Grosses Potenzial und viele Unbekannte
Die Werner Siemens-Stiftung fördert die Tiefengeothermie-Initiative der ETH Zürich mit einer Donation von 10 Millionen Franken. Das unterstützt die ETH Zürich in ihrem Vorhaben, die erste von zwei geplanten Professuren im Bereich Tiefengeothermie aufzubauen. Im Interview mit ETH Life äussert sich Professor Domenico Giardini als Delegierter der Schulleitung für Tiefengeothermie über die Chancen, Risiken und Möglichkeiten, die diese Art der Energiegewinnung in der Schweiz hat und darüber, was die erste Professur für Geoenergie leisten muss.
ETH Life: Die
Donation der Werner-Siemens-Stiftung erlaubt es der ETH Zürich, eine neue Professur
für Tiefengeothermie aufzubauen. Was soll und kann diese Professur leisten?
Domenico Giardini: Ich hoffe viel! Wir müssen erforschen, ob wir die Tiefengeothermie
in der Schweiz nutzen können oder nicht. Heute können wir nicht mit Gewissheit
sagen, ob wir im Jahr 2050 fünf, zehn oder null Prozent unseres Stroms und Energie
mithilfe der Tiefengeothermie erzeugen können. Diese Antwort erhalten wir erst,
wenn wir dieses Gebiet gründlich erforschen.
Die neue Professur
ist den Erdwissenschaften angegliedert. Welche Fragen soll sie beantworten?
Die Professur soll sich mit der geologischen Umgebung in der
Tiefe, wo die Wärme gewonnen werden soll, befassen. Also damit, ob in drei bis
fünf Kilometern unter der Erdoberfläche Wasser vorhanden ist und welches
Gestein dort vorkommt. Um zu bestimmen, wo die Tiefengeothermie eingesetzt
werden könnte, müssen wir die Geologie und unterschiedliche Methoden verstehen.
Weiter möchten wir herausfinden, ob wir diese Wärme in jedem Fall nutzen
können, um Energie zu erzeugen. Um von der Tiefengeothermie profitieren zu
können, müssen wir die geeigneten Technologien dafür auswählen.
Setzt die ETH Zürich mit
dem Ausbau Tiefengeothermie-Forschung auf das richtige Pferd?
Ja. Bund, Kantone, Gemeinden und die Industrie sind an der Tiefengeothermie
sehr interessiert. Die Industrie ist sich bewusst, dass sie ohne Forschung und
ohne besseres Technologieverständnis nicht weiterkommt. Der Bund hat neu 202
Mio. Franken für die Energieforschung für 2013 bis 2016 bereitgestellt. Eines
der geförderten Gebiete ist die Tiefengeothermie. Das zeigte der ETH Zürich,
dass das Interesse an diesem Thema grundsätzlicher Natur und für die ganze
Gesellschaft wichtig ist. Mich freut es umso mehr, dass auch Donatoren diese
Botschaft verstanden haben und in den Ausbau der Tiefengeothermie investieren. Die
Werner-Siemens-Stiftung hat erkannt, dass es in diesem Bereich Forschung und
Entwicklung braucht, und dass diese einen unmittelbaren Nutzen für die
Gesellschaft haben wird.
Dennoch ist noch
vieles ungewiss. Geht die ETH nicht das Risiko ein, dass sie in zehn Jahren die
Akte Tiefengeothermie schliessen muss?
Nein. In zehn Jahren werden wir wahrscheinlich noch nicht viel
Strom mit Tiefengeothermie produzieren. Es wird eine Phase geben, in der die
Technologie im experimentellen Stadium bleibt und wir den Strom aus Tiefengeothermie
subventionieren müssen. Das ist jedoch bei allen neuen erneuerbaren Energien
so. Es wird Zeit und neue Forschungsergebnisse brauchen, bis die Tiefengeothermie
als Technologie erfolgreich sein kann. Wenn die Frage also lautet, ob die
Tiefengeothermie für die ETH Zürich in zehn Jahren noch interessant ist, dann
ist die Antwort sicher positiv. Sie wird noch interessanter als heute.
