Veröffentlicht: 13.06.12
Kolumne

Bekennender Fussballfan

Martin Sack
Martin Sack, Doktorand am Departement Mathematik (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Martin Sack, Doktorand am Departement Mathematik (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Laut meiner «Bio-Box» am Ende meiner Kolumne besteht meine Freizeit darin, dass ich tagsüber mit dem Velo fahre und abends Musik auflege. Wie ein Schulfreund nun richtig bemerkt hat, fehlt dabei ein wesentlicher Teil. Weil es mir so schien, als schriebe ich, ich würde in meiner Freizeit gerne Wasser trinken, habe ich vergessen es zu erwähnen: Ich bin Fussballfan aus Leidenschaft!

Vor zwanzig Jahren hätte ich mich mit diesem Satz ins Abseits gestellt und für das Schreiben von Kolumnen wäre ich vermutlich von vornherein als untauglich erklärt worden. Fussball hatte in gebildeten Kreisen lange den Ruf eines Proletensports. Wer ausserhalb der Fussballwelt lebte, konnte als Ereignis vielleicht die Katastrophe von Heysel nennen. (Am 29. Mai 1985 stürmten Fans des FC Liverpool beim Endspiel um den Pokal der Landesmeister gegen Juventus Turin einen neutralen Sektor. Bei der dadurch verursachten Panik starben 39 Menschen). Das Ereignis prägte das Bild von gewalttätigen Fussballfans in den Achtzigern. Dabei hätte der Fussball auch andere Geschichten zu erzählen, wie jene vom Weihnachtsabend 1914: Im Niemandsland der Westfront trafen sich deutsche und englische Soldaten, um gemeinsam Weihnachtslieder zu singen und Fussball zu spielen.

In den Neunzigern war Ligafussball in Deutschland in der Hand des Privatfernsehens, was den Ruf des Sports nicht gebessert hat. Damals war ich aber zu jung, um solche Sätze zu schreiben. Als ich 2001 das erste Mal bei meinem Verein, Mainz 05, ins Stadion ging, war ich bereits hoffnungslos an den Fussball verloren. In der Schule spielte ich gerne Fussball in der Pause, weil ein Spiel so einfach organisiert war: Eine leere Dose, zwei Schulranzen als Tor, fertig war das Spielfeld. Versuchen Sie einmal, mit einer Dose Basketball zu spielen.

Als ich 2004 an die ETH kam, hatte mein Laptop einen Aufkleber von Mainz 05 auf der Rückseite. Am zweiten Tag kam ich mit einem Bayernfan ins Gespräch. Später gesellte sich ein Hamburger dazu und schon hatten wir eine Runde, um samstags zusammen die Sportschau anzuschauen. In der Zwischenzeit hatte sich das Klima gewandelt: 2004 erschien das Buch «Abseits denken, Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft» (Johannes Marx, Andreas Hütig, Agon Verlag). Es bewies, dass man auch auf hohem Niveau über Fussball sinnieren konnte. 2006 war das einzige Thema in den letzten Semesterwochen die WM: Nach einer Departementskonferenz in Physik unterhielt ich mich zum Beispiel mit Prof. van der Veen vom PSI über das Spiel der Deutschen; am Abend war das Viertelfinale gegen Argentinien angesetzt. Auf jeder Veranstaltung wurden Spiele übertragen, sofern es möglich war. Für das «Käfergrillfest» des Vereins der Mathematik- und Physikstudierenden (VMP) organisierten wir eine Fernsehantenne und einen kleinen Fernseher, vor den sich hundert Leute quetschten, um das Halbfinale Deutschland gegen Italien zu sehen (über das Ergebnis schweigen wir).

Zu derzeitigen EM haben an der ETH Zürich auch die Bar bQm und die Alumni Lounge Übertragungen organisiert. Fussball sorgt sogar für einen der wenigen studentischen Events, die in den Ferien stattfinden: VMP und VeBiS (Verein der Biologiestudierenden) zeigen zusammen das zweite Halbfinale im Gebäude HXE auf dem Hönggerberg.

Vielleicht ist Fussball mittlerweile nur so populär, weil man sich ihm in unseren Breiten kaum entziehen kann. Für mich als Fussballverrückten gilt diese Erklärung nicht. Und an der ETH finden sich genügend Gleichgesinnte, mit denen sich Stunden über die Europameisterschaft diskutieren lässt. In jedem steckt schliesslich ein Trainer, der genau weiss, wie er alles anders und besser machen würde.

Während ich diese Zeilen schreibe, geht der erste Spieltag der Gruppe D zu Ende. Bisher hat die EM ein paar interessante Spiele beschert. Ich wünsche allen Fussballrunden weiterhin frohes Zuschauen. Was man sonst an den Abenden bis zum 1. Juli unternehmen will, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Zum Autor

Martin Sack ist Doktorand am Departement Mathematik. Aufgewachsen ist der heute 26-Jährige in Mainz, wo er 2004 sein Abitur ablegte. Für sein Physik-Studium kam er an die ETH Zürich. Hier erlangte er seinen Master 2008. Schliesslich realisierte er, dass Physik auch in der realen Welt eingesetzt werden könnte und begann, ebenfalls an der ETH, ein Doktorat in Mathematik. Er arbeitet derzeit an nichtlinearen dispersiven Gleichungen. Ist Martin Sack nicht gerade für seine Dissertation am Zahlenbeigen, ist er der Schatzmeister der Akademischen Vereinigung des Mittelbaus der ETH Zürich AVETH. In seiner Freizeit lässt er gerne Rundes kreisen: die Räder seines Bikes am Tage und nach Sonnenuntergang die Plattenteller als DJ. Am meisten fasziniert ihn, was mit elektronischer Musik möglich geworden ist.