Veröffentlicht: 11.06.07
ETH Zürich Wolfgang Pauli Konferenz

Umstrittene Vorstellungen in der modernen Wissenschaft

In der theoretischen Physik seiner Zeit war Wolfgang Pauli eine dominante Figur und Albert Einstein betrachtete ihn als seinen Nachfolger. Eine Konferenz zum Thema „Wolfgang Pauli’s Philosophical Ideas and Contemporary Science“, die kürzlich auf dem Monte Verità stattfand, beleuchtete den fortdauernden Einfluss von Paulis Ideen. Die von der ETH Zürich unterstützte Konferenz veranschaulichte einmal mehr die Bandbreite seines Denkens.

Renata Cosby
Inspiriert noch heute Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten: Wolfgang Pauli. (Bild: nobelprize.org)
Inspiriert noch heute Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten: Wolfgang Pauli. (Bild: nobelprize.org) (Grossbild)

Wie Einstein lehrte auch Pauli an der ETH Zürich. 1945 erhielt er den Nobelpreis für Physik. Er war ein genialer und eigenwilliger Kopf, der gängige Vorstellungen in Frage stellte und damit auch selbst umstritten wurde.

Ulrich Müller-Herold, ETH-Professor und theoretischer Chemiker im Departement Umweltwissenschaften, hat die Konferenz mit organisiert:

Wieso fasziniert Wolfgang Pauli die Wissenschaft bis heute?

Neben der Physik hatte Pauli noch andere tiefgehende Interessen, von denen etwa seine Assistenten und Kollegen an der ETH nichts wussten. Dazu zählen seine naturphilosophischen Ideen und sein Interesse für die analytische Psychologie, wie sie damals von Carl Gustav Jung in Zürich entwickelt wurde. Diese verborgenen Seiten Paulis wurden und werden weiteren Kreisen erst nach und nach bekannt, vor allem durch die noch immer nicht abgeschlossene Veröffentlichung seiner umfangreichen Briefkorrespondenz.

Welches waren die Höhepunkte der Konferenz?

Für mich persönlich war es vielleicht die Tatsache, dass die Konferenz eine der grossen und offenen Fragen der westlichen Philosophie anschnitt, das sog. Leib-Seele-Problem, d.h. die Frage nach der Beziehung von Materie und Bewusstsein. Diese Frage stand im Zentrum von Paulis und Jungs gemeinsamen Interessen und sie entzieht sich bis heute weitgehend der wissenschaftlichen Bearbeitung.

An der Konferenz wurde die Frage aus einer neuen Perspektive angegangen, die sich aus der grundlegenden Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Zeit ergibt: der physikalischen Zeit, die nur zwischen dem „Früher“ und „Später“ von Zeitpunkten unterscheidet, und der inneren (mentalen) Zeit mit ihren drei Zeitmodi „Vergangenheit“, „Gegenwart“ (dem Jetzt) und „Zukunft“

Es wurde nun vorgeschlagen, die mentale Zeit mittels einer speziellen mathematischen Symmetriegruppe zu beschreiben, der „erweiterten affinen Gruppe“. Diese Gruppe hat genau drei irreduzible unitäre Darstellungen, und es scheint, dass diese gerade den drei Zeitmodi entsprechen. Damit eröffnen sich neue Untersuchungsmöglichkeiten, vor allem weil das hoffnungslos überkomplexe Leib-Seele-Problem zunächst einmal durch ein verwandtes, aber einfacheres und besser strukturiertes ersetzt werden kann.

Wolfgang Pauli stand dem „nur Rationalen“ in der Wissenschaft kritisch gegenüber. In welchem Ausmass folgt die Wissenschaft Pauli in dieser Beziehung?

