Neue Nervenzellen dank aktivem Fettstoffwechsel
Um zu wachsen und sich in Nervenzellen zu entwickeln, müssen Stammzellen im erwachsenen Gehirn ihren Fettstoffwechsel massiv ankurbeln. Diese neue Erkenntnis bietet Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten gegen den alters- oder krankheitsbedingten Verlust von Hirnsubstanz.
Gehirnstammzellen produzieren täglich tausende neue Nervenzellen in zwei Regionen des erwachsenen Gehirns: in der subventrikulären Zone der Seitenventrikel und im so genannten Gyrus dentatus, einem Teil des Hippocampus. Dieser Vorgang, adulte Neurogenese genannt, ist wichtig für verschiedene Lern- und Gedächtnisprozesse. Störungen der adulten Neurogenese gehen einher mit einer Vielzahl von Erkrankungen des Gehirns wie Depressionen, Epilepsie oder der Alzheimer-Krankheit.
Ein Team um Sebastian Jessberger, bis August 2012 Assistenzprofessor für Biologie Neuraler Stammzellen an der ETH Zürich und nun als Professor am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich tätig, hat einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt. Dieser Vorgang spielt bei der Neurogenese und damit für die lebenslange Aktivität von Stammzellen im Gehirn von Erwachsenen eine Schlüsselrolle. «Das gibt uns hoffentlich einen neuen Ansatzpunkt, um Medikamente gegen Depressionen oder neurodegenerative Krankheiten zu entwickeln», betont der Neurobiologe. Die Studie ist soeben in Nature online erschienen.
Stammzellen machen ihre Lipide selbst
Jessbergers Gruppe konnte zeigen, dass Stammzellen darauf angewiesen sind, aus Glucose neue Fette und Lipide zu produzieren. Dabei spielt ein spezielles Enzym eine Schlüsselrolle: die Fettsäuresynthese (fatty acid synthase, «Fasn»). Wird sie in neuralen Stammzellen von Mäusen blockiert, können sich die Stammzellen nicht mehr teilen, die Zahl neugebildeter Nervenzellen sinkt.
Damit die Stammzellen aber nicht dauernd zur Teilung angeregt werden, gibt es auch einen Gegenspieler, der die Aktivität des Enzyms «Fasn» reguliert: «Spot14», ein Regulationsprotein. «Diese Kontrolle über <Fasn> ist wichtig, damit sich Stammzellen nicht zu häufig teilen, zu früh aufgebraucht sind und der Verlust von Stammzellen droht», erklärt Jessberger.
Überrascht haben die Forschenden aber auch festgestellt, dass neurale Stammzellen im Gegensatz zu ihren Tochterzellen und andere sich teilende Zellen des Nervensystems in einem grundsätzlich unterschiedlichen «metabolischen Zustand» zu sein scheinen. Das heisst, dass Stammzellen und sich teilenden Zellen einen verschiedenen Stoffwechsel haben. Die sich teilenden Zellen decken ihren Bedarf an neuen Fettsäuren hauptsächlich über das Blut, Stammzellen synthetisieren – wie die Gruppe jetzt herausfand - die grossen Moleküle selbst. Die Fettsäuren sind wichtig für die Struktur von Zellmembranen, für die Signalübertragung und als Energiespeicher.
Möglicher Angriffspunkt für neue Medikamente
Die von der Jessberger-Gruppe publizierten Resultate liefern einen neuen Angriffspunkt, um zum Beispiel bei Depressionen, welche die adulte Neurogenese vermindern, die Teilung von Stammzellen im erwachsenen Gehirn medikamentös anzuregen.
«Zunächst müssen wir aber sehr viel detaillierter verstehen, warum die Stammzellen in diesem besonderen metabolischen Zustand sind», sagt Marlen Knobloch, Postdoc in der Jessberger-Gruppe und Erstautorin der Studie. Die Forschenden haben deshalb zurzeit im Labor Experimente laufen, bei denen sie die Zahl der neugebildeten Nervenzellen durch gezielte Manipulation des Lipidstoffwechsels zu verändern, respektive zu erhöhen versuchen.
Simon Braun, Co-Erstautor der Studie, dämpft allzu hohe Erwartungen an die schnelle Entwicklung neuer Medikaments: «Dennoch hoffen wir, die Zahl neugebildeter Nervenzellen durch gezielten Eingriff in den Fettstoffwechsel auch im menschlichen Hirn erhöhen zu können und damit Leid zu mildern.»
An der vorliegenden Arbeit waren mehrere Institutionen
beteiligt. Neben der ETH Zürich und der Universität Zürich waren auch die EPFL
Lausanne und verschiedene Gruppen aus dem Ausland involviert. Sebastian
Jessberger selbst war bis August diesen Jahres Assistenzprofessor am Institut
für molekulare Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich. Nun leitet er als
Professor eine Gruppe am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich.
Literatur
Knobloch M, Braun SGM, Zurkirchen L, von Schoultz C, Zamboni N, Kovacs WJ, Arouzo-Bravo MJ, Karalay O, Suter U, Machado R, Roccio M, Lütolf MP, Semenkovich CF, Jessberger S (2012). Metabolic control of adult neural stem cell activity by Fasn-dependent lipogensis. Nature published online 2nd December 2012. doi:10.1038/nature11689
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