Veröffentlicht: 20.10.11
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Geologie für Weinliebhaber

Das Buch «Stein & Wein – Die Geologie der Schweizer Weingebiete» entsteht unter der Leitung der Schweizerischen Geotechnischen Kommission mit Sitz an der ETH Zürich. Rainer Kündig und Willi Finger, Wissenschaftler, Weinfreunde und Mitherausgeber der «Weingeologie», berichten über ein besonderes Projekt an der Grenze von Intuition und Wissenschaft.

Alice Werner
Das Gebiet rund um den Ort Fully im Unterwallis. Oberhalb der Rebberge liegen verfaltete, kalkreiche und kristalline Gesteine. Durch Erosion haben sich in den Tälern Schuttfächer gebildet, auf denen heute Wein angebaut wird. (Rainer Kündig, Willi Finger, Thomas Mumenthaler, Geotechnische Kommission / ETH Zürich)
Das Gebiet rund um den Ort Fully im Unterwallis. Oberhalb der Rebberge liegen verfaltete, kalkreiche und kristalline Gesteine. Durch Erosion haben sich in den Tälern Schuttfächer gebildet, auf denen heute Wein angebaut wird. (Rainer Kündig, Willi Finger, Thomas Mumenthaler, Geotechnische Kommission / ETH Zürich) (Grossbild)

Was ist dran, am sogenannten mineralischen Wein, etwa einem «Vin du glacier», einem Gletscherwein aus dem Wallis oder dem Tessiner «Tracce di Sassi», einem Merlot mit Steinspuren? Können geologische Geschmacksstoffe aus dem Untergrund eines Rebbergs dem Wein eine würzig mineralische Note verleihen? Kurz: Schmeckt man den Stein im Wein?

Subjektives Experimentierfeld

An der Sache mit der Mineralik scheiden sich die Geister. Es gebe zwei Lager von «Gläubigen», sagt Rainer Kündig von der Schweizerischen Geotechnischen Kommission. «Ich habe Gespräche mit Winzern geführt, die überzeugt sind von mineralischen Aromakomponenten in ihren Weinen. Andere hingegen halten den Steingeschmack im Wein für Unsinn.» Ein strittiges Thema also, das sich der Erdwissenschaftler da vorgeknöpft hat, ein subjektives Experimentierfeld gar «an der Grenze zwischen eindeutigen geologischen Zusammenhängen und Vermutungen, zwischem Gespürtem und Gelehrtem, Intuition und Beweis».

Das Projekt trägt den schlichten Titel «Stein und Wein», will aber nichts weniger, als «dem Einfluss des Faktors Geologie in den Schweizer Terroirs auf die Schliche kommen». Zusammen mit einem 40-köpfigen Autorenteam von «geologisch gebildeten Weinliebhabern und geologisch interessierten Weinfachleuten» aus der ganzen Schweiz arbeitet Kündig an einem umfangreichen Buch, in dem die Anbaugebiete nicht nach Kantonsgrenzen sondern nach dem geologischen Untergrund untersucht und klassifiziert werden.

Eisen, Mangan und Blauburgunder

Willi Finger, auch er weinliebender Geologe und Mitglied der Redaktionsleitung, erklärt an einem Beispiel, welchen Denkansatz ihre «Weingeologie» der Schweiz verfolgt: «Die Kernfrage lautet: Haben Gesteine und Anreicherungen von mineralischen Elementen im Untergrund – Kalk, Gneis oder Gips respektive Kalzium, Silizium, Schwefel und Eisen – Auswirkungen auf Rebe und Wein? Um eine Antwort zu finden, haben wir heimische Weinbaugebiete mit auffälligen Gesteinsunterlagen und ihre Erzeugnisse geologisch und sensorisch unter die Lupe genommen.» Etwa den Rebberg in Sargans am Fusse des Gonzen. Hier findet sich die grösste Eisen- und Manganvererzung in der Schweiz, geschätzte 5,5 Millionen Tonnen. In unmittelbarer Nähe zum 1969 geschlossenen Eisenbergwerks baut ein ambitionierter Winzer die «recht anspruchsvolle» Blauburgunder-Traube an. Bei einer Blinddegustation, erzählt Finger, hätten sie zwar keine eindeutigen Eisen- oder Mangannoten festgestellt. Einig sei man sich aber über die hohe Qualität der hier produzierten Weine gewesen.