Pauli erachtete die moderne Wissenschaft als einseitig. Er wies immer wieder darauf hin, wie sehr auch das Irrationale eine Rolle spielt. Träume, zum Beispiel, sind oft ausschlaggebend bei wissenschaftlichen Entdeckungen; aber es gibt durchaus noch mehr Erscheinungsformen des Irrationalen. In der Wissenschaft, zumindest in der Wissenschaft als einem sozialen System, wird das Irrationale aber unterdrückt. Pauli war überzeugt, dass dieses Unterdrücken weder für die Wissenschaft noch für die Gesellschaft von Nutzen ist. Das publizierte Material belegt, dass irrationale Elemente in den Arbeiten von Oppenheimer, Teller und Sacharow eine wichtige Rolle spielten, als sie die Atombombe entwickelten: Oppenheimer sprach von „sweet physics“ und Sacharow bekannte sich rückblickend zu seinen Allmachts-Phantasien.

Was soll man von der Frage des Mystizismus bei Paulis Überzeugungen halten?

Ich würde es nicht Mystizismus nennen. Man muss einfach den wissenschaftlichen Alltag zur Kenntnis nehmen, zum Beispiel die Augenblicke kreativer Erkenntnis. Das Wort „Einfall“ beschreibt sehr schön, was dabei passiert: etwas „fällt in unser Bewusstsein“ und niemand weiss, woher es kommt. Pauli und Jung sahen seinen Ursprung in den archetypischen Strukturen des Unbewussten: Unbewusstem „Bebrüten“ folgen plötzliche „Aha-Momente“. Danach muss dann die rationale Wissenschaft den kreativen Einfall in einen kohärenten Zusammenhang mit dem bestehenden Wissen bringen. Darin liegt nichts Mystisches.

Wo lagen Paulis Grenzen?

Wenn man überhaupt davon sprechen will, so resultierten sie aus seinen hohen, vielleicht allzu hohen Ansprüchen an wissenschaftliche Qualität. Er publizierte Resultate erst, nachdem er physikalisch völlige Klarheit gewonnen und mathematisch zu einer einwandfreien Formulierung gefunden hatte. Diese restriktive Haltung galt auch für seine bissige Kritik, die manch weniger selbstbewussten Kollegen zum Schweigen gebracht hat.

Wirkte sich das auf Paulis Lehrtätigkeit aus?

Pauli war insofern ein ausgezeichneter Lehrer, als er fortwährend ausgezeichnete Physiker hervorbrachte. Er begründete eine Schule der theoretischen Physik in der Schweiz, die bis heute fortwirkt. Bekannte Wissenschaftler, die als Studenten seine Vorlesungen besuchten, erinnern sich, dass Pauli Einsichten vermittelte, die sonst nirgends „zu haben“ waren.

Auf welchen Gebieten ist Paulis Vermächtnis heute noch von Bedeutung

Seine umfangreiche Korrespondenz und nicht publizierten Manuskripte berühren verschiedene Gebieten der Naturwissenschaft und Philosophie: Vorstellungen zum Verhältnis von Materie und Bewusstsein, Auffassungen von Zeit und Prozess, von adaptiver Mutation und epigenetischer Vererbung in der biologischen Evolution sowie vom Zustandekommen kreativer Erkenntnis. Einige von Paulis früher heterodoxen Auffassungen sind heute näher bei der aktuellen wissenschaftlichen Forschung als damals, vor allem seine Kritik an der Rolle des Zufalls im neo-darwinistischen Dogma der biologischen Evolution. Es war das Ziel der Pauli-Konferenz auf dem Monte Verità, auf diesen Gebieten aktive Wissenschaftler mit Paulis Vorstellungen ins Gespräch zu bringen.

Auch Paulis Verbindung mit Jung bleibt faszinierend. Eine Sammlung von etwa 400 Träumen, die Pauli während der Dauer seiner Psychoanalyse, zuerst mit Erna Rosenbaum, später mit C.G. Jung, in den frühen Dreissigerjahren aufzeichnete, wird demnächst veröffentlicht werden. Etwa fünfzig dieser Träume verwendete Jung in seinem Klassiker „Psychologie und Alchemie“, wo sie eine wichtige Rolle bei der Darlegung seines epochalen Ansatzes spielen. Nach der Veröffentlichung der vollständigen Traumsammlung könnte die Zeit dann reif für eine weitere Pauli-Konferenz sein.