In Basel war die
Akzeptanz nach den Erdbeben, welche durch die Tiefenbohrungen entstanden sind, verspielt.
Wie kann man die Bevölkerung vom Wert dieser Technologie überzeugen?
Die Leute haben zu Recht eine Urangst vor Erdbeben. In Basel
wurden Technologien verwendet, von denen behauptet wurde, dass sie kaum Risiken
haben sollen. Die Leute haben nicht verstanden, warum eine angeblich
«risikofreie» Technologie Erdbeben erzeugt. Wir müssen deshalb extrem sorgfältig
vorgehen und dürfen uns keine groben Fehler erlauben, weder in der
Kommunikation noch in der Technik.
Keine Frage scheint
mehr zu sein, ob das Potenzial in der Schweiz für die Tiefengeothermie vorhanden
ist. Wie hoch ist es Ihrer Meinung nach?
Die Tiefengeothermie hat ein gewaltiges Potenzial, denn die
Menge der Energie in Form von Wärme ist wirklich sehr hoch. Unsere tiefe Erde
ist heiss. Das wissen wir von Tunnelbauten wie dem Gotthard- oder dem
Neat-Tunnel. Diese Wärmeenergie entsteht durch den Zerfall von radioaktiven
Elementen und durch die Energie, die in der inneren Erde nach ihrer Entstehung erhalten
geblieben ist. Bohren Sie in die Tiefe, dann steigt die Temperatur pro
Kilometer um 20 bis 30 Grad.
Ist die Tiefengeothermie
wirklich die unerschöpfliche saubere Energiequelle, für die sie ausgegeben wird?
Ja, das ist so. Wenn Sie ein tiefes Gesteinsvolumen aufgrund
der Wärmenutzung abkühlen, wird es viel Zeit brauchen, bis sich dieses Volumen wieder
erwärmt. Das Grundgestein besteht aber aus so vielen Kubikkilometern, die wir gar
nicht alle nutzen können, auch in der langfristigen Zukunft nicht. In diesem
Sinn gilt die Tiefengeothermie als unerschöpflich.
Was passiert mit den
Anlagen, wenn das angebohrte Gesteinsvolumen erkaltet ist?
Die Idee ist, mit der gleichen Anlage ein neues
Gesteinsvolumen anzubohren, zum Beispiel an der Seite oder weiter unten. Das
Volumen ist so riesig, dass dies nicht ein Ressourcenproblem ist. Die
Herausforderung ist, die erste erfolgreiche Anlage zu installieren.
Das Bundesamt für
Energie spricht von 10 bis 15 Prozent Strom aus Tiefengeothermie und einem
Dutzend Anlagen im Jahr 2050.
Der Anteil der Tiefengeothermie an der Stromproduktion liegt
heute bei null Prozent. Deshalb ist schon eine Zunahme um ein Prozent ein
Gewinn. Dies wird aber unsere Energieprobleme nicht lösen. Wenn wir in zehn Jahren
erkennen, dass die ersten Bohrungen in die richtige Richtung gehen, dann
eröffnen sich viele neue Möglichkeiten, um bis im Jahr 2050 einen gewichtigen
Anteil, zum Beispiel eine Leistung von einem Gigawatt, zu installieren.
Was denken Sie
persönlich über die Tiefengeothermie? Welchen Anteil am Strommix wird sie
generieren?
Das Ziel ist, damit bis 2050 mindestens fünf bis zehn
Prozent des Schweizer Stroms zu produzieren. Sonst lohnt sich diese Technologie
nicht. Die Tiefengeothermie ist heute noch zu teuer. Vielleicht gewinnen wir damit
auch in einer ersten Phase nicht so viel Energie wie erwünscht. Wir arbeiten
aber daran, den Durchbruch in der Zukunft zu erreichen. Die ETH Zürich unternimmt
nun alles Nötige, um die Technologie zu erforschen und zu fördern. Genau
deshalb benötigen die ETH Zürich zwei Professuren und Industriekooperationen auf
diesem Gebiet.
Domenico Giardini ist Professor für Seismologie und Geodynamik am Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich und Delegierter der Schulleitung für Tiefen-Geothermie. Von 1997 bis Ende 2011 war er Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes SED.
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