Veröffentlicht: 28.02.13
Science

Elektromobiles Zürich – eine Fallstudie

Die Stromnetze in Zürich könnten einen wachsenden Anteil von Elektrofahrzeugen verkraften, müssten aber im Sinne eines Smart Grids mit mehr Intelligenz versehen werden. Zu diesem Schluss kommt ein multidisziplinäres Forschungsprojekt der ETH Zürich, das mit Unterstützung des ewz die Situation im Grossraum Zürich analysiert hat.

Franziska Schmid
In Zukunft könnten mehr Fahrzeuge an Zürcher Steckdosen angeschlossen sein. Hier eine moderne Ladestation des ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich). (Bild:ewz)
In Zukunft könnten mehr Fahrzeuge an Zürcher Steckdosen angeschlossen sein. Hier eine moderne Ladestation des ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich). (Bild:ewz) (Grossbild)

Ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen fallen in der Schweiz im Mobilitätssektor an. Zwei Drittel davon gehen auf das Konto von Personenwagen. Ein Lösungsansatz, um die CO2-Bilanz der Schweiz in diesem Bereich massgeblich zu verbessern, wäre, dass man vermehrt auf die Elektromobilität setzt. Doch bis heute sind der Personenverkehr und die Stromversorgung zwei weitgehend getrennte Bereiche. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der ETH Zürich hat deshalb zusammen mit ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) und Novatlantis , die Situation am Beispiel des Grossraums Zürich konkret analysiert. Gebündelt wurden im Forschungsprojekt ARTEMIS Erkenntnisse aus den Bereichen Verkehr, Fahrzeugtechnik und Stromnetze.

Drei Szenarien für Ladestationen

In ihrer Studie haben die Wissenschaftler die Fahrzeugtypen nach deren Antrieb unterschieden (siehe Kasten). Die Studie postuliert einen stetig wachsenden Marktanteil von Fahrzeugen mit Elektromotor. Bis im Jahr 2050 könnte deren Anteil gemäss Szenarien des ewz zwischen 65 und 88 Prozent liegen. Gil Georges, Doktorand am Laboratorium für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme (LAV) und Mitautor der Studie, hält fest: «Es war nicht unsere Absicht, vorauszusagen, wie viele Plug-ins oder Elektrofahrzeuge 2050 auf unseren Strassen herumfahren, denn dies hängt auch von Faktoren ab, die wir in unserer Studie nicht berücksichtigt haben.» So ging die Studie davon aus, dass die jährliche Fahrleistung konstant bleibt und auch die Anzahl Fahrzeuge nicht zunimmt. Ziel von ARTEMIS war vielmehr zu zeigen, was es für das Stromnetz, die Stromversorgung, die Infrastruktur und den CO2-Ausstoss bedeuten würde, wenn mehr Fahrzeuge mit Elektromotor in Zürich unterwegs wären.

Dafür sind die Spezialisten für Verbrennungssysteme von drei Lade-Szenarien ausgegangen: In Szenario A können die Fahrzeuge nur zu Hause geladen werden, in Szenario B zusätzlich am Arbeitsplatz und bei der Maximalvariante C gibt es ausserdem öffentliche Ladestationen. Bei all diesen Ladestationen würden ganz normale zweiphasige 3.5 kW, resp. dreiphasige 11 kW-Stecker verwendet, wie sie schon heute in vielen Haushalten zu finden sind.

Wer braucht wann und wo Strom?

Die Studie untersuchte konkret den Grossraum Zürich mit einem Radius von 30 Kilometer um das Stadtzentrum. Doktorand Rashid Waraich vom Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme stellte in einem Computermodell einzelne Fahrzeugbesitzer als Agenten dar. Welche Fahrzeugtypen gefahren werden, kann je nach Szenario in der Simulation angegeben werden. «Aus vorgängigen Studien wissen wir, dass ein Grossteil der Fahrzeuge in Zürich weniger als 20 Kilometern pro Tag zurücklegt. Das sind grundsätzlich gute Voraussetzungen für eine Elektrifizierung des Individualverkehrs», so Waraich. Mit der Simulation der Verkehrsflüsse im Rahmen der drei Szenarien konnten die Forschenden feststellen, wo und zu welcher Zeit in Zürich Strom für das Aufladen der Fahrzeuge gebraucht würde.

Stromnetz bleibt stabil

Doch wie verkraftet es das Stromnetz, wenn es an verschiedenen Standorten durch die Elektromobilität stärker belastet wird? Forscher vom Institut für Elektrische Energieübertragung und Hochspannungstechnologie untersuchten für ARTEMIS, was es für das Zürcher Stromnetz bedeuten würde, wenn deutlich mehr Fahrzeuge unterwegs wären, die auch elektrisch geladen werden können. «Man muss sich bewusst sein, dass der Anteil der Plug-in-Hybride und Elektromobile in Zukunft nicht sprunghaft ansteigen wird. Die Ladeinfrastruktur könnte also langsam angepasst werden», erklärt Gil Georges. Bei allen Szenarien könnte das Netz in den nächsten zehn Jahren gut mithalten, ohne dass ein Ausbau nötig wäre.