Ob dies auch auf die besondere Geologie am Gonzen zurückzuführen ist? Die Vermutungen der beiden ETH-Wissenschaftler gehen in diese Richtung. «Dass der Gesteinsuntergrund das Wachstum einer Rebe beeinflusst, lässt sich an vielen Faktoren ablesen», sagt Rainer Kündig. So nehmen Reben beispielsweise die im Bodenwasser gelösten mineralischen Elemente des Gesteins über die Wurzeln auf. «Überhaupt ist der Erdboden – als Substrat der Pflanze – ein Produkt der Verwitterung eines Ausgangsgesteins, kombiniert mit biologischen und geomorphologischen Prozessen.»

Die Weinhänge in Zürich wurzeln zum Teil auf Molassesedimenten – Schuttablagerungen, die vor ungefähr 30 Millionen Jahren aus den Alpen ins Vorland gespült wurden. Später, in den Eiszeiten, wurde darüber viel Moränenmaterial aus dem Einzugsgebiet des Linthgletschers abgelagert. «Zu behaupten, man schmecke die eiszeitlichen Relikte im Glas, wäre allerdings übertrieben», sagt Kündig. «Geschmack unterliegt immer subjektiven Erfahrungen.» Und Willi Finger ergänzt: «Mit dem entstehenden Buch wollen wir in erster Linie geologisches Fachwissen über eines der ältesten Kulturgüter der Menschheit vermitteln.»

Neben einem Abriss über die Erdgeschichte, einem Kapitel zur geologischen Vielfalt der Schweiz und einem botanischen Exkurs zu Herkunft und Verbreitung hiesiger Rebsorten, werden zehn Schweizer Weinbaugebiete aus geologischer und önologischer Sicht vorgestellt.

Geo-önologische Entdeckungen

Spannend für Leser sind auch die Visualisierungen dieser besonderen «Weingeologie»: Die 3D-Darstellung einer Topografie – ein GoogleEarth-Bild einer bestimmten Region – wird durch Überlagerung um eine geologische Karte ergänzt. Auf diese Weise erkennt auch der Laie Zusammenhänge von Stein und Wein. Die Visualisierung des Gebiets rund um den Ort Fully im Unterwallis etwa zeigt, warum die Weine aus der Region unterschiedlich schmecken könnten: Sie werden zwar alle auf Schuttfächer angebaut, doch die Zusammensetzung des Lockergesteinsmaterials der einzelnen Schuttfächer variiert – denn oberhalb der Rebberge türmen sich verschiedene Gesteinslagen auf.

«Neben der Transformation von Wissen», erklären die beiden Geologen einstimmig, «wollen wir aber auch zu geo-önologischen Entdeckungen, zum Experimentieren und Degustieren anregen – zum Beispiel der Weine aus dem Unterwallis.» Er selbst, sagt Willi Finger, sei während der Arbeit am Projekt immer wieder angenehm überrascht worden von der Vielfalt und Qualität der Schweizer Weine. «Die Tropfen aus der Ostschweiz hatten ja nicht den besten Ruf. Heute gibt es jedoch hervorragende Weine von Basel bis ins Bündnerland und auch in den Kantonen Uri und Glarus haben wir echte Trouvaillen entdeckt.» Und Rainer Kündig betont, wie aufgeschlossen ihnen gerade die jungen Winzerinnen und Winzer im Land begegnet seien: «Viele interessieren sich für naturwissenschafltiche Zusammenhänge im Bereich des Weinbaus oder lassen sich an Weinakademien zu Sensorikern ausbilden.» Apropos Geruchs- und Geschmackssinn: «Ich hoffe, unser Buch hat Appetit auf mehr gemacht. Wie wär`s zum Abschluss unseres Gesprächs mit einem Vergleich von «Gipsweinen» aus den Kantonen Aargau und Waadt?»

Buch und Veranstaltung

Mehr Informationen zum Buch «Stein & Wein – Die Geologie der Schweizer Weingebiete», das voraussichtlich Anfang 2014 erscheint, finden Sie hier.
Im Rahmen des ETH-Treffpunkt Science City am 16. November (focusTerra, NO-Gebäude) können Interessierte mehr zu «Stein & Wein» erfahren.