Veröffentlicht: 23.07.13
Science

«Softe» Roboter mit grosser Zukunft

Forscher aus aller Welt trafen sich letzte Woche auf dem Monte Verità für einen einwöchigen Workshop zum Thema «Soft Robotics». Sie waren sich einig: Die Nachahmung von weichen Bestandteilen aus der belebten Natur könnte zu einer komplett neuen Generation von Robotern führen.

Samuel Schläfli
Ein nachgebauter Finger aus weichem Polymer aus der Forschungsgruppe von Fumyia Iida. Über Fäden, nicht dicker als ein Haar, können die Bewegungen der Roboterhand gemessen und die entsprechenden elektrischen Signale für eine optimierte Steuerung genutzt werden. (Bild: Samuel Schlaefli)
Ein nachgebauter Finger aus weichem Polymer aus der Forschungsgruppe von Fumyia Iida. Über Fäden, nicht dicker als ein Haar, können die Bewegungen der Roboterhand gemessen und die entsprechenden elektrischen Signale für eine optimierte Steuerung genutzt werden. (Bild: Samuel Schlaefli) (Grossbild)

Der Monte Verità, ein dicht bewaldeter Hügel hinter Ascona, ist vor allem als ehemaliger Anziehungspunkt für Aussteiger und Anarchisten bekannt und als gelebte Utopie eines naturnahen Lebens. Dass sich dort letzte Woche gerade die Speerspitze der internationalen Robotik-Gemeinde traf, mutet im ersten Moment ironisch an. Doch die Vertreter der «Soft Robotics» sind eben anders: Sie nehmen sich die Natur zum Vorbild und verbinden so unterschiedliche Disziplinen wie Robotik, Ingenieurwissenschaften, Materialwissenschaften, Chemie und Biologie.

Zum «Soft Robotics»-Workshop auf dem Monte Verità, einer der ersten internationalen Veranstaltungen zum Thema, hatte Fumyia Iida geladen. Der Assistenzprofessor am Institut für Robotik und Intelligente Systeme entwickelt an der ETH Zürich seit 2009 solche weiche, von der Natur inspirierte Roboter. «Der menschliche Körper besteht zu rund 90 Prozent aus weichen Teilen. Doch 99 Prozent der Roboter sind pickelhart», sagt Iida.

Er ist ein wichtiger Vertreter einer neuen Generation von Robotikern, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Robotik vor allem durch das Nachahmen von weichen natürlichen Strukturen wie Hautgewebe oder Muskeln voranzutreiben. «Solche Gewebe sind flexibel, elastisch und im Umgang sehr sicher», sagt Iida. «Das sind sehr interessante Materialeigenschaften, die in der Robotik bislang komplett vernachlässigt wurden.» Genau das will die etwas über 100-köpfige Forschergemeinde nun ändern, die sich zum Austausch im ETH-eigenen Centro Stefano Franscini traf.

Schleimpilze und Tintenfische als Vorbilder

Akio Ishiguro von der Universität Tohoku, Japan, ist einer von Iidas Forschungskollegen. Wie er während einer Präsentation zeigte, lässt sich seine Robotik-Gruppe von Schleimpilzen inspirieren. Basierend auf Verhaltensstudien des faszinierenden, amöbenartigen Einzellers, der trotz Abwesenheit eines Zentralnervensystems ganz unterschiedliche Verhaltensmuster kennt, entwickelt Ishiguro Roboter. Diese können sich in bislang unbekannter Weise an ihre Umgebung anpassen und sind wesentlich fehlertoleranter als herkömmliche Roboter. Andere Forschungsgruppen, die ihre Ergebnisse an der Konferenz präsentierten, nehmen sich Raupen, Würmer, Schlangen, Pflanzenwurzeln oder Tintenfische zum Vorbild.

