Veröffentlicht: 13.04.12
Globetrotter

Auf Sammeltour im Masoala-Nationalpark

Sonja Hassold hat im Masoala Nationalpark in Nordosten Madagaskars Holzproben von Edelhölzern für ihre Doktorarbeit gesammelt. Über ihre «Felderfahrungen» berichtet die Globetrotterin in ETH Life.

Sonja Hassold
ETH-Doktorandin Sonja Hassold verortet ihre Position im Masoala-Nationalpark mit GPS (Bild: zVg Sonja Hassold / ETH Zürich).
ETH-Doktorandin Sonja Hassold verortet ihre Position im Masoala-Nationalpark mit GPS (Bild: zVg Sonja Hassold / ETH Zürich). (Grossbild)

Rasch ist die Nacht über den Regenwald hereingebrochen. Ich sitze im flackernden Licht des Lagerfeuers. Fremde Geräusche dringen an mein Ohr. Ein Insekt? Oder ist es ein Frosch oder ein Lemur? Ich sitze vor meinem kleinen Zelt und überprüfe nochmals meine Proben, die mein Botaniker Jao Aridy und ich heute im Masoala-Nationalpark gesammelt haben. Jedes Blatt, jedes Stück Holz muss mit der Sammelnummer beschriftet sein, damit man zu Hause die Proben den Sammelorten zuordnen kann.

Es ist schwül heiss, die Arbeitsbedingungen sind alles andere als angenehm. Für meine Doktorarbeit sammle ich im madagassischen Dschungel Proben von Edelhölzern. Mich interessieren vor allem Ebenholz, Palisander und Rosenholz. Letzteres hat nichts mit Rosen zu tun. Seinen Namen trägt der Baum wegen seines dunkelrot-schwarz gemaserten Kernholzes. Auf dem internationalen Markt ist dieses Holz wegen dieser Besonderheit sehr wertvoll. Rosenholz kommt nur in den Tropen vor und einzelne Arten nur in Madagaskar. Das Holz wird für Musikinstrumente und chinesische Möbel verwendet.

In Madagaskar wurde es so exzessiv gefällt, dass diese edlen Hölzer nur noch in den Herzen der Nationalparks vorkommen, wo Holzfrevler sie heute illegal herausschlagen. Auf dem internationalen Markt werden die Stämme unter falschen Namen gehandelt, damit die Behörden der Holzmafia nicht auf die Schliche kommen. Von blossem Auge ist das Hartholz von verschiedenen Rosenholzarten nicht unterscheidbar. Man kann anhand von einem Kernholz auch nicht bestimmen, aus welcher Region der Baum stammt. Wir arbeiten deshalb an einer genetischen Identifizierungs-Methode!

Meine Reise nach Madagaskar startet mit einem 12-stündigen Flug, mit dem ich den einzigen internationalen Flughafen des Landes – Ivato - erreiche. ­Eine 30- bis 90minütige Taxifahrt bringt mich mitten durch Reisfelder nach Antananarivo – auch die Stadt der Tausend genannt. Nun kann ich im «Sakamanga», einem gemütlichen Hotel im Stadtzentrum, entspannen und nochmals edel dinieren, bevor es am nächsten Morgen früh mit einem Inlandflug weiter in Richtung Masoala Halbinsel geht. Vom Flughafen «Maroantsetra» brechen wir mit einem Schnellboot in den Masoala-Nationalpark auf. In der Nähe von Tampolo werden wir vom Personal der Masoala Forest Lodge herzlich empfangen. Die erste Woche dient der Angewöhnung und ist noch ziemlich luxuriös.

Die Lodge liegt im dichten Regenwald. In diesem Teil des Nationalparks reicht der immergrüne Wald noch bis zum Meer – ein fantastisches Bild! Nach diesem anstrengenden Reisetag ruhen wir uns am Strand aus und beobachten Buckelwale, welche die ruhige Bucht von Maroantsetra bevölkern. Wir müssen unsere Kräfte sparen für die folgenden täglichen sechs- bis siebenstündigen Dschungelmärsche. Morgen werden wir unserer Neugier nachgeben und die erste Sammeltour in den Masoala-Regenwald starten.

