Veröffentlicht: 10.04.13
Science

Die digitalen Turmbauer

ETH-Forschende am Future Cities Laboratory in Singapur untersuchen, wie sich das rasante Bevölkerungswachstum in Asiens Metropolen städtebaulich nachhaltig umsetzen lässt. Ein Team erforscht Robotersysteme, die Hochhäuser höchst präzise und effizient bauen und damit die Grundsteine für eine dauerhafte Entwicklung legen könnten.

Beat Gerber
Im ETH-Studio für «Architektur und digitale Fabrikation» in Singapur werden kleine, wendige Roboter erforscht, die hoch differenzierte vertikale Strukturen (im Bild im Modellmassstab) präzise und effizient bauen können. (Bild: ETH Zürich)
Im ETH-Studio für «Architektur und digitale Fabrikation» in Singapur werden kleine, wendige Roboter erforscht, die hoch differenzierte vertikale Strukturen (im Bild im Modellmassstab) präzise und effizient bauen können. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Singapur gilt als die asiatische Schweiz: sauber, sicher, stabil. Doch aus städtebaulicher Sicht gibt es einen deutlich sichtbaren Unterschied. Der Stadtstaat an der Südspitze der Malakka-Halbinsel beherbergt seine 5,3 Millionen Bewohner auf bloss 715 Quadratkilometern. Das treibt die Bevölkerungsdichte auf über 7‘200 Einwohner pro Quadratkilometer hoch, es lebt sich rund 35-mal enger als in der Schweiz.

Singapur ist denn auch eine augenfällige Metropole der Hochhäuser, betreffend Anzahl weltweit Nummer vier. Die Schweiz zwischen Romanshorn und Genf ist zwar ebenfalls ein stark urbanisierter Raum, doch reihen sich hier kleinere und mittelgrosse Städte in mittlerer Siedlungsdichte aneinander. Das gegenwärtig höchste Hochhaus Helvetiens, der Primetower in Zürich-West, sieht im Vergleich zu den Türmen in Singapurs Skyline aus wie ein niedlicher Zwerg.

Vorbildliche Gewähr für Qualität

Die Schweiz ist offensichtlich kein Land von Wolkenkratzern, in Singapur leben und arbeiten hingegen 80 Prozent der Menschen in solchen. Warum zeigt trotz dieser Differenz Singapur grosses Interesse an der ETH-Forschung im automatisierten Hochhausbau? «Die Schweiz bietet eine vorbildliche Gewähr für Qualität», sagt Gerhard Schmitt, Direktor des Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC), wo im dort integrierten Future Cities Laboratory (FCL) die vielschichtigen Aspekte einer nachhaltigen Stadtentwicklung erforscht werden (siehe Box).

Schweizer Städte wie Zürich und Genf stehen bekanntlich hinsichtlich Lebensqualität global an der Spitze. Damit verbunden sind weitere geschätzte Eigenschaften wie Innovationskraft, Präzision und Verlässlichkeit, die auch beim Hochhausbau überaus gefragt sind. In diese Bedürfnislücke gesprungen sind die beiden ETH-Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler mit ihrem Forschungsmodul «Architektur und digitale Fabrikation» am FCL. Sie studieren den Einsatz von Robotersystemen beim Erstellen von Hochhäusern vor allem aus architektonischer Sicht.

Die Entwürfe und Modelle ihrer luftigen, leicht verdrehten, vertikalen Strukturen sind seit langem bekannt. In der Praxis wurde das berühmte Weingut Gantenbein in Bündner Rheintal durch Roboter erstellt, auch das Dach einer neuen ETH-Versuchshalle auf dem Hönggerberg wird durch die digitalen Helfer fabriziert.

Exakt, kostengünstig, universell einsetzbar

Die Bauindustrie hat bezüglich Automatisierung einen grossen Nachholbedarf, liegt doch ihre Roboterdichte mit 40 Automaten pro 10‘000 Arbeitsplätze fast 20-mal tiefer als in vielen andern Industriesektoren. Für die kleinen, wendigen «Heinzelmännchen» aus dem ETH-Labor in Singapur sieht Fabio Gramazio denn auch entscheidende Vorteile: «Sie sind hoch präzise, bezahlbar und universell anwendbar.»