Der Erkenntnisgewinn fliesst jedoch mittlerweile nicht mehr nur vom Studium der Natur in die Robotik, sondern auch umgekehrt: Biologen versuchen heute, ihre Organismen auch dank Erkenntnissen aus der Robotik besser zu verstehen. Der Biologe Fritz Vollrath von der Universität Oxford zum Beispiel präsentierte seine langjährigen Studien über Spinnen und den Mechanismus, mit welchem diese in kürzester Zeit unglaublich feste Seidennetze fabrizieren. Er ist überzeugt, dass ihm die Robotik dabei helfen kann, die dahinterstehenden Prinzipien besser zu verstehen. Iida erklärt in diesem Zusammenhang: «Ein natürlicher Organismus ist sehr komplex und reagiert immer auf eine ganze Reihe von Stimuli gleichzeitig. Wenn wir solche Systeme mit weichen Materialien nachbauen, vereinfachen und kontrollieren können, gewinnen wir auch neue Erkenntnisse über die Funktion der Natur.»

Grosses Potential für die Medizin

Der internationale Workshop entspricht einem derzeitigen Trend in der Robotik. Immer mehr Forschungsgruppen entdecken das Thema «Soft Robotics» für sich, darunter auch weltbekannte Wissenschaftler wie der Harvard-Chemiker George M. Whitesides. Seine Universität gründete vor kurzem ein neues Institut für die Bündelung von Wissen aus unterschiedlichen Wissenschaften zugunsten der «Soft Robotics». Gleichzeitig hat die EU kürzlich ein Projekt lanciert, um die Forschungsanstrengungen in diesem Bereich besser zu verknüpfen und zu koordinieren.

Auch die Schweiz ist mit Forschungsgruppen an den beiden ETHs und der Universität Zürich international an vorderster Front dabei. Laut Iida erlebt «Soft Robotics» aktuell auch deshalb einen Boom, weil Ärzte den medizinischen Einsatz von Robotern nach anfänglicher Skepsis je länger je mehr unterstützen. Gerade in der Medizin, sowohl im chirurgischen wie auch im therapeutischen Bereich, erkennen Experten nämlich heute das grösste Potential für «weiche» Robotik. Ebenso für die Entwicklung von intelligenten, gut angepassten Körperprothesen, zum Beispiel für Hände oder Beine. Ein weiterer wichtiger Treiber ist die rasante Entwicklung des 3D-Drucks. Damit lassen sich heute Roboterteile, auch aus weichen Materialien, schnell und kostengünstig produzieren.

Mit Unsicherheiten umgehen lernen

Die neue Elastizität in der Robotik bringt auch eine Reihe neuer Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel verlangt sie nach komplett neuen Antrieben. Schliesslich soll nicht nur die Hülle des Roboters schmiegsam sein, sondern der gesamte Körper. Zahnräder und Kurbelwellen taugen da nicht. Deshalb suchen viele Forschungsgruppen nach Alternativen, zum Beispiel neuartigen Antrieben mittels chemischer Reaktionen von Flüssigkeiten oder Gasen. Vorbild dafür sind wiederum natürliche Zellen.

Auch die Algorithmen zur Steuerung der Roboter müssen neu gedacht werden. Starre, exakt durchkonstruierte Roboterstrukturen haben den Vorteil, dass jede Schraube, jedes Gelenk und jeder Freiheitsgrad eines Körpers klar definiert und berechenbar ist. Das ändert sich jedoch komplett, wenn man mit weichen, unregelmässigen Materialien arbeitet. Der Umgang mit zufälligen, nicht planbaren Ereignissen und das selbständige Lernen von Steuerungssystemen werden deshalb künftig eine zentrale Rolle in der Robotik spielen. Zugleich werfen die neuartigen Roboterdesigns die Frage neu auf, ob zentrale oder dezentrale, auf den Körper verteilte, Steuerungen zweckmässiger sind.

Nach Tagen vollgepackt mit Vorträgen, Workshops und Poster-Präsentationen, bot sich der «Soft Robotics»-Gemeinde auf der Terrasse des Centro Stefano Franscini abends bei einem kühlen Bier mit Blick auf den naheliegenden Lago Maggiore die Gelegenheit, die Gespräche weiterzuführen. Nicht nur über die Zukunft der weichen Robotik, sondern auch über die Verantwortung der Wissenschaften in der heutigen Gesellschaft und deren Beitrag zum Wohle der Menschheit. Spätestens hier wären die alten Aussteiger und Anarchisten des Monte Verità wieder mit von der Partie gewesen.

 
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