Veröffentlicht: 18.08.11
Science

Vernachlässigte CO2-Quelle ausgemacht

ETH-Forscher liefern erstmals konkrete Daten darüber, wie alternative Landnutzungsformen den Kohlenstoffhaushalt von tropischen Ökosystemen beeinflussen. Diese Informationen sind nicht nur für Klimaforscher interessant. Auch die im Kyoto-Protokoll beschlossenen Massnahmen zur CO2-Reduktion lassen sich mit solchem Wissen besser umsetzen.

Christine Heidemann
Einer der beiden Messtürme im Untersuchungsgebiet, mit dem die ETH-Forscher ermittelt haben, ob und wie viel Kohlenstoff von Boden und Pflanzen in die Atmosphäre «veratmet» oder aus der Atmosphäre aufgenommen wurde. (Bild: ETH Zürich)
Einer der beiden Messtürme im Untersuchungsgebiet, mit dem die ETH-Forscher ermittelt haben, ob und wie viel Kohlenstoff von Boden und Pflanzen in die Atmosphäre «veratmet» oder aus der Atmosphäre aufgenommen wurde. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

An manche Phasen des Projekts erinnert sich Sebastian Wolf nur ungern. Etwa an die Zeit kurz vor Weihnachten 2008. «Da musste ich innerhalb weniger Tage nach Panama fliegen, um einen Messturm zu reparieren.» Der war komplett ausgefallen - und vor Ort war weit und breit niemand aufzutreiben, der sich damit auskennt.

Sebastian Wolf vom Institut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich hat sich in seiner Doktorarbeit mit einem Thema befasst, zu dem es bisher nur ganz wenige Studien gibt: Wie viel CO2 speichern oder emittieren tropische Ökosysteme, insbesondere wenn sich die Landnutzung ändert? Wenn also Regenwälder abgeholzt und die Flächen zunächst als Ackerland und dann als Weiden genutzt werden? Und was passiert, wenn die Weiden mit einheimischen Hölzern wieder aufgeforstet werden?

«Wir wissen zwar, dass Aufforstungen Kohlenstoff binden, also als so genannte Kohlenstoff-Senke fungieren, aber wie viel CO2 sie genau aufnehmen, ist noch weitestgehend unklar», sagt Wolf. Auch gibt es fast keine Daten für Zentralamerika. Denn die vorliegenden tropischen Studien wurden fast alle im Amazonas-Gebiet durchgeführt und stammen vor allem aus dem «Large Scale Biosphere-Atmosphere Programm».

Projekt entstand durch Zufall

Da traf es sich gut, dass ETH-Professorin Nina Buchmann, Sebastian Wolfs «Doktor-Mutter», auf einer Tagung mit einer Kollegin von der McGill University in Kanada ins Gespräch kam, die bereits in Panama forschte und berichtete, dass man dort unter anderem auf der Suche nach Experten für mikrometeorologische Kohlenstoffmessungen sei. Und so entstand das Projekt «Sustainable agroforestry for carbon sequestration to improve small farmers’ livelihood in the tropics», das vom Nord-Süd-Zentrum der ETH finanziert, gemeinsam mit Kollegen von der McGill University und dem Smithsonian Tropical Research Institute in Panama durchgeführt wurde und dessen Ergebnisse nun vorliegen.

Als Versuchsareal diente Sebastian Wolf und seinen Kollegen eine mehr als 50 Jahre alte Weidefläche in Sardinilla  in Zentral-Panama, 30 Kilometer nordöstlich des Panama-Kanals. Bis 1953 stand hier ausschliesslich Regenwald. Nachdem dieser komplett abgeholzt worden war, wurde das Areal zwei Jahre als Ackerland genutzt, bis der Boden nicht mehr genug Nährstoffe lieferte und nur noch als Weide zu gebrauchen war.

Ein Teil der Fläche wurde 2001 experimentell mit einer Mischung aus einheimischen Baumarten wieder aufgeforstet. Der andere Teil wird weiterhin von Kleinbauern als Kuhweide genutzt - eine stark zunehmende Form der alternativen Landnutzung in den Tropen, von der man bisher annahm, dass sie die CO2-Bilanz nicht negativ beeinträchtigt. Zwar bringe jede Abholzung des Regenwaldes und die anschliessende Nutzung der Fläche als Acker und Weide ein System aus dem Gleichgewicht, indem zunächst viel des im Oberboden gespeicherten Kohlenstoffs freigesetzt wird. «Nach längerer Zeit ist das System aber wieder in einer Art Gleichgewicht.» Tropische Weiden gelten daher nach längerer Nutzung weder als grosse Quellen, noch als Senken für CO2.

