Veröffentlicht: 27.10.10
Campus

Im Angesicht des Klimawandels

Die Zürcher Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer haben 16 Länder bereist, um Folgen des Klimawandels zu dokumentieren. In den Bildern stehen aber nicht Umweltzerstörungen im Vordergrund, sondern Menschen, die unter immer prekäreren Umständen leben müssen. Die Porträts sind noch bis am 3. November auf dem Hönggerberg zu sehen.

Samuel Schlaefli
Abdallay Abdou Hassin aus dem Tschad hat einen Grossteil seiner Herde verloren, weil sich die Giftstoffe im Tschadsee zunehmend konzentrieren. (Bild: Mathias Braschler / Monika Fischer)
Abdallay Abdou Hassin aus dem Tschad hat einen Grossteil seiner Herde verloren, weil sich die Giftstoffe im Tschadsee zunehmend konzentrieren. (Bild: Mathias Braschler / Monika Fischer) (Grossbild)

Wenn Mathias Braschler von seinem Fotoprojekt «The Human Face of Climate Change» erzählt, spricht er über Menschen. Zum Beispiel über Abdallay Abdou Hassin, einen Kuhhirten im Tschad, der auf der Suche nach Wasser für seine Tiere aus dem trockenen Norden an den Tschadsee zog. Dieser trocknet jedoch langsam aus, die Konzentration an Giftstoffen darin steigt stetig an und das Wasser raffte innerhalb eines Jahres die Hälfte seiner Herde dahin.

Oder die 22-jährige Hosnara Khatum, eine «Tiger widow», die auf der Insel Gabura im Südwesten Bangladeschs lebt, der immer wieder von heftigen Stürmen heimgesucht wird. Seit die Reisfelder dort von brackigem Wasser überschwemmt wurden, gehen die Männer im Kampf gegen den Hunger in den Nationalpark auf Jagd und machen 400 Tigern das Revier streitig. Im 5000-Seelen-Dorf, das die beiden Fotografen letztes Jahr besucht haben, leben seither über 300 «Tiger widows».

Beim ersten Blick auf die Porträts von Hassin oder Khatum mag man sich fragen, was diese Schicksale mit dem Klimawandel zu tun haben. Braschler: «Wir interessierten uns nicht alleine für die offensichtlichen Konsequenzen des Klimawandels wie Gletscherschmelzen oder Wirbelstürme. Wir wollten auch die unerwarteten Folgen zeigen, die den Menschen erst am Ende einer langen Kette von Ursachen und Wirkungen treffen.»

Zwischen Kunst und Journalismus

Zusammen mit seiner Partnerin Monika Fischer bereiste Braschler im vergangenen Jahr während zehn Monaten 16 Länder auf sechs Kontinenten, um Klimaschicksale mit der Kamera einzufangen. Im Oktober schoss das Paar das letzte Porträt. Die achtzigteilige Porträtserie sollte rechtzeitig auf die Klimakonferenz in Kopenhagen vom Dezember 2009 fertig werden. Sie erschien daraufhin in einem Dutzend internationaler Magazine, darunter im Wochenmagazin der englischen Tageszeitung «Guardian» und im «Stern».

Doch die Porträts von Braschler und Fischer sind kein klassischer Fotojournalismus. Dafür sind sie zu stark inszeniert – das künstliche Licht ist präzis geführt und die Bilddramaturgie exakt geplant. Vielleicht geht das auf Monika Fischers Ausbildung als Szenografin und ihre langjährige Tätigkeit am Zürcher Opernhaus zurück. Als «Kunst» im herkömmlichen Sinn versteht Braschler seine Bilder aber auch nicht: «Wir wollen in erster Linie Geschichten erzählen. Das machen wir über Bilder von Menschen in ihrer Umgebung».

