Veröffentlicht: 05.10.12
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Begehrte Kraft aus dem Erdinneren

Dauerhaft Wärme und Strom aus mehreren Kilometern Tiefe gewinnen: Auf dieses grosse Ziel arbeitet die ETH hin, indem sie die Erforschung der Tiefen-Geothermie gezielt verstärkt, auch wenn noch nicht alle politischen Fragen ausgeräumt sind.

Norbert Staub
ETH-Präsident Ralph Eichler begrüsste so viele Gäste wie noch nie zuvor zu einem Lokaltermin. (Bild: Christian Lanz)
ETH-Präsident Ralph Eichler begrüsste so viele Gäste wie noch nie zuvor zu einem Lokaltermin. (Bild: Christian Lanz) (Grossbild)

130 Interessierte strömten am Mittwoch auf Einladung der ETH Foundation ins erdwissenschaftliche Forschungs- und Informationszentrum focusTerra zum Anlass «Tiefen-Geothermie – Wie kann die Schweiz das Potenzial der Erde nutzen?»– die bisher grösste Gästeschar, die ETH-Präsident Ralph Eichler zu einem seiner «Lokaltermine» begrüssen konnte. Dies obwohl es, wie der Anlass zeigte, noch enorme Anstrengungen von Forschung, Politik und Wirtschaft braucht, bis an die Nutzung der heissen Zonen im Erdinneren gedacht werden kann.

Für den Bund eine Priorität

Ralph Eichler erinnerte daran, dass die Schweiz den CO2-Ausstoss pro Kopf bis 2050 auf unter die Hälfte des heutigen Werts drücken will. Die Geothermie erscheint da als eine viel versprechende Option. Allerdings sei zu bedenken, dass es bei der Umwandlung von Wärme in Elektrizität beim Wirkungsgrad physikalisch bedingt eine Grenze von 30 Prozent gebe. Immerhin: «Tiefen-Geothermie könnte künftig bis zu zehn Prozent unseres Energiebedarfs decken», hielt der ETH-Präsident fest.

Sein Delegierter für dieses Thema ist Domenico Giardini, ETH-Professor für Seismologie und Geodynamik. Er hielt fest, dass der Bund die Ziellinie für diese Technologie bis 2050 bei 4,4 Terawattstunden pro Jahr sieht. Das entspricht dem, was heute ein Kernkraftwerk liefert – ein ambitioniertes Ziel. «Der Bund hat deshalb Erforschung und Entwicklung der Geothermie als prioritär definiert», so Giardini.

ETH bündelt und verstärkt die Forschung

Die ETH Zürich wirft nun ihr Forschungsgewicht in die Waagschale. Zu den bereits 30 Professuren, die sich mit dem Thema beschäftigen, sollen zwei neue hinzukommen; die eine ist auf Geoenergie, die andere auf die Fördertechnologie ausgerichtet. Zudem soll ein neues ETH-Kompetenzzentrum für Tiefen-Geothermie im Verbund mit Industrie und Politik helfen, die vorhandenen Kräfte zu bündeln. Die Herausforderungen sind denn auch enorm: Der Wärmefluss im Erdinneren ist viel zu gering für eine Direktnutzung; «Wir müssen heisses Gestein oder heisses Wasser erreichen», so Giardini. Wirtschaftlich interessant werde es ab drei Kilometern Tiefe. «Die Abkühlung von einem Kubikkilometer 200 Grad heissem Granit in vier bis fünf Kilometern Tiefe könnte genug Wärme liefern, um rund 10 Megawatt Strom zu erzeugen, und das während 20 Jahren», rechnete Giardini vor.

Knacknuss Tiefenreservoir

Voraussetzung dafür sei die Erstellung eines Tiefenreservoirs, aus welcher dann eine Wasserleitung die Wärme an die Erdoberfläche transportiert. «Dieser Wärmetauscher im Untergrund, der 20 bis 40 Jahre lang mit nahezu unverminderter Leistung betrieben werden kann, ist unsere grösste Herausforderung», sagte Philipp Rudolf von Rohr, ETH-Professor für Verfahrenstechnik. Um möglichst viel Wärme aus der Wasserzirkulation zu gewinnen, müsse die Gesteinsdurchlässigkeit verbessert werden, und dazu brauche es neue Technologien.

