Veröffentlicht: 15.08.11
Science

Nitroglycerin - Segen für den Menschen

Für Ursula Quitterer, Professorin für Molekulare Pharmakologie an der ETH und Universität Zürich, ist die Entdeckung der Antibiotika eine der grossen Errungenschaften der Chemie. Für die Entwicklung von neuen Medikamenten brauche die Chemie mehr kreative Querdenker.

Interview: Peter Rüegg
Ursula Quitterer, Professorin für Molekulare Pharmakologie an der ETH Zürich und der Universität Zürich (Bild: Ursula Quitterer / ETH Zürich)
Ursula Quitterer, Professorin für Molekulare Pharmakologie an der ETH Zürich und der Universität Zürich (Bild: Ursula Quitterer / ETH Zürich) (Grossbild)

Was halten Sie für die grösste Errungenschaft oder wichtigste Entdeckung der Chemie?

Als Pharmakologin beurteile ich Entdeckungen der Chemie in Bezug auf ihre Bedeutung für die Entwicklung von wichtigen und lebensrettenden Medikamenten. In dieser Hinsicht war die Entdeckung der Antibiotika, insbesondere des Penicillins, eine der grössten Errungenschaften des letzten Jahrhunderts. Die epochale Bedeutung der Penicillin-ähnlichen Antibiotika zeigt sich in der sprunghaften Verlängerung der Lebenserwartung, die durch diese chemische Wirkstoffklasse ermöglicht wurde.

Womit befassen Sie sich in ihrer Forschung und was wird davon im Alltag spürbar oder nutzbar?

Die Forschung in meiner Arbeitsgruppe der Molekularen Pharmakologie konzentriert sich auf die Aufklärung von Wirkstoffen und Wirkmechanismen zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen - der Todesursache Nummer 1 in den Industrieländern. Zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzte Medikamente, die das Angiotensin-System hemmen, gehören heute zu den am häufigsten verwendeten Therapeutika. Unsere Forschung trägt dazu bei, die Funktionsweise dieses derzeit wichtigsten Zielsystems für Medikamente besser zu verstehen, um Arzneistoffe noch effektiver gegen Bluthochdruck, Herzinfarkt und Herzschwäche einzusetzen.

Was hat Sie an Chemie fasziniert?

Für einen Pharmakologen ist Chemie die scheinbar grenzenlose Möglichkeit des Designs und der Synthese von neuen potentiellen Wirkstoffen und Medikamenten. Besonders faszinierend ist die Tatsache, dass die Chemie häufig «ihrer Zeit voraus» war. Die Mehrzahl der bis heute erfolgreich eingesetzten Medikamente und Wirkstoffgruppen wurde isoliert respektive synthetisiert und in Zusammenarbeit mit Pharmakologen entwickelt, lange bevor die biologische Grundlagenforschung die zugehörigen «Targets» und Zielstrukturen aufklären konnte.

Welche Forschungsgebiete der Chemie werden in Zukunft besonders wichtig und weshalb?

Wiederum ist die Antwort auf diese Frage subjektiv - aus der Sichtweise eines Pharmakologen. Die verfügbaren Medikamente zur Therapie der häufigsten letalen Erkrankungen - Herz-Kreislauferkrankungen, Tumorerkrankungen, Atemwegserkrankungen oder neurodegenerative Erkrankungen - sind trotz aller medizinischen Fortschritte unzureichend. Hier besteht ein dringender Bedarf an neuen Wirkstoffen und Leitsubstanzen, der nur durch kreative Querdenker in der Chemie gelöst werden kann.

Welchen Begriff aus der Chemie sollten am Ende des Internationalen Jahrs der Chemie alle kennen und warum?

Nitroglycerin. Es ist der Hauptbestandteil des von Alfred Nobel entwickelten Dynamits und seit über 100 Jahren lebensrettendes Medikament zur Behandlung der Angina pectoris.

Jahr der Chemie

Die UNO-Vollversammlung hat das Jahr 2011 zum «Internationalen Jahr der Chemie» erklärt. Die «Chemie» hat viel zu unserem Wohlstand beigetragen. Sie ist nicht nur eine abstrakte und theoretische Wissenschaft, Chemie ist überall und prägt unser tägliches Leben. Die Chemie ist auch an der ETH Zürich ein bedeutender Forschungszweig, das entsprechende Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften (D-CHAB) ist eines der grössten Departemente der ETH.

 
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