Veröffentlicht: 26.07.13
Campus

Architektur mal ganz praktisch

Rund 45 Architekturstudierende der ETH Zürich verbringen einen Teil ihrer Semesterferien auf einer Baustelle in Zollikon. Dort entsteht dieser Tage ein neuer Aussichtsturm. Das Besondere daran: Die Studierenden haben ihn nicht nur entworfen und den Bau geplant, sie bauen die Holzkonstruktion auch eigenhändig auf.

Maja Schaffner
ETH-Studierende beim Bau des Aussichtsturms auf dem Zollikerberg. (Foto: Vera Hobrecker / ETH-Studio Emerson)
ETH-Studierende beim Bau des Aussichtsturms auf dem Zollikerberg. (Foto: Vera Hobrecker / ETH-Studio Emerson) (Grossbild)

«Hier sehe ich zum ersten Mal, wie es auf einer Baustelle wirklich funktioniert», sagt Vera Hobrecker. Die Architekturstudentin und ihr Mitstudent Lukas Vogt sind gerade dabei, Geländer für den neuen Aussichtsturm in Zollikon zu fertigen. Sie schleppen Holz, hantieren mit Bohrer und Kreissäge. «Erst wenn man es selbst macht, sieht man, wie kompliziert es eigentlich ist», sagt Vogt. «Wenn man einen Plan gezeichnet hat, ist noch lange nicht Schluss. Derjenige, der ihn ausführen muss, sollte ihn auch lesen können. Hier merken wir, wie es ist, wenn auf dem Plan genau das Mass fehlt, das wir brauchen.»

Die beiden arbeiten gegenwärtig auf einer etwas ungewöhnlichen Baustelle an der Ecke Forchstrasse / Bergstrasse in Zollikon. Hier bauen rund 45 Studierende des Departements Architektur der ETH Zürich unter der Leitung des Teams von Tom Emerson, Assistenzprofessor für Architektur und Entwurf, einen Aussichtsturm. Das treppenförmige Bauwerk wird aus rund 20 Tonnen Eichenholz zusammengesetzt und soll rund elf Meter hoch werden. Eine Besonderheit: Im unteren Teil kommt es ohne Schrauben und Nägel aus.

«Wir arbeiten normalerweise auf den Millimeter genau», sagt Studentin Hobrecker. Nun erfahren die Studierenden jedoch, dass die Toleranz auf dem Bau eher im Zentimeter- als im Millimeterbereich liegt. Auch zu sehen, wie sich das Holz an der Sonne verbiegt, was beim Bauen ebenfalls berücksichtigt werden musste, fand sie eine wertvolle Erfahrung. «Die Realität ist eben nicht wie auf dem Plan gezeichnet», sagt sie.

Zur Abwechslung mal mit den Händen arbeiten

«Mir war es vor allem sehr wichtig, nicht immer nur mit dem Kopf, sondern für einmal auch mit den Händen zu arbeiten», sagt Hobrecker. «Wirklich eins zu eins, mit richtigem Werkzeug und echtem Holz.» Vogt hat es gefallen, beim Gerüstaufbau dabei zu sein, ein Loch graben zu helfen, Beton zu schaufeln oder auch zu wissen, wie es sich anfühlt, einen Tag lang an der prallen Sonne zu arbeiten. «Es sollte für Architekturstudierende obligatorisch sein, ein Praktikum auf einer Baustelle zu machen», findet Hobrecker. Obwohl sie von der körperlich anstrengenden Arbeit am Abend jeweils total geschafft ist.

Auch Pascal Schmidhalter verbringt seine Ferien auf der Studenten-Baustelle. Er und ein paar Kollegen sind gerade damit beschäftigt, einen vorgefertigten Holzrahmen an den zukünftigen Aussichtsturm anzubauen. Die jungen Männer richten das schwere Bauteil mit einer Seilwinde auf, ziehen es mit Spannsets an seinen Bestimmungsort, messen mit Zollstock und Wasserwaage mehrmals nach, ob alles stimmt, fixieren dann den Rahmen mit Holzdübeln, Holzkeilen und Gurten am bereits stehenden Teil des Turms. Nun muss er nur noch betoniert werden.

Nicht nur entwerfen, sondern auch ausführen

Schmidhalter hat Freude daran, dass sie als Studierende eine eigene Baustelle haben, selbst Hand anlegen dürfen und dabei praktisch denken müssen. «Für mich ist vor allem interessant, das umzusetzen, was wir uns ausgedacht haben», sagt er. «Da merkt man, wenn etwas ‹Chabis› war oder man etwas eigentlich hätte einfacher machen können», sagt er. Für ihn ist das Projekt ein einmaliges Erlebnis, welches er nicht so schnell vergessen wird.

Selina Masé, eine weitere Architekturstudentin, macht an diesem Tag gerade mit dem Stechbeitel vom Abbundwerk rund gefräste Löcher in einem Balken eckig, damit sich die einzelnen Holzverbindungen ineinander stecken lassen. Sie sagt: «Ich finde es besonders spannend, dass man für einmal den gesamten Prozess sieht statt wie sonst nur den Entwurfsteil.» Sie hat in der Vorbereitungsphase im Logistikteam mitgearbeitet und fand es lehrreich zu sehen, woran man im Vorfeld alles denken muss, worauf man achten und worauf es bei der Kommunikation mit den beteiligten Unternehmen ankommt.

Der Turm bleibt am Schluss stehen

Entstanden ist das Projekt auf Initiative und Finanzierung der «Vereinigung Zolliker Kunstfreunde». Der Verein konnte ein ursprünglich auf dem Areal geplantes Kunst-Projekt, einen Leuchtturm, nicht realisieren. Stattdessen fragten sie die Professur von Emerson an, mit ihren Studierenden ein Bauwerk zu entwerfen, planen und bauen. «Wir konnten das Projekt nicht wie vorgesehen im Rahmen eines Semesterkurses abschliessen», erklärt Boris Gusic, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Emerson und einer der Betreuer des Projektes. Die Baubewilligung verzögerte sich. Deshalb finden die eigentlichen Bauarbeiten – jetzt, da die Bewilligung endlich da ist – in einer separaten Veranstaltung in Form einer Wahlfacharbeit in den Sommerferien statt.

Daher stehen nun seit Ende Juni täglich rund 20 Studenten auf der Baustelle. Jeder davon muss mindestens drei Wochen mitarbeiten. «Es dauert alles sehr lange», sagt Gusic schmunzelnd. «Die Studierenden organisieren alles selbst. Sie hatten zuvor keine Routine bei den handwerklichen Arbeiten und waren auch die schwere körperliche Arbeit nicht gewohnt.» Die Bauarbeiten werden rund sieben bis acht Wochen dauern. Anfang September soll das Bauwerk eingeweiht werden. Danach darf es während mindestens zwei Jahre stehen bleiben. Etwas, das bei Bauten von Studierenden normalerweise nicht der Fall ist, und alle ganz besonders freut.

 
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