Veröffentlicht: 10.11.11
Campus

Verschiedene Wege, gemeinsames Ziel

Der Strombezug der ETH wird kontrovers diskutiert. Die Hochschule hatte im Dezember 2010 von Ökostrom zur günstigsten Variante mit einem hohen Kernkraft-Anteil gewechselt. Dies stösst bei ETH-Studierenden und auch in der Öffentlichkeit teilweise auf harsche Kritik. Am Dienstag traf sich ETH-Präsident Ralph Eichler mit einer Gruppe von Studierenden der Umweltwissenschaften, um das Thema zu diskutieren.

Norbert Staub
Diskutierten mit dem ETH-Präsidenten: (v.l.) Ralph Eichler, Dominik Brehm, ETH-Umweltbeauftragter; Claudio Beretta, Student der Umweltwissenschaften; Christine Bratrich, Geschäftsführerin 'ETH Sustainability'; Sophia Rudin, Studentin der Umweltwissenschaften; Dominique Jaquement, Student der Umweltwissenschaften und Nicole Seitz, Studentin der Umweltwissenschaften. (Bild: Norbert Staub)
Diskutierten mit dem ETH-Präsidenten: (v.l.) Ralph Eichler, Dominik Brehm, ETH-Umweltbeauftragter; Claudio Beretta, Student der Umweltwissenschaften; Christine Bratrich, Geschäftsführerin 'ETH Sustainability'; Sophia Rudin, Studentin der Umweltwissenschaften; Dominique Jaquement, Student der Umweltwissenschaften und Nicole Seitz, Studentin der Umweltwissenschaften. (Bild: Norbert Staub) (Grossbild)

Die Schulleitung hatte im Sommer 2010 ihr Strombezugsregime überprüft und beschlossen, auf eine günstigere Stromeinkaufsvariante zu wechseln. Den eingesparten Betrag – rund 800‘000 Franken – hat sie direkt in die Forschung investiert. «In der Energieforschung der Schweiz hat die ETH Zürich mit Abstand das grösste Gewicht. Anders als Unternehmen es können, sollten wir diese Forschung bewusst selber gestalten und steuern. Und das tun wir mit Hochdruck und stetig wachsenden Mitteln», sagte ETH-Präsident Ralph Eichler am Dienstag im Gespräch mit den ETH-Umweltwissenschafts-Studierenden Nicole Seitz, Sophia Rudin, Claudio Beretta und Dominique Jaquemet. Moderatorin dieses Dialogs war Christine Bratrich, die Geschäftsführerin von «ETH Sustainability», der Koordinationsstelle für Nachhaltigkeit. Weiter nahm daran Dominik Brem teil, der ETH-Umweltbeauftragte.

Kernkraft mit hohen externen Kosten

Die Gruppe hatte in einem Brief an den Präsidenten vergangene Woche, unterstützt von 250 weiteren Unterzeichnern, ihr Unverständnis über den Beschluss ausgedrückt. Daneben gründeten sie die Facebook-Gruppe «ETH zurück zum Ökostrom» und lancierten eine Petition. Der Entscheid werde in der Öffentlichkeit, aber auch in Politik und Amtsstuben nicht verstanden, meinte Nicole Seitz. «Als wissenschaftliche Institution hat die ETH auch eine grosse gesellschaftliche Verpflichtung und darf einen solchen Entscheid nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Kriterien fällen.» Er finde den Entscheid nicht ehrlich, ergänzte Claudio Beretta: «Die tatsächlichen Kosten der Stromerzeugung aus Kernenergie sind viel höher als die aktuellen Marktkosten. So gibt es keine andere Technologie, welche nur 0.04 Prozent ihres potenziellen Schadens versichern muss. Die Einsparung von 800‘000 Franken wird also mit einem Mehrfachen an externen Mehrkosten erkauft, welche die Allgemeinheit und die zukünftigen Generationen tragen müssen.» Ehrlicher wäre es deshalb zu sagen: Die ETH braucht für ihren Strom zwar 800‘000 Franken mehr, bezieht ihn aber risikofrei, so Claudio Beretta.

Gesellschaft erwartet Lösungen

Dieser Betrag entspreche immerhin zwei Assistenzprofessuren, hielt Ralph Eichler dem entgegen. «Ich muss hier aber betonen: Es sind eben gerade nicht wirtschaftliche Ziele, die uns in dieser Frage leiten, sondern wissenschaftliche», so der ETH-Präsident. «Ihnen und mir ist klar: Die Schweiz wird aus der Kernkraft aussteigen; in zehn Jahren geht das erste Kernkraftwerk vom Netz. Um die dringend nötigen Alternativen ohne hohe zusätzliche CO2-Belastung bereitzustellen, braucht es jedoch noch enorme Forschungsanstrengungen, vor allem bei der Energiespeicherung, der Netzstabilität und der Steigerung der Effizienz.» Von der ETH erwarten Politik und Gesellschaft zu Recht, dass sie hier entscheidende Beiträge leistet, so der ETH-Präsident: «Diese Herausforderung packen wir ganz konkret an. Zum Beispiel mit den sechs neuen Energieprofessuren, die wir in den letzten Jahren eingerichtet haben und in die wir rund fünf Millionen Franken pro Jahr investieren. Das ist viel effizienter, als Ökostrom zu subventionieren. Zudem steigern Subventionen dessen Marktfähigkeit nicht.»