Die Idee zur Klimawandel-Serie entstand während eines sechsmonatigen Fotoprojekts in China, kurz vor den olympischen Spielen in Peking. «Wir besuchten dort gewaltige Kohleminen und realisierten plötzlich, wie massiv die Eingriffe des Menschen in die Natur heute sind. Diese Problematik wollten wir global thematisieren», erzählt Braschler. Zurück in Zürich begannen sich die Fotografen mit den Auswirkungen des Klimawandels auseinanderzusetzen. Sie lasen die Zusammenfassung des IPCC-Berichts, trafen Fachleute aus der Forschung und Entwicklungshilfe, um Destinationen auszuwählen, die an den Umweltzerstörungen des Klimawandels leiden. Die beiden wollten sich absolut sicher sein, dass die besuchten Dürregebiete oder überfluteten Felder tatsächlich in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen.

Das Duo musste sich aber noch aus einem anderen Grund gründlich in die Materie einarbeiten. «Wir wussten: Skeptiker des Klimawandels würden sofort nach inhaltlichen Fehlern in unserem Projekt suchen. Wir durften ihnen also keine Angriffsfläche bieten», erzählt Braschler. Kritik gab es trotzdem; auch von ungewohnter Seite: So wurde Braschler nach Hamburg zitiert, um den Wissenschaftschef des «Stern» davon zu überzeugen, dass die gewählten Orte für die Aufnahmen auch tatsächlich Opfer des Klimawandels sind. Für den Redakteur war dieser bis dahin nämlich Humbug. Der Porträtserie wurden später 16 Seiten eingeräumt.

Wüste statt Melonen

Ein bis drei Wochen blieb das Team an jedem Ort, organisierte einen Übersetzer und traf Vertreter von NGOs oder lokalen Klimaorganisationen. Diese verhalfen den Schweizern auch zum Kontakt mit den später Porträtierten. Viele davon gehören zu den Ärmsten dieser Welt, und der Klimawandel hat ihre Armut zusätzlich verschärft. Chai Erquan, ein chinesischer Bauer, pflanzte im nördlichen Zentralchina während Jahrzehnten Melonen an. Eine künstliche Bewässerung war dafür nicht nötig. Heute ist das Gebiet eine Wüste. Was neu angepflanzt wird, reissen die regelmässig auftretenden Sandstürme mit sich. «Viele Menschen, die wir fotografiert haben, besitzen heute keine Lebensgrundlage mehr; sie sind verloren», sagt Braschler.

Vom «Klimawandel» haben viele der Porträtierten noch nie etwas gehört. Juliana Pacco, eine Lamahirtin aus Peru zum Beispiel, erklärte den beiden Fotografen: Sie könne weder lesen noch schreiben und habe keine Ahnung, von was sie sprechen würden. Aber eines wisse sie genau: Mit ihrer Umgebung stimme etwas nicht mehr. Entweder sei es zu heiss oder zu kalt; noch nie hätten die Lamas dermassen gelitten. Solche Gespräche gehörten für Braschler zu den eindrücklichsten Erfahrungen während des Projekts: «Obwohl diese Menschen kein Konzept vom Klimawandel haben, schilderten sie genau diejenigen Auswirkungen, die in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben sind.»

Dem Klimawandel ein Gesicht verleihen

Als engagierter Aufklärer in Sachen Klimawandel ist sich Braschler natürlich auch des ökologischen Fussabdrucks bewusst, den ihr Projekt hinterliess. Über 200‘000 Kilometer legten die beiden Fotografen für ihre Bilder zurück. Zwar hätten sie Klimakompensationen für die Flugmeilen bezahlt, doch das rechtfertige nichts, so Braschler: «Das ist eine Art moderner Ablasshandel, nicht wirklich eine Kompensation.» Die einzige Rechtfertigung, die der Fotograf gelten lässt, ist seine Hoffnung, dass es ihm gelang, dem Klimawandel zum ersten Mal ein menschliches Antlitz zu verleihen. «Wenn dadurch viele Betrachter ihr Verhalten auch nur ein wenig verändern, so ist unsere Reise schnell aufgewogen.»

«The Human Face of Climate Change» ist vom 25.10 bis 3.11 im Foyer des HPH-Gebäudes in «Science City» auf dem Hönggerberg zu sehen. Am Dienstag 2.11 um 19h findet im HPH-Foyer eine Podiumsdiskussion mit den Fotografen und Klimaforschern statt.