Veröffentlicht: 14.04.11
Science

An der Schnittstelle von Pharmazie

Ausgebildet wurde Jean-Christophe Leroux als Pharmazeut. Heute forscht er an den Grenzen von Chemie, Biologie und Pharmazie mit dem Ziel, effektivere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen zu schaffen.

Peter Rüegg
Jean-Christophe Leroux, Professor für Pharmazeutische Wissenschaften am D-CHAB (Bild: Giulia Marthaler / ETH Zürich)
Jean-Christophe Leroux, Professor für Pharmazeutische Wissenschaften am D-CHAB (Bild: Giulia Marthaler / ETH Zürich) (Grossbild)

Was betrachten Sie als grösste Errungenschaft oder wichtigste Entdeckung der Chemie?
Das ist eine schwierige Frage, und ich nehme an, dass die Antwort erheblich von den eigenen Forschungsinteressen beeinflusst wird. In der Wirkstoffformulierung kann kein Forscher die enorm wichtigen Beiträge von Paul J. Flory und Irving Langmuir auf dem Gebiet der Makromoleküle bzw. der Oberflächenchemie ignorieren. In jüngster Zeit wurde durch herausragende Entdeckungen an der Schnittstelle von Biologie und Chemie die Art und Weise revolutioniert, wie man heutzutage Pharmaforschung betreibt. Dazu gehört beispielsweise die Entwicklung der Polymerase-Kettenreaktion oder die Entdeckung von grün fluoreszierendem Protein, dem GFP.

Was ist der Schwerpunkt Ihrer Forschung, und welche Aspekte davon sind im täglichen Leben sichtbar oder einsetzbar?
Ich bin gelernter Pharmazeut, deshalb habe ich mich wissenschaftlich immer sowohl für Chemie als auch für Medizin interessiert. In meinem Labor versuchen wir, Mittel und Wege zu finden, um Wirkstoffe besser verabreichen zu können. Unser Ziel ist, die Wirksamkeit von Arzneistoffen zu verbessern und Nebenwirkungen zu vermindern, wobei wir in den meisten Fällen die chemische Struktur der Arzneistoffverbindung unangetastet lassen. Wir entwickeln häufig Formulierungen auf der Basis von Polymeren, die wichtige biopharmazeutische Parameter beeinflussen, wie die Aufnahme des Wirkstoffs, seine Verteilung im Organismus und seine Ausscheidung. Derzeit entwickeln wir beispielsweise synthetische, virusähnliche Partikel in Nanogrösse, die Nukleinsäuren wie siRNAs schützen und in bestimmte Zellen schleusen könnten. Generell aber sollte ein Patient sich jedes Mal, wenn er im Alltag eine Tablette oder eine andere Darreichungsform einnimmt, bewusst sein, mit wie viel Aufwand die Formulierung optimiert und die chemische Stabilität und Wirksamkeit des Wirkstoffs abgesichert wurde.

Haben Sie in der Chemie ein Vorbild? Und wenn ja, wer ist es und warum gerade diese Person?
Ich bewundere Forscher, die auf mehreren Gebieten gleichzeitig bahnbrechende Erkenntnisse gewinnen können. Dafür gibt es Beispiele in unserer eigenen Abteilung; ausserhalb der ETH war die Arbeit von Jean M. J. Fréchet vom UC Berkeley für mich stets ein Quelle der Inspiration. Obschon seine Forschungstätigkeit sehr vielfältig ist - organische Chemie, Polymere, biologische Fragestellungen und Werkstoffchemie-, gelingt es ihm häufig, sich in vielen Bereichen an die Spitze zu setzen. Insgesamt bewundere ich erfolgreiche Wissenschaftler, die ohne grosses Ego auskommen. Professor K. Matyjaszewski von der Carnegie Mellon University ist für seine bemerkenswerten Leistungen auf dem Gebiet der kontrollierten Radikalpolymerisation berühmt geworden, und doch ist er bescheiden und überaus sympathisch geblieben.

Wie wird sich Ihr Forschungsbereich weiterentwickeln? Wo liegen die Potenziale?
Mein Forschungsbereich entwickelt sich durch den Fortschritt der Chemie, der Biologie und der Medizin. Die Wirkstoffmoleküle, wie Peptide, Proteine oder Nukleinsäuren, werden immer komplexer und ihre Verabreichung wird zu einer echten Herausforderung. Wir müssen wirklich besser verstehen, wie diese neueren Arzneistoffe mit dem biologischen Milieu und den Zellen interagieren, um so bessere Verabreichungsstrategien entwickeln zu können. Gleichzeitig müssen Forscher auf dem Gebiet der Pharmazie schon sehr früh beim chemischen Design von Wirkstoffmolekülen die biopharmazeutischen Grenzen berücksichtigen, damit der Formulierungsschritt effizienter werden kann. Mit dem raschen Voranschreiten der supramolekularen Chemie kann man in unserem Forschungsbereich heute eine grosse Bandbreite unterschiedlicher Systeme nutzen, um komplexe Wirkstoffmoleküle entwerfen zu können, und ich bin überzeugt: Das Beste kommt erst noch.

Welchen chemischen Begriff sollte bis zum Ende des Internationalen Jahrs der Chemie jeder kennen und warum?
Aus pharmazeutischer Sicht das Wort «Excipient» - auf Deutsch etwa: Arzneiträger, pharmazeutischer Hilfsstoff: Der Begriff wird für alle nicht pharmakologischen chemischen Komponenten verwendet, die in einer Arznei enthalten sind und dafür sorgen, dass der Arzneistoff in einem klinischen Umfeld seine Wirkung entfalten kann.

 
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