Veröffentlicht: 14.02.13
Science

Gegen den Ärger am Billettautomaten

Touchscreens können nerven. Oft vertippt man sich oder findet sich wegen unübersichtlicher Menüs nicht im Programm zurecht. Das muss nicht sein: Mit intelligenter Software lässt sich die Interaktion mit den Benutzern stark verbessern, wie eine Gruppe ETH-Forscher zeigt.

Samuel Schlaefli
Lust statt Frust am Billettautomat: Eine neue intelligente Software von ETH-Ingenieuren könnte künftig verhindern, dass sich Kundinnen und Kunden an Touchscreens unfreiwillig vertippen. (Copyright: Foto SBB)
Lust statt Frust am Billettautomat: Eine neue intelligente Software von ETH-Ingenieuren könnte künftig verhindern, dass sich Kundinnen und Kunden an Touchscreens unfreiwillig vertippen. (Copyright: Foto SBB) (Grossbild)

Interaktive Bildschirme sind seit einigen Jahren auf Siegeszug: Smartphones, Tablets und digitale Wandtafeln wären ohne «Touchscreen»-Technologie nicht denkbar. Das hat Trendforscher dazu verleitet, der Computermaus und -tastatur das baldige Aussterben zu prophezeien. Auch im öffentlichen Raum führt heute kein Weg mehr an Touchscreens vorbei – egal, ob beim Geldbeziehen, beim Billettkauf oder beim Studieren des Kinoprogramms. Doch oft sind solche Automaten ein Ärgernis. Sie wollen dem Finger nicht recht gehorchen, es kommt zu ungewollten Sprüngen im Menü und der Nutzer verliert die Orientierung und letzten Endes die Nerven.

Vandalenschutz verzerrt Winkel

Das muss nicht sein, sind Bastian Migge und Andreas Kunz vom «Innovation Center Virtual Reality» (ICVR) der ETH Zürich überzeugt und haben sich des Problems angenommen. Grund für das Ärgernis vor Automaten ist die dicke Glasscheibe, die den Bildschirm vor Vandalismus schützt. Sie sorgt dafür, dass die Interaktionsfläche nicht der tatsächlichen Darstellungsfläche entspricht. Das zentimeterdicke Glas führt dazu, dass der Nutzer den Button zur Navigation, je nach eigenem Standpunkt vor dem Automaten, leicht verschoben antippt. Der Nutzer sieht das Ziel zwar korrekt, nur tippt er es nicht rechtwinklig zur Bildebene an, sondern auf der Geraden zwischen Auge und Ziel. Dieses Phänomen wird Parallaxenfehler genannt. Linkshänder und Rechtshänder zum Beispiel berühren einen Button auf der Interaktionsebene in unterschiedlichen Positionen, da ein Linkshänder tendenziell rechts des Zieles steht, weil er den Automaten ja mit der linken Hand bedient

Bisher umgingen Techniker dieses Problem, indem sie die Buttons möglichst gross gestalteten. Dies erhöht die Toleranz des Systems, auch von der Idealposition abweichende Berührungspunkte noch zu erkennen. Das führt jedoch dazu, dass nur noch sehr wenige Menüpunkte gleichzeitig auf einem Bildschirm Platz finden. Der Nutzer muss deshalb oft mühsam durch Untermenüs navigieren. Das macht die Interaktion träge und schmälert die grundsätzlichen Vorteile von Touchscreens gegenüber herkömmlichen Tastenautomaten.

Intelligente Software macht Kamera überflüssig

Eine offensichtliche Lösung für das Parallaxenproblem wäre die Installation einer Kamera am Automaten, die dauernd den Blickwinkel zwischen Nutzer und Bildschirmebene misst. Mit den Daten, welche die Kamera liefert, könnte die Interaktionsposition je nach Blickwinkel des Nutzers korrigiert werden. Das wäre technisch machbar, hinsichtlich des Datenschutzes jedoch problematisch und dazu noch sehr teuer.

Die ETH-Forscher haben deshalb einen anderen Weg beschritten: «Unser System kommt ohne teure Kameras und Sensoren aus, indem es den Parallaxenfehler mittels intelligenter Software ausgleicht», sagt Migge. Die Software umfasst unter anderem ein Sensormodell, das den Zusammenhang zwischen Kopfhaltung und Interaktionsposition beschreibt. Dieses Modell weist jeder Abweichung beim Tippen auf dem Bildschirm eine bestimmte Position des Nutzers vor dem Automaten zu. Die entsprechenden Erfahrungswerte sammelten die Forscher in einer Laborstudie mit Probanden, in der die Nutzerinteraktion und die Kopfposition aufgezeichnet wurden. Ein Prozessmodell beschreibt die Kopfbewegungen über die Zeit hinweg und simuliert die zukünftige Position des Nutzers. Aufgrund dieser Berechnungen verändert sich die Korrektur der Interaktionsposition auf dem Bildschirm in Echtzeit, so dass die aktuelle Parallaxe des Nutzers bedingt durch seinen Standort stets ausgeglichen wird.

Software steht kurz vor Einführung

«Je öfter ein Benutzer auf den Bildschirm tippt, desto geringer wird seine Fehlerquote», erklärt Migge. Denn das System lernt bei jeder Bildschirmberührung dazu. Von den Berechnungen im Hintergrund merkt der Billettkäufer nichts. Er wird sich einzig daran erfreuen, dass er schneller und reibungsloser zu seinem Billett kommt.

Die Idee der Parallaxekorrektur an Billettautomaten ist in der Gruppe ICVR entstanden, da sie sich seit längerem mit grossen interaktiven Flächen wie Tischen und Whiteboards auseinandersetzt, unter anderem auch in enger Zusammenarbeit mit der Industrie. Die Parallaxekorrektur sei allerdings kein industriegetriebener Forschungsauftrag gewesen, sagt Bastian Migge. «Wir hatten bemerkt, dass der Abstand zu ungenauer Interaktion führt und uns dann eine Lösung überlegt. Da ich mich persönlich für Control und Künstliche Intelligenz interessiere, hat sich dieser Lösungsweg ergeben.»

Migge und Kunz verhandeln derzeit mit einem Schweizer Verkehrsunternehmen darüber, die Software in dessen Fahrkartenautomaten zu testen. Falls wir uns also bald wundern sollten, wieso der Ticketeinkauf auf einmal so problemlos vonstattengeht, könnte es an der intelligenten Software der beiden Forscher liegen, die in alle Billetautomaten mit Touchscreen eingeführt wurde.