Die ETH Zürich kann schon jetzt Greifbares vorweisen. Aktuell hat sie ein Bohrverfahren in der Entwicklungspipeline, das die hohen Bohrkosten - sie machen derzeit 70 Prozent der Kosten eines Geothermie-Projekts aus - deutlich reduziert. «Diese spannende Methode könnte die Bohrindustrie in Zukunft revolutionieren», sagte Rudolf von Rohr. Beim Spallationsbohren wird das Gestein berührungslos und mittels Wärme zerkleinert. Damit kann wesentlich tiefer, materialschonender und damit effizienter gebohrt werden.

Wirtschaft braucht langen Atem

«Tiefen-Geothermie - das geht in der Schweiz, trotz der nicht gerade Geothermie-freundlichen Geologie in diesem Land», sagte Jörg Uhde vom Stromkonzern Axpo über die Realisierungschancen im Podiumsgespräch, das ETH-Kommunikationschef Thomas Schaller moderierte. Wirtschaftlich sei es jedoch wichtig, dass Geothermie nicht nur zur Strom-, sondern auch zur Wärmeerzeugung genutzt werde, ansonsten rechne sie sich nicht, gab Uhde zu bedenken.

Die nötigen Investitionen hatte auch der Zürcher Stadtrat Andres Türler im Blick. «Die Milliarden, die es von Investoren braucht, müssen geschützt werden», sagte er. Wenn der Bund wolle, dass die Wirtschaft mitmacht, müsse er die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern. Darauf reagierte Walter Steinmann, Direktor des Bundeamts für Energie, mit der Bemerkung: «Ich erwarte von öffentlichen Unternehmen wie sie die Stadt Zürich führt, dass sie langfristiger und nicht in den üblichen Ertragsdimensionen denken.» Die Schweiz könne die Tiefen-Geothermie im Übrigen auch nicht allein realisieren. Sie sei auf Partner in Europa angewiesen, wie es ja das vollständig internationalisierte Stromausgleichssystem heute schon zeige.

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig: Es braucht den grossen gemeinsamen Effort aller relevanten Beteiligten, um den in der Erde schlummernden Energie-Schatz zu heben. Der ETH weisen sie dabei eine entscheidende Rolle zu: als Lieferantin von Grundlagenwissen, von Verfahren und von Fachkräften, um die technologischen Hürden zu bewältigen. Ralph Eichler verabschiedete die Gäste denn auch mit dem Bekenntnis, dass die ETH Zürich bereit sei, diese Leaderposition zu übernehmen.

Stimmen zum Lokaltermin

Er habe den Eindruck gewonnen, dass Industrie und Forschung die Tiefen-Geothermie gemeinsam und kraftvoll in die Zukunft führen wollen, freute sich im Nachgang zum Anlass Tony Kaiser, Präsident der Nationalen Energieforschungskommission und Leiter des «Energie-Trialogs Schweiz». Für Bastien Girod, Nationalrat der Grünen und Umweltforscher an der Professur für Nachhaltigkeit und Technologie der ETH Zürich ist es zu früh, an eine Realisierung zu denken: «Bei so viel Unklarheit finde ich es fraglich, diese Technologie über die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) fördern zu wollen, wie es der Bund jetzt macht. Vorderhand braucht es vor allem Forschung und Demonstrationsanlagen, um ihr Potenzial auszuloten.» Und Dieter Imboden, Präsident des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds, meinte: «Ich finde es toll, dass die ETH Zürich sich nicht beirren lässt und ihre grosse Stärke ausspielt: nämlich jetzt mit Forschung voranzugehen, um künftige Lösungen zu ermöglichen.»

 
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