Veröffentlicht: 30.07.12
Science

Forscher horchen Felsen aus

Seit fünf Jahren messen Forscher mit einem drahtlosen Sensornetzwerk, wie sich am Hörnligrat des Matterhorns der Permafrost verhält und sich die Felsen verändern. Neu zeichnen die Wissenschaftler auch die Mikroseismik auf.

Peter Rüegg
Jan Beutel betrachtet das Felssturzgebiet am Hörnligrat des Matterhorns, in das er zur Wartung des drahtlosen Sensornetzwerkes einsteigen muss. (Alle Bilder: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Jan Beutel betrachtet das Felssturzgebiet am Hörnligrat des Matterhorns, in das er zur Wartung des drahtlosen Sensornetzwerkes einsteigen muss. (Alle Bilder: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Eben noch surrte der Bohrer. Plötzlich lässt Jan Beutel die Maschine sinken, blickt nach oben. Auch Samuel Weber erstarrt: Irgendwo oben am Grat hat es eben gepoltert. Ein Brocken hat sich gelöst, schlägt mehrmals auf den Felsen auf und saust dann in einigem Abstand zu den beiden Männern vorbei ins Tal. «Es taut, lass uns vorwärts machen», sagt Jan Beutel. Und bohrt weiter.

Die Arbeit auf dem Hörnligrat ist an diesem Junitag nicht ungefährlich. Taut in der Frühsommersonne das nächtliche Eis, lösen sich Steine. Die Forscher müssen deshalb rasch arbeiten und zur Vermessung einer Felsspalte einen Crack-Meter ersetzen, den ein Steinschlag zerstört hat. An Seilen hängend montieren sie den neuen Sensor und ein Schutzblech in der senkrechten Felswand, die es erst seit 2003 gibt.

Damals, im Hitzesommer, donnerten gegen 2500 Kubikmeter Fels ins Tal. Dies hinterliess am steilen Grat eine klaffende Wunde, die teilweise mit blankem Eis bedeckt war – Permafrost, der die Felsen zusammenhalten sollte. Der Felssturz in diesem aussergewöhnlichen Sommer war auch der Anlass für ein ungewöhnliches Forschungsprojekt, das bis heute andauert.

2006 begannen Forscher verschiedener Institutionen im Rahmen des Projekts «PermaSense», am Hörnligrat ein kabelloses Sensornetzwerk aufzubauen. Das Projekt ist Teil des Nationalen Forschungsschwerpunkts Mobile Informations- und Kommunikationssysteme (NFS MICS) und wird durch das Bundesamt für Umwelt finanziell unterstützt.

Mit «PermaSense» wollen die Forscher ergründen, was Felsstürze auslöst, wie sich der Klimawandel auf den Permafrost in steilen Felsgebieten im Hochgebirge auswirkt und wie sich dadurch die Alpen verändern. Der Hörnligrat am Matterhorn ist eines von drei Gebieten, an denen Forscher der ETH Zürich, der Universitäten Basel und Zürich untersuchen, was die Felswände zusammenhält und was sie destabilisiert. Erforscht wird der Permafrost auch am Jungfraujoch und am Dirruhorn im mittleren Mattertal.

Gestein in Bewegung

Die angebrachten Sensoren messen kontinuierlich die Temperaturen auf und unter der Felsoberfläche sowie in den Spalten, den Eis- und Wasserdruck und die Spaltenbreiten. Dazu wird auch die elektrische Leitfähigkeit des Gesteins erfasst. Die Daten werden über drahtlose Übermittlungssysteme in Echtzeit ins Internet eingespeist und auf die Rechner der Forscher übertragen. So können sie die Daten jederzeit abrufen.

Und langsam kommen die Wissenschaftler den Phänomenen, die den Berg formen und Felsen abstürzen lassen, auf die Spur. In einer vor kurzem veröffentlichten Publikation zeigen sie auf, wie sich die Spalten verändern. So reagiert der Fels einerseits wie Eisenbahnschienen: In der warmen Jahreszeit dehnt er sich aus, die Spalten werden enger. Bei Kälte zieht sich das Gestein zusammen und die Spalten werden breiter. Dies beobachten die Forscher sowohl im Tages- als auch im Jahresverlauf. Diese Bewegungen verändern mit der Zeit die geometrische Anordnung der Klüfte. Der Fels verwittert dadurch mehr und mehr.

Andererseits konnten die Forscher auch erkennen, dass sich im Spätsommer Spalten plötzlich stark ausdehnen, anstatt sich zu verengen. Als Auslöser für diese abrupten Bewegungen vermuten die Wissenschaftler mechanische Vorgänge, ausgelöst durch die Temperaturverhältnisse im Fels.

