Veröffentlicht: 12.10.12
Science

Smartes Stromkraftwerk auf Rädern

Er findet auf einem Anhänger Platz und soll entlegene Gebiete in Entwicklungsländern mit Strom versorgen: der intelligente Generator SMiG, den ETH-Studierende im Rahmen ihrer Masterarbeit entwickelt haben.

Samuel Schläfli
Projektleiterin Anna Gawlikowska vor dem neuartigen Stromgenerator, dem Smart Micro Grid System (SMiG). (Bild: Ben Newton)
Projektleiterin Anna Gawlikowska vor dem neuartigen Stromgenerator, dem Smart Micro Grid System (SMiG). (Bild: Ben Newton) (Grossbild)

Jeder fünfte Erdenbürger hat laut Internationaler Energieagentur IEA keinen Stromanschluss, am meisten davon betroffen sind Menschen auf dem Land in Afrika und im südlichen Asien. Für sie ist Holz oft die einzig verfügbare Energieressource. Dafür werden Wälder gerodet und fruchtbares Land geht verloren. Zudem vergiftet der Rauch des Brennholzes beim Kochen in den engen Häusern die Atemwege von Frauen und Kindern.

«Studien in Entwicklungsländern zeigen einen starken Zusammenhang zwischen Stromversorgung und Lebensqualität», sagt Anna Gawlikowska, Postdoc am Institut für Energietechnik. Zusammen mit Professor Reza S. Abhari schrieb sie deshalb am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik (D-MAVT) eine Masterarbeit für den Entwurf eines intelligenten Stromgenerators für Entwicklungsländer aus.

Robust, günstig und einfach zu bedienen

John Oldridge, Student am Laboratory for Energy Conversion, gefiel die Idee sofort: «Ich wollte während meiner Masterarbeit etwas mit praktischem Nutzen schaffen», sagt er, «und eine Applikation, von der möglichst viele Menschen profitieren.» Zusammen mit seinem Studienkollegen Till Richter machte er sich, basierend auf Vorarbeiten anderer Studierenden der ETH Zürich und Universität St. Gallen, an eine erste Marktrecherche.

Die beiden erkannten bald, dass die bestehenden mobilen Stromgeneratoren entweder sehr teuer sind oder erst in einem Forschungsstadium stecken – ohne Möglichkeit für eine baldige Verbreitung. «Wir wollten ein System bauen, das möglichst robust, kompakt und einfach zu bedienen ist», sagt Oldridge. Von Beginn an sollte der Generator für eine günstige Produktion in hoher Stückzahl ausgelegt sein. Einen ersten Prototypen haben sie nach sechs Monaten Entwicklung kürzlich am Departement präsentiert: das «Smart Micro Grid System» (SMiG). SMiG ist eine kompakte Anlage, die auf einem Autoanhänger Platz findet.

Hybride Stromherstellung

Das Kernstück der Anlage ist ein Dieselgenerator, der genügend Strom produziert, um bis zu 100 Menschen in 20 Haushalten täglich mit zirka 75 Kilowattstunden Strom zu versorgen. Das sind zwar noch rund 20 Mal weniger als ein Schweizer Haushalt täglich verbraucht, würde aber bereits für den Betrieb einer Kochplatte, mehrerer Lampen, eines kleinen Fernsehers und eines Kühlschranks ausreichen. Den Dieselverbrauch haben die Studenten optimiert, indem sie eine Batterie zur Stromspeicherung an das System koppelten. Der Generator kann so über längere Zeit konstant am Leistungsoptimum laufen und während Zeiten mit niedriger Stromnachfrage ruhen. Alleine dadurch konnte die Energieumwandlung von Treibstoff zu Strom um 60 Prozent gesteigert werden, wie mehrtätige Betriebstests in der Schweiz zeigten.

Zusätzlich zum Generator produzieren acht Solarzellen rund 10 Prozent der Gesamtleistung. Sie lassen sich an der Seite des Anhängers aufklappen. Mehr erneuerbare Energie wäre zwar möglich, doch würde sich die Anlage dadurch verteuern und einen Teil ihrer Kompaktheit und die einfache Handhabung einbüssen.

Abwärme für Wasseraufbereitung

Der Dieselgenerator als Kern des Systems hat neben der Stromerzeugung noch eine wichtige Zusatzfunktion: Er dient zur Wasseraufbereitung. Mit der Abwärme – immerhin zwei Drittel der Gesamtenergie – werden krankheitserregende Keime in verschmutztem Wasser bei über 76°C abgetötet. Gleichzeitig kühlt das Wasser den Generator. 1000 Liter Wasser können bei voller Leistung des Systems täglich gereinigt werden. Eine Chance für Menschen, die auf dem Land leben und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.

Was SMiG gegenüber bestehenden Systemen auszeichnet, ist die Möglichkeit acht bis zwanzig Hausanschlüsse über einen Computer zentral anzusteuern. In Spitzenzeiten, wenn alle Lichter angeschaltet sind und gekocht wird, verhindert ein automatisches Warnsystem die Überlastung des Systems.

Individuelle Abrechnung

Mit der zentralen Steuerung und Kontrolle kann zudem der Stromverbrauch jedes Haushalts exakt abgerechnet werden. Das ist die Voraussetzung, um SMiG als Teil des lokalen Wirtschaftskreislaufs zu etablieren. Als Zahlungsmittel haben die ETH-Entwickler ein Kredit-System wie beim Prepaid-Handy angedacht, wie es in den meisten Entwicklungsländern bereits üblich ist. Über Vouchers könnten die Nutzer in kleinen Kiosks Stromguthaben erwerben, die sie über die Eingabe eines Codes am zentralen Computer freischalten. «Natürlich muss dafür das Interface so einfach wie möglich sein», sagt Gawlikowska, «und man müsste einzelne Personen in den Dörfern für den Umgang mit dem SMiG schulen.»

Das Projekt ist vorerst abgeschlossen. Oldridge und Richter geniessen nach Monaten mit vielen durchgearbeiteten Wochenenden etwas Erholung. Das Modul für die Wasserreinigung wird in einem weiteren studentischen Projekt an der Eawag auf unterschiedlichste Wasserqualitäten hin optimiert. Derweil sucht Anna Gawlikowska, die Betreuerin des Projekts, nach Finanzierungsmöglichkeiten, um zehn SMiG-Einheiten zu produzieren. Diese sollten dann in Entwicklungsländern auf Herz und Nieren getestet werden.