Schaut man allerdings weiter in die Zukunft und geht man von Szenario B oder C aus, könnte es zu verschiedenen, lokal vereinzelten Engpässen kommen. Zum Beispiel könnten Transformatoren oder Leitungen überlastet werden oder unzulässige Spannungsabfälle auftreten. Dann wäre ein Lademanagement, das die zeitliche Verteilung des Ladevorgangs steuert und priorisiert, zwingend nötig. «Mit einem intelligenten Stromnetz könnte der Strom genau dort zur Verfügung stehen, wo er  tatsächlich gebraucht wird. Die Batterien der zu ladenden Autos könnten dabei  als zusätzliche Energiespeicher eingesetzt werden, was unsere Stromversorgung sogar noch flexibler machen würde», so Prof. Göran Andersson.

ARTEMIS hat mit Szenario C auch die Frage nach der öffentlichen Ladeinfrastruktur analysiert. Um die CO2-Emissionen zu minimieren, ist es bedeutsam, wie häufig Plug-in-Hybride in Zukunft ihren Verbrennungsmotor anwerfen müssen. Dies hängt von zwei Faktoren ab: einerseits von der Dichte der öffentliche Ladeinfrastruktur und andererseits von der Reichweite der Batterie. Mit andern Worten: Je besser die Batterien in den Fahrzeugen, desto weniger öffentliche Ladestationen sind nötig.

CO2-Emissionen und Elektrizitätsbedarf

ARTEMIS ermittelte am konkreten Beispiel von Zürich, wie stark die CO2-Emissionen durch die Elektromobilität reduziert werden könnten. Bis 2050 können bei allen Szenarien, die Emissionen um das fünf- bis sechsfache gesenkt werden, allerdings nur unter der Voraussetzung eines gleichbleibenden Strommixes. Sobald auf Energiequellen zurückgegriffen wird, die CO2-intensiver sind, wie etwa Gas- oder Kohlenkraftwerke, dann würde sich die Bilanz entsprechend verschlechtern. «Wir sind uns bewusst, dass sich die Probleme mit zunehmender Elektromobilität weg von den CO2-Emissionen und hin zu Fragen der Primärenergie für die Stromerzeugung verlagern», erklärt Professor Konstantinos Boulouchos vom Institut für Energietechnik.

Die Studie hat auch den Bedarf an Elektrizität bei zunehmender Elektromobilität ermittelt. Nimmt diese bis 2050 im angenommenen Umfang zu, steigt der Elektrizitätsbedarf im Grossraum Zürich voraussichtlich um weniger als 4000 MWh pro Tag. Ein Fünftel des Strombedarfs von Elektrofahrzeugen wird dabei in der Stadt Zürich geladen (825 MWh pro Tag). Das entspricht ungefähr 10 Prozent des gesamten Energiebedarfs  in der Stadt Zürich, der täglich anfällt. «Die Fallstudie zeigt, dass das heutige Verteilnetz für den zusätzlichen Lastbedarf gerüstet ist, wenn der Ladevorgang zeitlich gesteuert wird und auf Schwachlastzeiten umgelagert werden kann», stellt Lukas Küng, Leiter Verteilnetze und stellvertretender Direktor bei ewz fest. Der Anteil an Elektromobilität werde wegen der Kosten und der Verfügbarkeit von CO2-freier Elektrizität nur sehr langsam wachsen,wobei mittel- bis langfristig die Plug-in-Antriebe wohl die flexibelste, kosteneffizienteste und robusteste Option darstellten, fügt Konstantinos Boulouchos hinzu.

Fahrzeugtypen

Die ETH-Forschenden haben in ihrer Arbeit vier Fahrzeugtypen unterschieden: Zum einen Motorfahrzeuge, die über einem konventionellen Verbrennungsmotor verfügen. Bereits auf dem Markt sind ausserdem sogenannte Hybrid-Fahrzeuge. Diese kombinieren einen Verbrennungsmotor mit einem Elektromotor, der je nach Bedarf zugeschaltet wird. Die Batterien dieser Fahrzeuge beziehen ihre elektrische Energie aus dem Generator, der vom Verbrennungsmotor angetrieben wird. Beim Plug-in-Hybrid kann die Batterie zusätzlich über das Stromnetz geladen werden. Plug-in-Hybride können also auch unabhängig vom Verbrennungsmotor funktionieren. Das Elektromobil schliesslich verzichtet ganz auf den Verbrennungsmotor und funktioniert ausschliesslich mit der an Bord gespeicherten elektrischen Energie.