Veröffentlicht: 01.11.12
Science

Oase in der Wüste der arktischen Tiefsee

Vor vier Jahren entdeckten Forscherinnen und Forscher im Nordatlantik neue hydrothermale Felder mit vier Schwarzen Rauchern. Ein Tummelplatz für urtümliche Mikroorganismen, die eine Oase auf dem lebensfeindlichen Meeresgrund gefunden haben.

Peter Rüegg
Mit dem Tauchroboter sammelten Forscher in 2400 Metern Meerestiefe von einem Schwarzen Raucher Gesteinsproben, um die Mikrobenwelt zu untersuchen. (Bild: Prof. R.B. Pedersen, Centre for Geobiology, University of Bergen)
Mit dem Tauchroboter sammelten Forscher in 2400 Metern Meerestiefe von einem Schwarzen Raucher Gesteinsproben, um die Mikrobenwelt zu untersuchen. (Bild: Prof. R.B. Pedersen, Centre for Geobiology, University of Bergen) (Grossbild)

Auf dem hydrothermalen Feld «Loki’s Castle» (s.Kasten) können nur die zähesten Mikroorganismen überleben, die Archaeen. Denn dort, wo sich diese Einzeller wohlfühlen, ist es stockfinster, sauer und kochend heiss. Es herrschen hohe Drücke, Sauerstoff ist kaum mehr vorhanden: Der Lebensraum dieser Organismen liegt 2400 Meter tief unter der Meeresoberfläche, in einem hydrothermalen System.

DNS und Fette kombiniert

Erst 2008 entdeckte ein internationales Forschungsteam mit ETH-Beteiligung dieses System von Schloten und Sulfid-Ablagerungen. Mit einem Tauchroboter sammelten die Wissenschaftler auf mehreren Expeditionen Gesteinsproben von den Schloten und den Hügeln. Der Roboter brach mit seinem Greifarm Stücke von der Aussenseite und aus verschiedenen Tiefen der Kaminwand ab. In den Laboren des Departements für Erdwissenschaften der ETH Zürich wurden die Proben zerkleinert und auf ihre Mikroorganismen hin untersucht. Nun liegt die erste Studie vor, die einen Einblick in den Lebensraum «Loki’s Castle» gewährt.

«Dieses hydrothermale System zeigt keine besonders grosse Vielfalt bei den Mikroorganismen», sagt Andrea Jaeschke, Postdoc bei Professorin Gretchen Früh-Green. Das habe mit den extremen Bedingungen zu tun, die in hydrothermalen Systemen herrschen. So sei sie nicht überrascht gewesen, dass die Mikroben-Zusammensetzung von «Loki’s Castle» vergleichbar mit anderen hydrothermalen Systemen ist. Und: «Diese Einzeller kommen auch auf der Erdoberfläche an extremen Orten vor, wie Geysire oder heisse Schwefelquellen.»

Aus verschiedenen Gesteinsproben des Schlots isolierte Jaeschke Lipide von Membranen und ordnete sie gewissen Gruppen von Mikroorganismen zu. Zur Identifizierung der Lebewesen nutzte sie aber auch die Erbsubstanz, die norwegische Kollegen aus den Gesteinsproben gewinnen konnten. Die Kombination von Lipiden und DNA zur Bestimmung dieser Organismen sei erstmals verwendet worden, betont die Forscherin.

Hitzetolerante Lebewesen dominieren

Im Inneren der porösen Kaminwand fand Jaeschke verschiedene Gruppen von so genannt «hyperthermophilen» Archaeen. Diese früher auch als Archaebakterien bezeichneten Mikroorganismen ertragen aussergewöhnlich hohe Temperaturen. Sie haben eine sehr robuste Zellmembran, die bei Temperaturen von 120°C noch funktionstüchtig ist. Im Innern des Kamins, wo das 320°C heisse Fluid durchströmt, dürfte aber selbst dies nicht reichen. Die Geologin kann sich nicht vorstellen, dass unter solchen Bedingungen noch Leben vorhanden ist. Proben aus dem Kaminzentrum hatte sie jedoch nicht.