Mit Robotern lassen sich hoch differenzierte vertikale Strukturen bauen, die mit der heutigen Bautechnik wirtschaftlich nicht machbar wären. Davon verspricht man sich abgesehen von einem interessanteren Erscheinungsbild vor allem mehr Gestaltungsfreiheit, urbane Durchmischung und Individualität. Solche Bedürfnisse wird Singapur in Zukunft vermehrt decken müssen, will doch die Stadt gemäss offizieller Politik weiter wachsen, pro Jahr um bis zu 100‘000 Einwohner.

Roboter sind jedoch nur ein Element im Mosaik der nachhaltigen Stadtentwicklung. Zusätzliche Wohn- und Büroräume ziehen verschiedenartige Folgen nach sich, die zu bewältigen sind. Das FCL möchte eine nachhaltige Entwicklung daher möglichst ganzheitlich erfassen, wozu auch Energieverbrauch und Mobilität gehören. «Das Wachstum muss qualitativ gesteuert werden», sagt Gerhard Schmitt. Daher gelte fürs künftige Singapur mit höherer Lebensqualität der Slogan «cooler and calmer». Kühler und ruhiger heisst massnahmentechnisch: Energie effizienter nutzen und Privatverkehr langfristig elektrifizieren.

Bis zu acht Grad heisser wegen Wärme-Insel-Effekt

Die enorme Abwärme von Industrie, Autos und Klimaanlagen trägt wesentlich dazu bei, dass Teile der Stadt bis zu acht Grad wärmer sind als das unbebaute Hinterland. Fachleute sprechen von einer «Urban Heat Island». Der Bedarf an Kühlleistung in Häusern und Fahrzeugen liegt folglich nochmals eine Stufe höher. Ein Projekt im Forschungsmodul «Low Exergy» des FCL studiert in Gebäuden eine radikal neue Anordnung der Versorgungskanäle für Kühlung, Elektrizität und Licht. Bisher wurden die Rohre und Leitungen in grosszügig bemessenen Hohlräumen unterhalb der Decke angeordnet. Die Integration der Versorgungssysteme in die Decken selbst und in die Fassaden bringt gemäss den Forschern Energieeinsparungen von 30 bis 50 Prozent. Zusätzlich schaffen die Massnahmen mehr Raum und Wert bei weniger Kosten und Materialaufwand. Das neue Design ist bautechnisch anspruchsvoller, lässt sich aber bestens mit Robotern ausführen.

Nicht zuletzt sind die Bauroboter auch Teil der Vision der «Vertikalen Stadt», wie sie die Forschung der Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler verfolgt. Das Modell einer 600 Meter hohen urbanen Struktur mit 180 Stockwerken bietet Platz für 30‘000 Menschen und grosse Möglichkeiten zur Gestaltung des urbanen Lebens. Die poröse Baustruktur, selbstverständlich durch (vielleicht sogar fliegende) Roboter erstellt, ermöglicht zudem viel Freiheit, wie die verschiedenen Module für Wohnen, Arbeiten und Freizeit räumlich optimal angeordnet werden können. Damit wird auch gewährleistet, dass diese vertikale und völlig autofreie Utopie nicht zum modernen Turm zu Babel verkommt.

ETH-Thinktank in Singapur

Das Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability (SEC) ist ein transdisziplinäres Forschungszentrum, das von Singapurs Nationaler Forschungsstiftung (NRF) und der ETH Zürich gegründet wurde. Das 2012 eingeweihte SEC arbeitet mit den lokalen Universitäten und mit Schweizer Firmen zusammen. Es umfasst vorderhand das Future Cities Laboratory (FCL), ein Forschungsprogramm, in dem derzeit 10 Professoren und 120 Forschende in 13 Modulen die massgebenden Aspekte einer urbanen Nachhaltigkeit untersuchen. Schwerpunkte sind dabei Gebäudetechnologien, urbane Systeme sowie das Verhältnis zwischen Stadt und Hinterland. Praktische Resultate gibt es etwa in Form von Planungsrichtlinien und Szenarien für einzelne Regionen und Länder. Noch dieses Jahr soll am SEC ein Forschungsprogramm über Risikomanagement (Future Resilient Systems) folgen, ab 2015 ein solches über Ernährungssicherheit. Mehr dazu auf futurecities.ethz.ch

 
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