Veröffentlicht: 23.05.11
Science

Noch «ruht» der Atlantik

Geophysiker simulierten, wann die Kontinente rund um den Atlantik aktive Kontinentalränder mit Erdbeben und Vulkanen entwickeln. Demnach werden sich frühestens in 20 Millionen Jahren «richtige» voll aktive Subduktionszonen etablieren.

Simone Ulmer
Am Mittelozeanischen Rücken wird neue ozeanische Kruste gebildet, während erkaltete ozeanische Kruste an Subduktionszonen wieder verschluckt wird. (Bild: Jeker Natursteine AG, Bern)
Am Mittelozeanischen Rücken wird neue ozeanische Kruste gebildet, während erkaltete ozeanische Kruste an Subduktionszonen wieder verschluckt wird. (Bild: Jeker Natursteine AG, Bern) (Grossbild)

Durch die Subduktion tektonischer Platten entstehen Tiefseegräben, Erdbeben, Gebirge und Vulkane. Diese Phänomene bilden rund um den Pazifik den berühmten Pazifischen Feuerring. Entlang dieses Feuerrings taucht ozeanische Kruste unter die Kontinentalränder ab, während sich am Mittelozeanischen Rücken kontinuierlich neue ozeanische Kruste bildet. Der Prozess der Subduktion setzt ein, sobald die ozeanische Kruste einige Zehner Millionen Jahre alt und so weit erkaltet ist, dass sie eine höhere Dichte als der darunterliegende Bereich des Erdmantels, die Asthenosphäre, aufweist. Dadurch taucht sie quasi von selbst unter angrenzende Kontinente ab. In den Weltmeeren gibt es deshalb kaum ozeanische Kruste, die älter als etwa 170 Millionen Jahre ist.

Aktiv heisst Erdbeben und Vulkane

Im Atlantik geht es im Vergleich zum Pazifik ruhig zu. Die ozeanische Lithosphärenplatte – ozeanische Kruste mit einem Teil des oberen Erdmantels – hat entlang den Rändern des Atlantiks scheinbar noch nicht begonnen abzutauchen. Computermodelle lassen jedoch vermuten, dass Subduktion auch ohne die typischen Merkmale wie Vulkanismus oder Grabenbildung einsetzen kann. Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung der ETH Zürich hat nun anhand von Computersimulationen untersucht, ob dies im Atlantik zutrifft, beziehungsweise wann und wo im Atlantik der Prozess in Gang kommen könnte.

Die Simulationen der Forscher, durchgeführt unter Leitung von Taras Gerya, Professor am Institut für Geophysik der ETH Zürich, lassen annehmen, dass die Kontinentalränder Nordamerikas die nächsten Zehner Millionen Jahre stabil bleiben werden. Bedingung dafür ist, dass sich die in den Modellen benutzten Parameter nicht ändern und keine unvorhersehbaren Störungen eintreten. Allerdings wurden bereits Veränderungen in der Kruste, die eine einsetzende Subduktion beschleunigen könnten, von anderen Wissenschaftlern beschrieben. Neue Aussagen und Erkenntnisse liefern die aktuellen Modelle vor allem für Südamerika.

Den Modellen nach dauert es vermutlich noch vier Millionen Jahre, bis vor der Küste des südlichen Brasiliens die kontinentale Kruste beginnt, sich allmählich über die ozeanische zu schieben. Erst in 20 Millionen Jahren taucht die ozeanische Platte allmählich ab und nach 25 Millionen Jahren sind kontinentale und ozeanische Platte voneinander getrennt – eine Subduktionszone hat sich etabliert.

Die Atlantikküste Nord- und Südamerikas lieferte den Wissenschaftlern ideale Voraussetzungen für die Simulationen, da dort die Gegebenheiten, welche Subduktion begünstigen, stark variieren. Etwa die tektonischen Kräfte, die durch Gebirge wie beispielsweise die Appalachen in Nordamerika oder das Brasilianische Plateau wirken. In ihre Simulation bezogen die Forscher Topographie und Struktur der Kruste und des oberen Erdmantels ein. Zudem berücksichtigten sie die jeweils darin herrschenden Dichteverhältnisse, den Verlauf der als Moho bezeichneten Grenzfläche zwischen Kruste und Erdmantel sowie die Temperatur. «Die Temperatur kontrolliert die Festigkeit der unteren Kruste und des oberen Mantels», sagt Gerya.

Aber auch die grossräumig wirkenden Kräfte der Mittelozeanischen Rücken, die die Weltmeer, die an den Doppelkontinent angrenzen, durchziehen, beeinflussen den Subduktionsprozess: Im Osten schiebt und drückt die kontinuierlich anwachsende ozeanische Kruste des Atlantiks, im Westen die Kruste des Pazifiks. Das alles setzt einer dünnen kontinentalen Lithosphäre zu, die im Vergleich zur ozeanischen weniger strapazierfähig ist. An ihr bricht deshalb die Verbindung zwischen den beiden tektonischen Platten zuerst und die kontinentale Kruste beginnt sich über die allmählich abtauchende ozeanische Kruste zu schieben.

Schwachstelle durch dünne Lithosphäre

Die Wissenschaftler legten fünf Schnitte quer durch den südamerikanischen Kontinent. Die Computersimulationen, die anhand der vorhandenen Daten der Profile ermittelt wurden, zeigen, dass der nördliche Teil Südamerikas mit einer 125 bis 150 Kilometer dicken kontinentalen Lithosphäre mindestens weitere 50 Millionen Jahre stabil bleiben wird. «Die Plattengrenzen vor dem südlichen Teil Brasiliens sind jedoch durch eine sehr dünne Lithosphäre charakterisiert», sagt Gerya. Dort betrage die Dicke der Lithosphäre nur etwa 75 Kilometer und die Moho und mit ihr der obere Erdmantel liegen sehr hoch – und somit auch die Temperatur. Diese beträgt etwa 735 Grad Celsius und mindert die Festigkeit der Kruste. Die Modelle lassen deshalb annehmen, dass sich hier vermutlich als erstes eine Subduktionszone entlang des ostamerikanischen Doppelkontinents entwickeln wird. Bis diese jedoch in Konkurrenz mit einer etablierten Subduktionszone des Pazifischen Feuerrings treten kann, wird es noch 25 Millionen Jahre dauern.

Literaturhinweis

Nikolaeva K, Gerya TV & Fernando Marques FO: Numerical analysis of subduction initiation risk along the Atlantic American passive margins, Geology (2011), 5; 463-466; DOI: 10.1130/G31972.1

 
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