An der Aussenwand der Schlote sind die Verhältnisse anders – und demnach auch die Mikroben. Sauerstoffhaltiges Meerwasser mischt sich mit aus der Schlotwand austretendem abgekühltem Fluid und die Temperaturen liegen bei 20°C. Die Postdoktorandin konnte dort Bakterien finden, die Schwefelverbindungen oxidieren, um Energie zu gewinnen. Diese Mikroben bilden fadenartige Kolonien, die von blossem Auge sichtbar sind.

Als selten erwiesen sich hingegen methanverzehrende oder methanbildende Archaeen. «Ich hätte erwartet, dass es mehr davon gibt, denn im Fluid des Schwarzen Rauchers ist viel Methan vorhanden, das die Nahrungsgrundlage für diese Organismen bilden könnte», gibt Jaeschke zu bedenken.

Rätselhafte Sonderlinge

Wegen ihrer extremen Lebensweise sind Archaeen wenig erforscht. Noch vor wenigen Jahrzehnten galten sie als Bakterien. Mittlerweile wurden sie im Stammbaum des Lebens neben den Eukaryoten (Pflanzen, Tiere, Pilze) und den Bakterien in ein eigenes Reich eingeteilt. «Über diese Lebewesen wissen wir sehr wenig, und das Wenige, das wir wissen, stammt von Isolaten aus Labor-Reinkulturen», sagt Andrea Jaeschke. Archaeen und Bakterien haben die Erde schon in ihrer Frühzeit besiedelt, als noch kein Sauerstoff vorhanden war. Hydrothermale Systeme kommen diesem Zustand wohl sehr nahe. «Sie bieten uns deshalb ideale Bedingungen, um das frühe Leben unseres Planeten zu studieren.» Archaeen gewinnen beispielsweise Energie, indem sie anorganische Verbindungen wie Methan, Kohlendioxid oder Schwefelwasserstoff für ihren Stoffwechsel nutzen. Sauerstoff benötigen sie nicht. «Diese Stoffwechselvorgänge funktionierten in der Frühzeit der Erde vor Milliarden von Jahren!», betont Jaeschke.

Viele Archaeen ertragen nicht nur kochendes Wasser, sondern können auch in Säuren oder extrem salzhaltigen Gebieten existieren. «Loki’s Castle» ist insofern eine Ausnahme, als dass der Säuregrad des Fluids «nur» pH 5,5 beträgt (zum Vergleich: ein neutraler pH-Wert beträgt 7). Von anderen Black Smokern ist bekannt, dass sie mit pH 3 bis 4 viel saurer sind. Trotzdem leben auch dort die zähen Einzeller.

Welchen Beitrag die Mikroben von «Loki’s Castle» in geochemischen Prozessen leisten, ist aber derzeit noch unbekannt. «Im Moment wissen wir nur, wer alles da ist und was sie höchstwahrscheinlich tun», so die Geologin. Die Idee ist deshalb, dass die Wissenschaftler auch die Aktivitäten der Mikroorganismen messen, um beispielsweise Aussagen über den Stoffumsatz machen zu können.

Loki’s Castle

2008 entdeckte ein internationales Forschungsteam mit ETH-Beteiligung auf dem Mittelatlantischen Rücken im Nordatlantik die nördlichsten Schwarzen Raucher der Welt, «Loki’s Castle». Dieses hydrothermale Feld liegt auf einem Tiefseevulkan und umfasst zwei Hügel mit insgesamt vier Schloten. Schwarze Raucher entstehen wenn durch Risse kaltes Meerwasser in das poröse Gestein eindringt, über einer Magmakammer im Untergrund erhitzt und dabei Mineralien und Schwermetalle aus dem basaltischen Gestein gelöst wird. Wasser, Gase wie Methan, Wasserstoff und Kohlendioxid sowie die gelösten Mineralien bilden ein bis zu 320°C heisses Fluid, das als schwarze Rauchwolke aus dem Boden austritt. Beim Kontakt mit dem eisiges Meerwasser werden Mineralien ausgefällt und rund um die Austrittsöffnung abgelagert. Über die Zeit entstehen so mehrere Meter hohe, dünnwandige Kamine.

Literaturhinweis

Jaeschke A, Jørgensen SL, Bernasconi SM, Pedersen RB, Thorseth, ICH, Früh-Green G. Microbial diversity of Loki's Castle black smokers at the Arctic Mid-Ocean Ridge. Geobiology. Article first published online: 25 Sep 2012. DOI 10.1111/gbi.12009

 
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