zürich bei sogenannten Dendritischen Zellen zeigen. Die Wissenschaftler beobachteten die kriechenden Zellen unter dem Mikroskop in Lymphgefässen von lebenden Tieren.

Fabio Bergamin
Mikroskopische Aufnahme von Dendritischen Zellen (grün), die sich aktiv in Lymphgefässen (rot) bewegen. (Bild: Maximilian Nitschké / ETH Zürich)
Mikroskopische Aufnahme von Dendritischen Zellen (grün), die sich aktiv in Lymphgefässen (rot) bewegen. (Bild: Maximilian Nitschké / ETH Zürich) (Grossbild)

Man stelle sich ein krabbelndes Kleinkind vor: Es greift mit beiden Armen nach vorne, um anschliessend die Beine und den Körper nachzuziehen, bevor es wiederum mit den Armen nach vorne greift. Im Prinzip ganz ähnlich bewegen sich auch Dendritische Zellen, wichtige Zellen des Immunsystems, in den Lymphgefässen. Dies zeigten Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe von Cornelia Halin, Assistenzprofessorin am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften.

Die Dendritischen Zellen – ein Spezialtyp von weissen Blutzellen – gehören zu jenen Zellen, die im Körper nach fremden Stoffen wie Krankheitserregern oder Giftstoffen Ausschau halten. Entdecken sie solche, nehmen sie diese auf und transportieren sie via zunächst ganz feine Lymphgefässe, die sich später zu grösseren Lymphgefässen vereinigen, in die Lymphknoten. Dort sind weitere Zellen des Immunsystems – beispielsweise die T-Zellen – in grosser Zahl vorhanden, und es wird dort eine Immunantwort auf den Krankheitserreger oder den Giftstoff in Gang gebracht. Die Dendritischen Zellen nehmen also eine zentrale Rolle ein, wenn es darum geht, eine Immunantwort auszulösen.

Aktive und passive Bewegung

Die Art und Weise, wie sich diese Zellen vom Gewebe, wo sie auf körperfremde Stoffe warten, in einen Lymphknoten bewegen, war bisher jedoch nicht ganz erforscht. Man wusste bereits, dass die Zellen durch aktive Migration aus dem Körpergewebe in die feinen Lymphgefässe gelangen. Zudem war bekannt, dass sie in den grösseren Lymphgefässen passiv transportiert werden: Die Lymphflüssigkeit spült sie in die Lymphknoten. Nicht so klar war bisher jedoch, wie sich Dendritische Zellen in den feinen Lymphgefäss-Kapillaren vorwärtsbewegen. Viele Wissenschaftler gingen bisher davon aus, dass die Dendritischen Zellen auch dort mit dem Lymphfluss mitgetrieben werden.

Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch. Forscher aus der Arbeitsgruppe von Cornelia Halin bestätigten jetzt, was andere Forscher vor einem halben Jahr gezeigt hatten: Ähnlich wie im Gewebe bewegen sich die Dendritischen Zellen auch in den Lymphgefäss-Kapillaren aktiv vorwärts. Sie krabbeln langsam den Wänden der Lymphgefässe entlang wie ein Kleinkind auf dem Boden. Ausserdem gewannen die ETH-Wissenschaftler erste Einblicke in den molekularen Mechanismus dieser Bewegung.

Zellfortsätze, um sich nach vorne zu ziehen

In der Haut von lebenden transgenen Mäusen, deren Blut- und Lymphgefässe fluoreszieren, konnten die Forscher die Bewegung der Dendritischen Zellen mikroskopisch beobachten. «Die Zellen bilden in den Lymphgefäss-Kapillaren Zellfortsätze nach vorne aus und ziehen sich damit in die gewünschte Richtung», sagt Maximilian Nitschké, Postdoc in der Gruppe von Cornelia Halin und Erstautor der Studie.

Die ETH-Forschenden konnten zudem erste Moleküle ermitteln, die bei der aktiven Migration der Dendritischen Zellen durch die Lymphgefäss-Kapillaren eine Rolle spielen. Eines davon ist ein Enzym namens ROCK, wie sie in Versuchen zeigten, in denen sie die Aktivität dieses Enzyms pharmakologisch blockierten. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Dendritischen Zellen sich mit ihren nach vorne gerichteten Zellfortsätzen an Molekülen der Lymphgefässwand «festhalten» können. Das Enzym ROCK wird – so ihre Annahme – benötigt, um diese Bindung am hinteren Ende der Zelle wieder zu lösen, wodurch sich die Zelle vorwärtsbewegen kann.

Besseres Verständnis des Immunsystems

Interessanterweise beobachteten die Wissenschaftler, dass die Dendritischen Zellen durch die Lymphgefäss-Kapillaren scheinbar patrouillieren: Sie bewegen sich in den Lymphgefäss-Kapillaren nicht nur in die Richtung des Lymphflusses, sondern krabbeln teilweise auch in entgegengesetzter Richtung. Zudem ist die Krabbelbewegung der Zellen in den feinen Lymphgefässen deutlich langsamer ist als die Geschwindigkeit des Lymphflusses.

Aus welchem Grund sich die Zellen scheinbar derart ineffizient aktiv vorwärts bewegen, ist noch unklar. «Es könnte sein, dass die Dendritischen Zellen während der langsamen Bewegung mit anderen Zellen wechselwirken, wodurch sie möglicherweise wichtige Signale aufnehmen », sagt Maximilian Nitschké. Der Hauptgrund für die aktive Bewegung dürfte laut ihm jedoch ein anderer sein: «Der Fluss in den kleinen Lymphgefäss-Kapillaren ist zwar schnell, wohl aber nicht stark genug, um grosse Zellen wie die Dendritischen Zellen passiv zu transportieren.» Die Krabbelbewegung wäre für die Zellen somit die einzige Möglichkeit, an dieser Stelle überhaupt vorwärtszukommen.

Um ein detailliertes Verständnis davon zu erhalten, wie die wichtigen Dendritischen Zellen in die Lymphknoten wandern und wie eine Immunantwort zustande kommt, ist noch weitere Forschungsarbeit nötig. Ein solches Verständnis könnte dereinst helfen, wirksamere Impfstoffe zu entwickeln.

Literaturhinweis

M Nitschké et al.: Differential requirement for ROCK in dendritic cell migration within lymphatic capillaries in steady-state and inflammation. Blood, 2012, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1182/blood-2012-03-417923