Veröffentlicht: 04.07.12
Science

Ist es das Higgs-Boson?

Ein neues Teilchen ist gefunden. Dies hat ein Forscher-Konsortium am Cern heute bekanntgegeben. Ob es sich dabei um das bekannte Higgs-Boson handelt, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen.

Fabio Bergamin und Peter Rüegg
Darstellung einer mit dem CMS-Detektor aufgezeichneten Proton-Proton-Kollision, die indirekte Hinweise auf die Existenz eines neuen Bosons liefert. Physiker gehen davon aus, dass bei diesem Ereignis ein Boson in zwei Photonen (grüne Linien) zerfallen ist. (Bild: Cern)
Darstellung einer mit dem CMS-Detektor aufgezeichneten Proton-Proton-Kollision, die indirekte Hinweise auf die Existenz eines neuen Bosons liefert. Physiker gehen davon aus, dass bei diesem Ereignis ein Boson in zwei Photonen (grüne Linien) zerfallen ist. (Bild: Cern) (Grossbild)

Sein oder nicht sein? In Bezug auf das vor Jahrzehnten postulierte Higgs-Boson hat die Wissenschaft mit den heute vorgestellten Resultaten einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit existiert tatsächlich ein solches Elementarteilchen. «Da ist in der Tat ein neues Teilchen», wird ein Sprecher in einer Mitteilung des Cern zitiert. Forscher haben zudem eine genaue Vorstellung von der Masse dieses Teilchens, und die statistische Aussagekraft ihrer Ergebnisse beziffern sie auf «5 Sigma». Das heisst, die Wahrscheinlichkeit, dass die heute vorgestellten Messresultate dem Zufall geschuldet sein könnten, ist extrem klein: 1 zu 3 Millionen. Ab einer Signifikanz von «5 Sigma» sprechen Physiker von einer Entdeckung.

Für viele der den Experimenten beteiligten Teilchenphysiker ist heute somit ein Freudentag, auch für Forschende der ETH Zürich. Wissenschaftler am Institut für Teilchenphysik um die Professoren Felicitas Pauss, Günther Dissertori, Christoph Grab und Rainer Wallny waren massgeblich am Bau eines der beiden Teilchendetektoren beteiligt, mit denen nun Hinweise auf das neue Elementarteilchen gefunden wurden. Ebenso waren die ETH-Forscher massgeblich an der Auswertung der heute vorgestellten Messdaten beteiligt.

Physiker reagieren mit Genugtuung

«Für mich ist es das erste Mal, dass ich an einer grossen wissenschaftlichen Entdeckung dabei bin», freut sich Günther Dissertori, Professor am Institut für Teilchenphysik. Er sei zwar seit 20 Jahren in diesem Geschäft dabei, habe aber bei seinem früheren Engagement noch nie ein neues Teilchen finden können. 10 Jahre hat er nun auf dieses Ereignis hingearbeitet. «Ich verspüre eine grosse Genugtuung. Es ist etwas sehr Spezielles, was wir heute erleben», sagt der Teilchenphysiker. Die Bedeutung werde er wohl erst danach richtig einordnen und verstehen können. «Diesen Moment möchte ich geniessen.»

Die heute präsentierten Ergebnisse basieren laut der Cern-Mitteilung auf einer Auswertung von Messdaten der beiden Teilchendetektoren CMS und Atlas der Jahre 2011 und 2012. Die Resultate seien noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, eine Veröffentlichung sei für Ende Juli zu erwarten.

Weitere Messungen sind nötig

Unklar ist, ob das neue Teilchen tatsächlich das Higgs-Boson ist. «Auch wenn wir nun ein neues Teilchen gefunden haben, von seinen Eigenschaften, wie etwa dem Spin, wissen wir noch gar nichts», sagt ETH-Teilchenphysiker Rainer Wallny. Die Forscher werden deshalb weitere Daten auswerten. In der derzeitigen Datennahmeperiode würden noch dreimal mehr Daten erwartet als heute gezeigt, sagt Wallny. Der Gesamtdatensatz sollte dann erlauben, einige dieser Eigenschaften zu bestimmen. Anschliessend gebe es eine anderthalbjährige Pause, um den Ringbeschleuniger zu warten und zu verbessern.

Zu wissen, ob es tatsächlich ein Higgs-Boson gibt, ist für Physiker wichtig, weil mit der Existenz oder Nichtexistenz des Teilchens das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik steht oder fällt. Das Standardmodell ist quasi die Weltsicht der Physiker, eine Art Bauplan des Universums. Es wurde in den 1970er-Jahren formuliert. Das Higgs-Boson ist das einizge Teilchen dieses Modells, dessen Existenz bisher nicht nachgewiesen wurde.

Wanderung im Nebel

Mit dem Teilchenbeschleuniger LHC und seinen Detektoren suchen die Forscher nach Hinweisen auf dieses Higgs-Boson. Es sind indirekte Hinweise, denn Detektoren zeichnen nicht das Boson selbst, sondern seine Zerfallsprodukte auf. Die Suche gleicht einer Wanderung im Nebel. Das Ziel ist bekannt, es muss irgendwo im Nebel sein. Bereits im Dezember 2011 gab das Cern bekannt, dass sich eine unscharfe Konkur des Teilchens abzeichne. Nun haben die Forschenden von diesem Teilchen eine deutliche Silhoutette vor sich. Sie sind sich sicher, dass es ein Teilchen ist, dem sie bisher noch nicht begegent sind. Gut möglich, dass es das Higgs-Boson ist, mit dem das Standardmodell komplett wäre. Allerdings sehen sie noch nicht klar genug, um sich dabei ganz sicher zu sein. Ganz am Ziel sind die Wanderer deshalb noch nicht.

 
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