Weiden sind markante Quellen

Doch zur Überraschung der Forscher entpuppte sich das tropische Weideareal als «markante» Quelle: Mit 260 Gramm CO2 pro Quadratmeter entwich, vor allem aus dem Boden, fast so viel Kohlenstoff, wie beispielsweise eine Aufforstungsfläche in den mittleren Breiten «schluckt». Für Sebastian Wolf eine «beeindruckende Menge», die zudem zeigt: «Nicht die kontinuierliche Beweidung, sondern die kurzzeitige, intensive Überweidung während der Regenzeit, kann die Kohlenstoffbindung von Monaten innerhalb kürzester Zeit zunichtemachen.» Auch in der Trockenzeit könnten sich die Gräser nicht genügend erholen und Kohlenstoff binden, da sie im Gegensatz zur natürlichen Vegetation, dem Regenwald, nur geringe Wurzeltiefen haben und daher verwelken.

Aber nicht nur die Daten selbst sind für die Tropen in dieser Form neu, auch die Methode, mit der sie die Forscher ermittelt haben, wurde bisher nur sehr begrenzt in den Tropen eingesetzt – die so genannte Eddy-Kovarianz-Methode, auch Fluss-Messung genannt. Dazu werden - in diesem Fall zwei – drei und 15 Meter hohe «FLUXNET-Türme» in die zu untersuchende Fläche gestellt. Sie erinnern an eine Aluminium-Leiter, an der am oberen Ende diverse Messgeräte befestigt sind. Damit ermitteln die Wissenschaftler in 20-Hertz-Intervallen die Windgeschwindigkeit und -richtung, sowie die CO2- und Wasserdampfkonzentration. «Anhand dieser Daten können wir dann errechnen, ob und wie viel Kohlenstoff von Boden und Pflanzen in die Atmosphäre «veratmet» oder aus der Atmosphäre aufgenommen wurde», erklärt Wolf.

Parallel dazu haben Wolf und seine Kollegen auch in der Biomasse gemessen und ermittelt, wie viel Kohlenstoff jeweils von Pflanzen und Boden emittiert, beziehungsweise aufgenommen wird. Das Resultat: Die Ergebnisse beider Messmethoden stimmten weitestgehend überein, was die Aussage der Fluss-Messungen zusätzlich unterstützt. «Es gibt nur ganz wenige Studien im Amazonas, in denen die Flüsse gemessen und gleichzeitig systematisch mit Biomassemessungen verglichen wurden.»

Spinnen störten Sensoren

Doch bis Sebastian Wolf seine Daten zusammen hatte, musste er sich mit so manchen ungebetenen Gästen auseinandersetzen, die auch jenen erwähnten vorweihnachtlichen Notfall-Einsatz erforderten. «Wir haben besonders viele Probleme mit Tieren gehabt. Ameisen etwa, die sich in unsere Instrumentenkästen eingenistet haben, oder Spinnen, die offenbar die optischen Sensoren besonders anziehend fanden.» Und so fiel immer mal wieder ein Instrument aus. «Zuverlässige Leute vor Ort sind daher entscheidend dafür, ob ein Projekt in Entwicklungsländern gelingt oder nicht.» Viele Projekte seien bisher an solchen Pannen gescheitert.

Doch die ETH-Forscher fanden zuverlässige Partner und das Projekt konnte im Frühjahr 2010 erfolgreich abgeschlossen werden. Und nun? «Leider wird das Projekt nicht weitergeführt. Dabei wäre es jetzt notwendig, entsprechend der Ergebnisse zu handeln.» Etwas wenn es darum geht, den im Kyoto-Protokoll beschlossenen «Mechanismus für saubere Entwicklung» erfolgreich umzusetzen. Dabei können Unternehmen aus Industrieländern zum Beispiel eine Aufforstung in den Tropen finanzieren und erhalten über die dadurch eingesparte Menge an CO2 Zertifikate, die sie dann auf ihr Emissionskonto anrechnen lassen oder wieder verkaufen können. Aber das macht nur Sinn, wenn in den tropischen Ländern auch Massnahmen zum Zuge kommen, die zwar so klimaschonend wie möglich, aber auch an die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst sind. Denn viele Kleinbauern, nicht nur in Panama, sind auf die Weiden angewiesen, sagt Sebastian Wolf: «Wenn wir hier zur Altersvorsorge Geld auf die Bank bringen, stellt ein Bauer in Panama eine Kuh auf die Weide.»

Ein Mix, ein so genanntes silvopastorales System, wäre daher laut Wolf eine geeignete Kompromiss-Lösung. Das heisst, die Weideflächen werden nur teilweise mit Bäumen aufgeforstet, sodass CO2 gebunden und die Speicherfunktion des Bodens erhalten bleibt. «Die restliche Fläche sollte den Kleinbauern auch weiterhin als Weide zur Verfügung stehen.»

Literaturhinweis:

Wolf S, Eugster W, Potvin C, Turner BL, Buchmann N (2011). Carbon sequestration potential of tropical pasture compared with afforestation in Panama. Global Change Biology 17(9): 2763-2780, http://onlinelibrary.wiley.com. DOI:10.1111/j.1365-2486.2011.02460.x

 
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