Veröffentlicht: 26.05.11
Science

Wo «sauber» nicht genug ist

Die Nanotechnologie arbeitet im Bereich von Millionstel Millimetern. Doch unsere Luft ist durchsetzt mit unzähligen Partikeln. Experimentelle Nano-Forschung findet deshalb in Reinräumen statt, in denen die Anzahl der Partikel auf ein Minimum reduziert wird, um die Proben zu schützen.

Lukas Langhart
Einheitskluft und Reinheitsgebot: Wer im Reinraum arbeitet, muss die Proben so gut als möglich vor der grössten Partikelquelle schützen – dem Menschen. (Bild: Lukas Langhart / ETH Zürich)
Einheitskluft und Reinheitsgebot: Wer im Reinraum arbeitet, muss die Proben so gut als möglich vor der grössten Partikelquelle schützen – dem Menschen. (Bild: Lukas Langhart / ETH Zürich) (Grossbild)

Die schwarz-gelbe Linie am Boden stellt eine wichtige Grenze dar. Wer hier seine Strassenschuhe nicht gegen saubere Reinraum-Pantoffeln tauscht, darf nicht eintreten. Wir befinden uns in der «Schleuse». Die Tür hinter uns führt zurück zur Garderobe. Dort hängen Jacken und Taschen. Die Tür vor uns führt zum Korridor eines Reinraumkomplexes der ETH. Auf dem Boden ist eine Klebefolie ausgelegt, die einem beim Überqueren beinahe die Schuhe auszieht. Zurück bleiben graue Profilabdrücke.

Mit frisch gewaschenen Händen greift sich Valentin Döring, Doktorand in der Gruppe für Mikro- und Nanosysteme am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich, einen der Reinraum-Anzüge. Mitsamt seiner normalen Kleidung steigt er vorsichtig in den hellblauen Einteiler mit Kapuze. Die Ärmel dürfen dabei auf keinen Fall den Boden berühren, da sie der Kleidungsteil sind, der den Proben am nächsten kommt. Gummibunde an Hosenbeinen, Ärmeln und Kapuze sorgen für einen guten Halt. Auch die Ohren sind verdeckt, sichtbar bleibt einzig das Gesicht. Dann betritt Döring den Reinraum-Korridor, wo – wie im gesamten Reinraumkomplex – die Luft kontinuierlich gefiltert wird. Das hält die Partikelzahl niedrig. Das Thermometer an der Wand zeigt 21,1 Grad Celsius. «Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden so konstant wie möglich gehalten», sagt Döring. Deshalb schwitzt man auch praktisch nicht im Reinraum-Anzug.

Neue Reinräume für ETH- und IBM-Forscher

Bereits vor und während des Physikstudiums an der Technischen Universität München jobbte der 28-jährige Döring in der Industrie in verschiedenen Reinräumen. Später verbrachte er ein Jahr an der Universität Tokio, wo er ebenfalls im Reinraum arbeitete. Vor einem Jahr begann er das Doktorat an der ETH Zürich. Hier beschäftigt er sich vor allem mit Nanosystemen und verbringt mehrere Tage pro Woche im Reinraum.

Die ETH Zürich betreibt unter dem Namen FIRST eigene Reinräume, sowohl am Standort Zentrum wie auf dem Hönggerberg. «Die Ausstattung der ETH im Bereich Nanotechnologie ist ausgezeichnet», sagt Döring. Die Reinräume des am 17. Mai eröffneten und von IBM und ETH gemeinsam betriebenen neuen «Binnig and Rohrer Nanotechnology Center»in Rüschlikon genügen den höchsten Ansprüchen, weiss Döring, der als einer der künftigen Nutzer in den Einrichtungsprozess involviert war. Das neue Labor wird die bestehende ETH-Infrastruktur ergänzen. «Ich freue mich auf die neuen technologischen Möglichkeiten und die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ETH und IBM», sagt Döring.

Die Reinräume im NETL nehmen eine Fläche von 490 Quadratmetern ein und erfüllen sehr hohe Reinheitsstandards. Dadurch wird eine hohe Qualität der Nanotechnologie-Forschung gewährleistet. Dazu gehören etwa die Abscheidung dünnster Materialschichten, die Strukturierung von Oberflächen mit Hilfe von lithografischen Verfahren oder die Untersuchung von Proben mit Elektronenmikroskopen – alles im Mikro- und Nanometerbereich.

Sicherheit geht vor

Der Zutritt zu den Reinräumen ist dem autorisierten Forschungspersonal vorbehalten. Auch jede einzelne Chemikalie, und gilt sie als noch so ungefährlich, muss von den Verantwortlichen freigegeben werden, bevor sie im Reinraum eingesetzt werden darf. Für Notizen liegt fusselfreies Papier bereit, und die Stifte müssen gereinigt werden, bevor sie im Labor verwendet werden können. Das Tragen von Handschuhen ist Pflicht. Das Anziehen derselben, ohne dabei die Fingerspitzen zu kontaminieren, ist für Laien sehr anspruchsvoll. «Im Reinraum ist man eher übervorsichtig», sagt Döring. Niemand bedient eine Maschine, ohne vorher von einem erfahrenen Reinraum-Nutzer instruiert worden zu sein.

Zum Reinraum-Training gehören ausserdem diverse Sicherheitsinstruktionen inklusive Feuerbekämpfungskurs und eine Einführung in die Entsorgung von Chemikalien. Die wichtigste Anforderung für die Arbeit im Reinraum sei allerdings die Disziplin, sagt Döring. Wer sich mit der Fingerspitze aus Versehen an der Nase kratzt, muss sofort ein neues Paar Handschuhe anziehen. Und wer sich ausserhalb der regulären Arbeitszeiten im Reinraum aufhält, wird vom sogenannten Dead Person’s Monitoring System überwacht: Jeder hat sich ein Gerät mit einem Alarmknopf umzuhängen, das Döring den «Totmannsensor» nennt. Es löst automatisch Alarm aus, wenn es sich länger als 30 Sekunden ausserhalb der senkrechten Position befindet. Ein Rettungsteam würde in so einem Fall sofort ausrücken, um Hilfe zu leisten – ohne hellblauen Kapuzenanzug, versteht sich. «Menschenleben sind wichtiger als ein paar Partikel», sagt Döring.