Tageslicht weckt uns um 05:00 Uhr. Der Rucksack mit Wasser, Proviant, Regenschutz, Silicagel, Teebeutel, Handbohrer, Feldbuch, GPS, Fotoapparat und Mückenspray ist schnell gepackt. Das Frühstück am Meer lässt uns einige Minuten länger verweilen als vorgesehen. Um 07:00 Uhr brechen wir mit dem ortskundigen Botaniker Jao Aridy auf.

Wir bewegen uns auf schmalen Pfaden durch den Urwald, um Eben- und Rosenhölzer zu suchen und werden bald fündig. An der Westküste des Masoala-Nationalparks wurde erst wenig Raubbau betrieben. Feldbuch und GPS sind sofort zur Hand, um Koordinaten zu speichern und Notizen bezüglich Höhe, Stammumfang und Habitat der Art zu machen. In der Zwischenzeit hat Jao Aridy den verlängerbaren Astschneider zusammengesteckt und schneidet Ast- und Blattmaterial von den hohen Bäumen.

Wir präparieren Herbarbelege und packen Ast- und Blattmaterial in die Teebeutel. Die Belege legen wir sofort auf Silicagel zum Trocknen. Schnell machen wir eine Skizze der Blätter und dokumentieren alles fotografisch. Der Stammumfang beträgt 50 cm – genug, um dem Baum auch einen Bohrkern zu entnehmen.

Danach suchen wir weitere Edelhölzer. In der Ferne hören wir den Ruf des Roten Vari, einer Lemuren-Art, die es in Madagaskar nur auf der Masoala-Halbinsel gibt. In unserer Nähe raschelt etwas im Unterholz, aber den Verursacher bekommen wir nicht zu Gesicht. Dafür bewegt sich etwas vor unseren Füssen, das aussieht wie ein Blatt mit Hörnern und vier Beinen: ein bodenlebendes Chamäleon der Gattung Brockesia.

Immer wieder durchqueren wir Flüsse, steigen Hügel hinauf und wieder hinunter und bewundern diese fantastische und üppige Umgebung. Die Vielfalt an Gliedertieren ist eindrücklich: Wir stossen auf riesige Tausendfüssler, Spinnen, Saftkugler, Heuschrecken und Wespen. Beim Beobachten dieser Tiere bleiben wir oft stehen - zu oft - und bieten landlebenden Blutegeln die Möglichkeit, unsere Hosenbeine hochzukriechen und Blut zu saugen. Aber zum Glück sind sie nicht gefährlich. Sie verdünnen nur unser Blut und lassen die Wunde noch bis zu 30 Minuten lang nachbluten. Man kann sie aber einfach mit den Fingern entfernen, wenn man genügend daran zieht!

Nach fünfstündigem Marsch legen wir eine Mittagspause ein, mit selbst gebackenen Keksen aus der Lodge – es soll angeblich ein Betty-Bossi-Rezept sein! Nach der kleinen Stärkung folgen wir einer Eisenbahnlinie aus der Kolonialzeit, von der noch die hölzernen Querstreben zu sehen sind. Sie führt der Küste entlang, wo wir mächtige Bäume finden, aber nach zwei weiteren Stunden Arbeit macht sich Erschöpfung breit. Wir kehren zur Lodge zurück und geniessen eine warme Solardusche, bevor wir die gesammelten Herbarbelege in Packpapier legen und in einer Pflanzenpresse flach drücken.

Die Ausbeute des Tages: fünf Rosenhölzer, fünf Palisander und 20 Ebenhölzer.
Müde, aber mit vielen neuen Eindrücken nehmen wir ein reichhaltiges Nachtessen ein, bestehend aus Reis, Zebu und Gemüse. Satt und zufrieden lauschen wir in unseren Bungalows vor dem Einschlafen den Dschungelgeräuschen. Eine kräftezehrende Woche an diesem Ort liegt vor uns.

Zur Person

Sonja Hassold (28) ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Alexander Widmer, Professor für Genetische Pflanzenökologie. Sie hat von Ende August bis Ende 2011 im Rahmen ihrer Dissertation im Masoala-Nationalpark auf Madagaskar gearbeitet und Holzproben der dortigen Baumarten gesammelt. Sie will herausfinden, ob es möglich ist, madagassische Tropenhölzer genetisch zu unterscheiden, um damit gegen den illegalen Holzhandel mit Palisander und Rosenholz vorzugehen. Das Projekt wird von der Mercator Stiftung Schweiz finanziell unterstützt.