Veröffentlicht: 09.10.12
Science

Bahnbrechende Quantenphysik geehrt

Der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an den Franzosen Serge Haroche und den Amerikaner David Wineland für «bahnbrechende experimentelle Methoden», um Quantensysteme zu messen und zu kontrollieren.

Peter Rüegg
Physiker um David Wineland verwendeten dieses Gerät, um zwei Beryllium-Ionen dazuzubringen, zwischen den kleinsten messbaren Energieeinheiten hin- und herzuschwanken. Diese Technologie könnte dereinst die Informationsverarbeitung in einem Quantencomputer vereinfachen. (Bild: Y. Colombe/NIST)
Physiker um David Wineland verwendeten dieses Gerät, um zwei Beryllium-Ionen dazuzubringen, zwischen den kleinsten messbaren Energieeinheiten hin- und herzuschwanken. Diese Technologie könnte dereinst die Informationsverarbeitung in einem Quantencomputer vereinfachen. (Bild: Y. Colombe/NIST) (Grossbild)

Was lange niemand für möglich hielt, gelang den eben geehrten Forschern: Serge Haroche vom Collège de France und der Ecole normale supérieure in Paris und David J. Wineland vom National Institute of Standards and Technology (NIST) und der University of Colorado Boulder haben unabhängig voneinander grundlegende Methoden entwickelt, um einzelne Materie- oder Licht-Partikel zu messen und zu manipulieren, ohne dass dabei deren quantenmechanischen Eigenschaften zerstört werden. Die Arbeiten der beiden Forscher gelten als Wegbereiter für neuartige superschnelle Computer, die dereinst nach den Gesetzen der Quantenphysik funktionieren sollen. Die von den Forschern erarbeiteten Methoden wurden zudem verwendet, um eine hochpräzise Uhr zu bauen, die 100 Mal genauer ist als die bisherige Caesium-Atomuhr.

Die beiden Physiker arbeiten auf dem Gebiet der Quantenoptik und setzen sich dabei mit der fundamentalen Wechselwirkung zwischen Licht und Materie auseinander. Die von ihnen entwickelten Methoden sind jedoch unterschiedlich.

Einzelne Partikel fangen

David Wineland ist es gelungen, elektrisch geladene Ionen «einzufangen» und sie mit Licht zu kontrollieren und zu messen. Dabei operiert er mit speziellen Laserpulsen. Bei seiner Methode hält ein elektrisches Feld ein einzelnes geladenes Teilchen, ein Ion, fest. Der Laser sorgt dafür, dass das Ion in seinem niedrigsten Energiezustand bleibt, sodass die Forscher die Quantenphänomene am gefangenen Ion studieren können.

Bei Serge Haroches Methode ist es umgekehrt: Damit werden Photonen gefangen und mit Atomen vermessen und kontrolliert. Mikrowellen-Photonen werden in einem Vakuum nahe am absoluten Nullpunkt in einen kleinen Hohlraum geführt. Ein einzelnes Photon tanzt dann während einer Zehntelsekunde zwischen zwei hochreflektierenden Spiegeln hin und her. Diese kurze Zeitspanne reicht den Forschern, um kontrollierte Experimente und Messungen durchzuführen, ohne das Photon zu zerstören. Die Wissenschaftler detektieren die Lichtpartikel, indem sie Atome in einem speziellen quantenmechanischen Zustand durch den Hohlraum schiessen.

Glücklicher Wineland-Lehrling

«Der diesjährige Physik-Nobelpreis ist eine sehr berechtigte Anerkennung für eine sagenhafte wissenschaftliche Leistung», sagt Jonathan Home, Assistenzprofessor an der ETH Zürich für «Trapped Ion Quantum Information». Home arbeitete vier Jahre lang in Winelands Labor als Postdoc und forscht heute an der ETH im selben Fachgebiet. Er freut sich deshalb besonders über den Nobelpreis, den sein Mentor und ehemaliger Chef erhalten hat. «Für mich war die Ankündigung ein glücklicher Moment; seit ich dies vernommen habe, gehe ich mit breitem Lächeln umher.»

Wineland sei ein guter Freund und ein guter Chef. «Er ist trotz seiner grossen Leistungen ein bescheidener Mensch geblieben», sagt Home. In den vergangenen Jahren habe sich Winelands Vorgehen durchgesetzt und sich rasch verbreitet. «Seine Methoden haben die Gründung mehrerer Forschungsgruppen in aller Welt stimuliert», so der ETH-Forscher.

Auch Andreas Wallraff, Professor für Festkörperphysik, findet, dass die Preisvergabe an die beiden Forscher berechtigt ist. Wie viele seiner Forscherkollegen habe er erwartet, dass diese Arbeitsrichtung demnächst mit einem Nobelpreis geehrt werde. «Das Forschungsfeld als solches war so aktiv in der letzten Zeit, dass es nicht erstaunlich ist, dass nun diese beiden herausragenden Wissenschaftler den Nobelpreis erhalten.»

Wallraff arbeitete ein halbes Jahr lang Tür an Tür mit Serge Haroche. «Seine Arbeiten haben auch meine Forschung stark inspiriert.» Haroche sei ein Vorbild. Er habe über lange Zeit bahnbrechende Beiträge geleistet und für den Fortschritt des gesamten Forschungsfeldes gesorgt. Seine Forschung sei nicht nur für den Bereich der Quantenphysik von einzelnen Teilchen bedeutend, sondern beeinflusse auch andere Bereiche der Physik, wie etwa die Festkörperphysik, sagt Wallraff.

Treffen in der Mitte

«Die Arbeiten von Serge Haroche und David Wineland haben eine ganze Generation von experimentellen und theoretischen Quantenwissenschaftlern inspiriert », sagt auch Tilman Esslinger, Professor für Quantenoptik der ETH Zürich. Ihre Forschungsarbeiten hätten einen wichtigen Einfluss auf die Zielsetzung des NFS Quantenwissenschaften und -Technologie, von dem die ETH Zürich Leading House ist und an dem sich etliche ETH-Forschungsgruppen beteiligen.

Esslinger kennt die Nobelpreisträger, beide 68jährig, persönlich. «Ich bin von ihren Persönlichkeiten beeindruckt. Sie sind sehr ernsthafte Wissenschaftler, die über Jahre hinweg das Ziel verfolgt haben, kleine Quantensysteme so gut zu kontrollieren, wie es die Quantenphysik prinzipiell erlaubt.» Dabei konnten sie fundamentale Vorhersagen der Quantenphysik experimentell testen. Man könne die Arbeiten auch als Grundlage für «Quanten-Engineering» sehen, mit dem Ziel, zunehmend grössere Systeme zu verwirklichen, und so gut zu kontrollieren, wie es die Natur ermöglicht.

Esslinger geht in seinen Labors allerdings einen anderen Weg. Er kühlt grössere Verbände von Atomen bis fast zum absoluten Nullpunkt und kann diese Systeme so gut kontrollieren. Deren Grösse verunmöglicht aber eine perfekte Kontrolle. «In ein paar Jahren wird man sich wahrscheinlich in der Mitte treffen, David Wineland und Serge Haroche werden ihre Systeme weiter vergrössern und wir werden eine zunehmend bessere Kontrolle über unsere Systeme erreichen», sagt der ETH-Physiker.

 
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