«Das Zertifizierungssystem hat sich international etabliert», konterte Dominique Jaquemet. Die Forschungsanstrengungen der ETH seien aber sicher anzuerkennen. Ihn störe jedoch, dass eine vergleichsweise kleine Ursache nun das öffentliche Image der ETH beschädige. «Aus Fukushima haben breite Kreise der Bevölkerung Lehren gezogen und ihre Haltung zur Kernenergie geändert. Diese Erfahrung stellt Ihren Strom-Entscheid in ein neues Licht; die Schulleitung sollte ihn deshalb überdenken», so Dominique Jaquemet. Wie sich die ETH verhält, habe Signalwirkung weit in die Wirtschaft hinein, ergänzte Sophia Rudin und gab zu bedenken: «Die ETH wird nicht nur als Forschungsinstitution wahrgenommen. Der Entscheid für billigen Atomstrom lässt Unternehmen an der Aussage von ETH-Forschenden, der Atomausstieg sei machbar, zweifeln. Der Energieumbau kommt nur zustande, wenn die Bevölkerung dahintersteht.» Der ETH-Umweltbeauftragte Dominik Brem erläuterte, dass die ETH bei den direkten Investitionen in Energieeffizienz ihrer Vorbildrolle gerecht werde, mit vielen Optimierungen bei Neu- und Umbauten. «Am sichtbarsten jedoch auf dem Hönggerberg, wo das im Bau befindliche völlig neuartige Erdspeichersystem künftig praktisch CO2-freies Heizen und Kühlen erlaubt. Die Zusatzinvestition von 17 Millionen Franken wird über Energieeinsparungen mittelfristig amortisiert.»

Strommix-Überprüfung in Aussicht gestellt

Die Studierenden forderten von der ETH Zürich zukünftig einen offenen Dialog über das Thema, um unter anderem zu erfahren, wie stark der Beschluss der Schulleitung durch Mitarbeitende und Studierende unterstützt wird. Dass man völlig einig auseinandergehen würde, war nicht zu erwarten. Dennoch zeigten sich Gemeinsamkeiten. «Ich nehme die Anliegen der Studierenden ernst. Wir konnten in diesem sehr konstruktiven Gespräch gegenseitig unsere Positionen begründen, und das freut mich», sagte Ralph Eichler. Eines der von Christine Bratrich festgehaltenen Resultate war der Kompromissvorschlag, dass sich die ETH künftig bei ihrem Strombezug am jeweils in der Schweiz produzierten Durchschnittsstrommix orientieren könnte. Dies würde im ETH-Strommix einem Anteil von rund 40 Prozent Kernenergie entsprechen, aktuell beträgt dieser Anteil 70 Prozent. In den Jahren 2020 bis 2040, in denen die Kernkraftwerke schrittweise vom Netz gehen sollen, würde die ETH Zürich so ihren Anteil an Kernenergie kontinuierlich weiter verringern.

Ralph Eichler sagte zu, dass er diese Idee zusammen mit der Schulleitung prüfen und zudem auch über alternative Ideen nachdenken werde. Unabhängig davon sollen weitere Anregungen der Studierenden geprüft, beziehungsweise gemeinsam angegangen werden: etwa die Klimatisierung von Hörsälen oder die Installation von Photovoltaik auf ETH-Dächern mittels Investitionen von Externen.

Soviel Strom wie eine Stadt

Für ihre beiden Standorte in Zürich – Zentrum und Hönggerberg – benötigt die ETH jährlich mehr als 100 Gigawattstunden Strom. Dies entspricht dem Elektrizitätsbedarf von rund 25‘000 Haushalten pro Jahr und verursacht Stromkosten in der Höhe von rund 12 Mio. Franken. Durch verschiedene Massnahmen konnte der Pro-Kopf-Stromverbrauch der ETH seit 2006 von rund 7 MWh auf zirka 6.2 MWh reduziert werden (Stand 2010). Ebenso gab es Einsparungen bei der Wärme/m2 Energiebezugsfläche – von 122 kWh/m2 auf zirka 83 kWh/m2. Bis Dezember 2010 bezog die ETH zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen. Seither stammt der von der ETH bezogene Strom zu rund 70 Prozent aus Kernkraft.

ETH-Energieforschung wächst rapide

Die Ausgaben der ETH für die Energieforschung belaufen sich für 2011 auf 76 Mio. Franken; das sind rund 14 Mio. Franken mehr als noch für 2009. In naher Zukunft sollen die Ausgaben weiter ansteigen. 2009/10 hat die ETH vier neue Professuren im Bereich Energietechnik geschaffen: Christian Franck und Hyung Gyu Park, Assistenzprofessoren für Energietechnik; Jürgen Biela, Professor für Hochleistungselektronik; Christoph Müller, Assistenzprofessor für Energiewissenschaft und Energietechnik. 2011 sind zwei weitere Professuren (Thomas Schmidt und Maksym Kovalenko) im Bereich Elektrochemie und -speicherung hinzugekommen Auch im nachhaltigen Bauen gab es neue Professuren, so z.B. jene von Arno Schlüter am Institut für Technologie in der Architektur.