Veröffentlicht: 13.12.07
Neues Tool für Konfliktforscher

Kriegsschau mit Google Earth

Der ETH-Doktorand Nils B. Weidmann erleichtert Konfliktforschern den Alltag: Dank seines neuen Tools WarViews lassen sich kriegerische Auseinander- setzungen mit wenigen Mausklicks via Google Earth visualisieren.

Conny Schmid
Die roten Punkte stellen kriegerische Konflikte dar, die sich in Ruanda und den umliegenden Staaten zwischen 1992 und 1994 ereignet haben.
Die roten Punkte stellen kriegerische Konflikte dar, die sich in Ruanda und den umliegenden Staaten zwischen 1992 und 1994 ereignet haben. (Grossbild)

Man kann dem virtuellen Online-Globus Google Earth durchaus kritisch gegenüberstehen. Immerhin bietet die frei zugängliche Satellitenbilder-Software zum Teil derart detailgetreute Einblicke in einzelne Strassenzüge und Verkehrssysteme, dass das Programm regelmässig nicht nur die Datenschützer sondern auch ganze Regierungen auf den Plan ruft. Aus Angst, Terroristen könnten das Tool zur Planung von Anschlägen nutzen, wurden heikle Informationen in einigen Ländern bereits zensuriert.

Dass Google Earth in Zusammenhang mit kriegerischen Konflikten indessen auch sinnvoll genutzt werden kann, beweist jetzt der ETH-Forscher Nils B. Weidmann. Der Informatiker ist Doktorand an der Professur für Internationale Konfliktforschung bei Lars-Erik Cederman und hat zusammen mit der Dresdner Kartografin Doreen Kuse die Software WarViews entwickelt. Wobei Software eigentlich der falsche Ausdruck ist: WarViews ist vielmehr ein Datenpaket, das geografische und politikwissenschaftliche Informationen vereint und diese via Google Earth leicht nutzbar macht. Weidmann hat in unterschiedlichen Dateiformaten vorliegende Rohdaten zu kriegerischen Auseinandersetzungen sowie zu Öl-, Gas- und Edelsteinvorkommen so bearbeitet, dass sie über einen Webserver direkt und automatisch beim Starten des Programms in Google Earth importiert und angezeigt werden.

Aufschlussreich und nutzerfreundlich

Hintergrund für seine Idee bildet die Erkenntnis, dass zwischen gewaltsamen Konflikten und der jeweiligen geografischen Lage ein starker Zusammenhang besteht. Viele Konfliktforscher beziehen deshalb Informationen über die zeitliche und räumliche Dimension von kriegerischen Auseinandersetzungen aber auch von umkämpften Ressourcen in ihre wissenschaftlichen Analysen mit ein. Bis anhin war dies für sie allerdings mit beachtlichem Mehraufwand verbunden. Für die Analyse der Daten existieren sogenannte Geoinformationssysteme (GIS). Deren Benutzung erfordert aber zusätzliche Schulung. „GI-Systeme sind unübersichtlich und schwierig zu handhaben, besonders für jemanden, der sich nicht in erster Linie mit Computern und Informatik beschäftigt“, erläutert Nils B. Weidmann. Hier schafft WarViews nun Abhilfe. Um sich beispielsweise die aktuellen Konfliktherde in Ruanda zu vergegenwärtigen, ist lediglich der Download von Weidmanns Datendatei im Google Earth-Format nötig. Danach genügt ein Doppelklick sowie die Eingabe des Zielortes in Google Earth, und nach kurzer Ladezeit erscheinen überall rote Punkte über dem Satellitenbild. Ein Klick darauf bringt genauere Informationen zum betreffenden Vorfall zum Vorschein. Die exakten Koordinaten sowie Datum, Uhrzeit und die Namen der beteiligten Konfliktparteien werden angegeben. Gelbe und graue Punkte stellen Diamant- und Edelsteinvorkommen dar, Öl- und Gasfelder sind als grüne beziehungsweise rote Doppelpunkte, die Pipelines als einfache Linien in denselben Farben zu erkennen. Mitttels Polygonen werden in unterschiedlichen Farben zudem jeweils unterschiedliche Ethnien dargestellt. Die Daten stammen aus verschiedenen Quellen, der geografische Datensatz über ethnische Gruppen wurde an der Professur selber erstellt.

Prozesse visualisieren

Der grösste Vorteil von WarViews liegt darin, dass nicht nur aktuelle Informationen abgerufen werden können. Google Earth bietet die Möglichkeit, eine Zeitachse einzubauen. „Gerade für die Erforschung von Konflikten ist dies unabdingbar, da es sich um dynamische Prozesse handelt“, sagt der junge Forscher. Die von ihm verwendeten Daten zu gewaltsamen Zusammenstössen decken die Jahre 1960 bis 2004 ab. Wer den ganzen Zeitrahmen abspielt, kann in Google Earth somit die Ausbreitung kriegerischer Konflikte über mehr als 40 Jahre verfolgen. Die Daten decken allerdings nur innerstaatliche Auseinandersetzungen ab und auch nur solche, bei denen mindestens zwei Konfliktparteien beteiligt waren. Sogenannte „one-sided violence“ – darunter fällt beispielsweise der Angriff auf ein Dorf durch eine Rebellengruppe – sind nicht darin enthalten. Gleichwohl ermöglicht WarViews Forschern, sich schnell einen Überblick über historische Prozesse zu verschaffen und diese zu visualisieren. „Für die wissenschaftliche Analyse und statistische Auswertung braucht es aber weiterhin spezielle Software“, so Weidmann. Das Interesse an WarViews sei dennoch gross, nicht nur zu Forschungszwecken. So soll das Tool beispielsweise an der Norwegian University of Science and Technology in Trondheim in Kursen über Konfliktforschung eingesetzt werden.

 
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