Veröffentlicht: 05.09.11
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Wie eine Energiezukunft ohne Kernkraft möglich wird

Doris Leuthard diskutierte am Freitag an der ETH Zürich mit Fachleuten und Interessenvertretern über die künftige Energiepolitik der Schweiz. Die Bundesrätin ist überzeugt, dass mit dem nötigen Willen eine Energiezukunft ohne Kernkraft möglich sei.

Lukas Denzler
Doris Leuthard, Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), erläutert die Grundzüge einer nachhaltigen Energiepolitik. (Bild: Tom Kawara / ETH Zürich)
Doris Leuthard, Vorsteherin des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), erläutert die Grundzüge einer nachhaltigen Energiepolitik. (Bild: Tom Kawara / ETH Zürich) (Grossbild)

Das Energiegespräch an der ETH Zürich hat den Nerv der Zeit getroffen. Rund 1000 Personen strömten am 2. September 2011 in die ETH, um dem Referat von Bundesrätin Doris Leuthard, den Vorträgen der ETH-Forschenden sowie den beiden Podiumsgesprächen beizuwohnen.

Entscheidungsgrundlagen bereitstellen

Ralph Eichler, der Präsident der ETH Zürich, wies darauf hin, dass die Komplexität des Energieproblems keine einfachen Antworten zulasse. Laut Eichler kann die Wissenschaft Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Entscheiden müsse die Politik. Ausgangspunkt des Energiegesprächs war der Entscheid des Bundesrates, auf die Kernkraft künftig verzichten zu wollen. «Unser Ziel war es, die Folgen eines langfristigen Atomausstiegs zu untersuchen», sagte Eichler.

Die Ergebnisse einer aktuellen ETH-Studie zeigen, dass ein Umbau des Energiesystems ohne Kernkraft bis 2050 grundsätzlich technologisch möglich und wirtschaftlich verkraftbar ist (vgl. ETH Life vom 2. September 2011). Dies gelingt jedoch nur, wenn der Beitrag der neuen erneuerbaren Energien (besonders Fotovoltaik, Biomasse und Wind) stark gesteigert werden kann.

Bundesrätin Doris Leuthard zeigte sich über die Ergebnisse der ETH-Studie erfreut. Leuthard stellte klar, dass am Verfassungsauftrag der Versorgungssicherheit mit Energie und Strom nicht gerüttelt werde. Auch bleibe die Energiepolitik aus dem Jahre 2007 mit den Schwerpunkten der Reduktion der fossilen Energien, der Energieeffizienz und der Förderung der erneuerbaren Energien weiterhin gültig.

Fukushima brachte eine Neuorientierung

Doch die Atomkatastrophe von Fukushima habe in dreierlei Hinsicht wesentliche Änderungen gebracht, so Leuthard. Erstens sei das so genannte Restrisiko in einem hoch technologisierten Land wie Japan eingetreten. Zweitens sei es wenig sinnvoll gewesen, in der jetzigen Situation die laufenden Gesuche für die Rahmenbewilligungen für neue Kernanlagen weiterzuführen.

Und drittens hätten bei der Neubeurteilung auch volkswirtschaftliche Überlegungen eine entscheidende Rolle gespielt. Die Sicherheitsanforderungen an die Kernkraftwerke würden noch einmal steigen und damit auch die Kosten für den Atomstrom. Gleichzeitig sänken die Kosten der erneuerbaren Energien.

«Im Wissen, dass das Potenzial der erneuerbaren Energien gross ist, hat der Bundesrat den Entschluss gefasst, aus der Atomkraft auszusteigen», sagte Leuthard. Wie diese Energien gefördert werden können, stelle nun zweifellos die grösste Herausforderung dar. Zum einen soll die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) überarbeitet werden. Zum anderen würden neue Fördermittel, etwa ein Stromrappen, geprüft. Gleichzeitig bleibe die Steigerung der Energieeffizienz bei elektrischen Geräten, im Gebäudebereich sowie im Verkehr natürlich ein wichtiges Ziel.

Zielkonflikte mit dem Natur- und Landschaftsschutz

Bei der Frage der Effizienz habe sie keine Bedenken, sagte Leuthard. In den letzten Jahren sei aber nur wenig in das Stromnetz investiert worden. Die Architektur des Stromnetzes müsse zudem im Hinblick auf mehr dezentrale Einspeisungen angepasst werden. Laut Leuthard sollen in den nächsten 10 Jahren rund 6 Milliarden Franken für das Stromnetz bereitgestellt werden. Dieser Ausbau sowie die starke Förderung der erneuerbaren Energien führen zu Zielkonflikten, etwa mit dem Natur- und Landschaftsschutz.

Diese Problematik nahm Robert Lombardini, der Verwaltungsratspräsident der Axpo, im Podiumsgespräch auf. Wer im Tagesgeschäft stecke, sei nicht so euphorisch, meinte er. Allein schon das Halten des aktuellen Niveaus der Wasserkraft sei schwierig. In der Geothermie habe man viel investiert, bisher aber wenig erreicht.

Kostenwahrheit bei den Strompreisen

Dass sich der Strombedarf aus technischer Sicht ohne Kernkraft decken lässt, davon ist Alexander Wokaun, ETH-Professor für Chemie und Vorsteher des Forschungsbereichs Allgemeine Energie am Paul Scherrer Institut, überzeugt. Die Frage sei vielmehr, wie viel die Schweiz bereit sei, dafür zu bezahlen. Dank Innovationen werde der Umstieg volkswirtschaftlich leichter zu bewältigen sein.

Massimo Filippini, Professor für Energieökonomie und Ökonomie des öffentlichen Sektors an der ETH Zürich und an der Università della Svizzera italiana, rechnet bei einem Atomausstieg mit rund 30 bis 40 Prozent höheren Strompreisen. Er betonte aber, dass heute keine Kostenwahrheit existiere. Ein Teil dieser höheren Kosten falle nämlich schon heute an, werde aber nicht überwälzt.

Bei Coop stellt man sich auf höhere Energiepreise ein. Der Konzern investiere deshalb in stromsparende Massnahmen, erklärte Verwaltungsratspräsidentin Irene Kaufmann. Und für Hans-Peter Fricker sind höhere Strompreise wegen ihrer lenkenden Wirkung ebenfalls willkommen. Der CEO des WWF plädierte zudem für Effizienzsteigerungen. Dies sei vor allem eine Chance für die einheimischen KMU.

Die Kantone ziehen mit

Beat Vonlanthen, der Präsident der Konferenz kantonaler Energiedirektoren, setzt ebenfalls auf Effizienzsteigerungen. Das Gebäudeprogramm sei ein grosser Erfolg. Die kantonalen Energiedirektoren hätten einstimmig entschieden, den Bundesrat in seiner Energiepolitik zu unterstützen, sagte Vonlanthen. Man sei auf dem richtigen Weg und der Enthusiasmus von Bundesrätin Leuthard stimme ihn zuversichtlich.

Bezüglich der Machbarkeit des Umbaus des Energiesystems brachten es die an der ETH-Studie beteiligten Professoren mit ihrem Schlussfazit auf den Punkt: Kritisch sei nicht die Gestaltung, sondern der Gestaltungswille. Von diesem hängt es jedoch ab, ob das Generationenprojekt einer nachhaltigen Energieversorgung gelingt.