Veröffentlicht: 28.10.13
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Erzählen, nicht nur Zählen

Jonas Lüscher ist Doktorand der Philosophie an der ETH Zürich – und ein erfolgreicher Schweizer Schriftsteller. Mit seiner Debütnovelle «Frühling der Barbaren» figurierte er unter den fünf Nominierten für den Schweizer Buchpreis.

Angela Harp/Norbert Staub
Bietet erzählend der «quantitativen Blendung» der Gesellschaft Paroli: Jonas Lüscher, Autor und ETH-Doktorand der Philosophie. (Bild: Jonas Lüscher)
Bietet erzählend der «quantitativen Blendung» der Gesellschaft Paroli: Jonas Lüscher, Autor und ETH-Doktorand der Philosophie. (Bild: Jonas Lüscher) (Grossbild)

Mit Spannung erwartete das 400-köpfige Publikum im Theater Basel gestern Sonntag, 27. Oktober, wer das Rennen um den Schweizer Buchpreis macht, die wichtigste literarische Auszeichnung der Deutschschweiz. Insgesamt 82 Nominationen waren eingegangen, fünf Autorinnen und Autoren schafften es mit ihren aktuellen Werken auf die Shortlist der zum sechsten Mal ausgetragenen Prämierung.

Auf dieser Shortlist stand mit Jonas Lüscher auch ein Doktorand an der ETH-Professur für Philosophie von Michael Hampe. Im Juni erhielt er den Berner Literaturpreis für sein Erstlingswerk. Ganz nach vorn schaffte es der Debütant nicht: Den mit 30‘000 Franken dotierten Preis holte sich schliesslich Jens Steiner für seinen Roman «Carambole».

Erfolg darf nicht vereinnahmen

Dennoch: Es sei eine grosse und überraschende Anerkennung, mit einem Debüt gleich auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises zu stehen, sagt Jonas Lüscher auf Anfrage von «ETH Life». «Die Nominierung generiert viel Aufmerksamkeit für mein Buch, das ist erfreulich», sagt Jonas Lüscher. Auf der anderen Seite müsse er darauf achten, dass dies nicht zu viel Raum einnimmt. Denn: «Das Schreiben und das Vermarkten von Bücher vertragen sich schlecht.»

In der Novelle «Frühling der Barbaren» feiert ein Investmentbanker aus London Hochzeit in einem Resort an der tunesischen Wüste, als die Gäste plötzlich im Internet vom Staatsbankrott ihres Landes lesen: Sie sind auf einen Schlag alle arbeitslos und bankrott. Mit einer reichen, beweglichen Sprache philosophiert Lüscher über menschliche Schwächen in einer Krisensituation. In persiflierendem Ton balanciert er mit Erfolg zwischen Farce und Realitätsdiagnose.

Vermehrt Narration statt Computermodelle

Angesprochen auf das Zusammenspiel seiner wissenschaftlichen Forschung als Philosoph und seiner Rolle als Autor meint Jonas Lüscher: «Ich vertrete in meiner Doktorarbeit die These, unsere Gesellschaft sei einer quantitativen Blendung erlegen; und ich versuche zu zeigen, weshalb wir uns als Gesellschaft bei der Beschreibung komplexer, sozialer Probleme vermehrt auf Narrationen, das heisst Literatur, Film, Journalismus verlassen sollten statt auf Computermodelle.» Wenn man diese These ernst nehme, so der Wissenschaftler und Schriftsteller, brauche es literarische Formen, um Philosophie zu betreiben. «Literarisches und philosophisches Schreiben, aber auch politisches, gehören also zusammen.»