Das verstärkte Ausweiten und das Abscheren der Spaltenränder könnte, so die Hypothese der Forscher, auf Eisbildung in Klüften zurückzuführen sein. So dringt im Sommer Schmelzwasser in grössere Tiefen ein und gefriert, wenn die Temperaturen unter null sinken. Das sich bildende Eis wird zum Keil, der den Fels auseinander drückt.

Im Fels lauschen

Noch verstehen die Forscher viele der Prozesse rund um den Permafrost in steilen Felsgebieten erst im Ansatz. Um mehr darüber herauszufinden, wird der Sensorpark am Hörnligrat um empfindliche Mikrofone erweitert. An zwei Stellen des Felsabbruchs werden im August Mikrofone zehn und 50 Zentimeter tief im Fels versenkt. Sie sollen Knackgeräusche aufzeichnen, die entstehen, wenn sich im Inneren des Felsens Spannungen abbauen.

Die Methode und die Geräte, die es dazu braucht, entwickelte Samuel Weber, neu in Jan Beutels Arbeitsgruppe als Assistent angestellt, im Vorjahr in seiner Masterarbeit an der Universität Zürich. Er passte das System zudem so an, dass es mit dem drahtlosen «PermaSense»-Netzwerk kompatibel ist. Für den Hochgebirgseinsatz mussten die Geräuschsensoren zudem entsprechend robust und möglichst einfach gebaut werden.

Webers System, das 2011 auch schon am Jungfraujoch installiert wurde, liefert seither ununterbrochen Daten. Dieser Test habe gezeigt, dass die Methode sehr brauchbar und robust sei, sagt Samuel Weber. Erste Auswertungen decken auf, dass akustische Emissionen in unvorhersehbaren Schüben, so genannten «Bursts», auftreten und zwar meistens dann, wenn die Temperaturen zwischen Frost und Taupunkt wechseln.

«Frostwechsel sind jedoch nicht zwingend nötig für das Auftreten von Bursts», betont Weber. Sie würden auch vorkommen, wenn die Temperaturen konstant frostig bleiben. Einzig bei warmen Temperaturen scheint der Fels zur Ruhe zu kommen, die Signale sind dann viel seltener. Weber hofft, dass die neuen Geräuschsensoren am Matterhorn weiteren Aufschluss darüber geben, was in den Felsen abläuft, ehe es zu Felsstürzen kommt.

X-Sense gestartet

Die dritte Phase von «PermaSense» im Rahmen des NFS MICS indessen geht dem Ende entgegen. Die Messkampagne wird dieses Jahr abgeschlossen. Das Sensornetzwerk bleibt allerdings am Berg. «Monitoring ist eigentlich nicht die Aufgabe der ETH», sagt Jan Beutel. Gut möglich, dass andere Institutionen das aufgebaute Knowhow und den Gerätepark einmal übernehmen.

Erste Gespräche über die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, die auf das Ausführen von Daueraufgaben spezialisiert seien, hätten stattgefunden. «Unsere Aufgabe ist es, grundlegend neue Systeme zu erforschen und für den Dauereinsatz bereit zu stellen.»

Und daran arbeitet das Konsortium weiter: Parallel zu «PermaSense» hat es im Rahmen der nano-tera.ch-Initiative 2010 das Projekt X-Sense lanciert. Dabei geht es den Forschern darum, grundlegend andere Methoden zu entwickeln, um grossräumige Geländebewegungen zu entdecken und zu vermessen, unter anderem mit Hilfe von neuartigen GPS- und andere satellitengestützten Anwendungen.

Entsprechende Messapparaturen haben die Forscher am Fuss des Dirruhorns oberhalb Randa installiert. Ziel und Zweck sind ähnlich wie bei «PermaSense»: Methoden und Instrumente zu entwickeln für den Aufbau einer Sensorinfrastruktur, die unter extremen Umweltbedingungen zuverlässig und langfristig funktionieren soll.

Abflug mit der Winde

Jan Beutel sitzt auf einem Felssporn oberhalb der Basisstation, das Funkgerät am Ohr. Die Arbeit ist fast vollständig erledigt, die defekten Geräte sind ersetzt. Mit dem ersten Einsatz des Jahres ist er zufrieden. Nicht ganz alles hat er erledigen können, doch jetzt droht das Wetter umzuschlagen. Wolken umhüllen den Matterhorngipfel. Ein kalter Wind kühlt die Forscher rasch aus.

Aus der Ferne ist das Knattern von Rotoren zu hören. Bald darauf erscheint der rotweisse Helikopter am Horizont, bleibt oberhalb des Grates in der Luft stehen. Routiniert hängen Beutel und Weber das Netz mit dem Material an einen Haken. Mit der Winde zieht der Co-Pilot dieses hinauf. Dann werden die Forscher nacheinander hochgezogen, ehe der Hubschrauber abdreht und ratternd ins Tal abtaucht.