Veröffentlicht: 23.08.10
Science

Winzige Therapiehelfer

Heute beginnt an der ETH Zürich die dritte internationale Konferenz zum Thema Nanobiotechnologie. Initiator Marcus Textor, ETH-Professor im Labor für Oberflächentechnik, erklärt im Interview, welches Potential Nanostrukturen in der biologischen und medizinischen Anwendung haben und warum die Nanoforschung noch besser kommuniziert werden sollte.

Claudia Hoffmann
Marcus Textor ist Professor im Labor für Oberflächentechnik der ETH Zürich und Initiator der Nanobio-Konferenz. (Bild: ETH Zürich)
Marcus Textor ist Professor im Labor für Oberflächentechnik der ETH Zürich und Initiator der Nanobio-Konferenz. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Textor, kaum haben wir verstanden, was Nanotechnologie ist, kommt nun der Begriff «Nanobiotechnologie». Was versteht man darunter?
Unter Nanobiotechnologie versteht man die Anwendung von Nanomaterialien auf biologische Fragestellungen. Sie stellt die Schnittstelle zwischen synthetischen aber auch biologisch erzeugten Materialien und biologischen Systemen, wie zum Beispiel Geweben, Zellen oder Proteinen, dar.

Wo wird die Nanobiotechnologie angewendet?
Wir setzen sie ein, um grundlegende biologische Zusammenhänge zu verstehen. Die Miniaturisierung von biologischen Prozessen, zum Beispiel in der medizinischen Diagnostik, hat enorme Vorteile. Sie ermöglicht empfindlichere und schnellere Nachweisverfahren und benötigt dabei viel weniger Material als herkömmliche Methoden. Praktisch angewandt wird sie unter anderem in der Medizin, zum Beispiel um die Wechselwirkung zwischen Arzneistoffen und Oberflächenmolekülen von Zellen zu untersuchen. Zum grössten Teil ist das noch Grundlagenforschung, aber die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse werden zukünftig zu neuen Konzepten in Diagnostik und Therapie führen. Einige Technologien sind heute schon im Einsatz.

Welche sind das?
In der Medizin werden sogenannte superparamagnetische Eisenpartikel als Kontrastmittel bei der Magnetresonanztomographie eingesetzt. Sie ermöglichen es, besser zwischen gesundem und Krebsgewebe zu unterscheiden. Neben den diagnostischen Möglichkeiten bergen Nanopartikel ein grosses Potential für die Therapie von Krankheiten. Dieses Thema wird auf der Nanobio-Konferenz unter dem Begriff «Drug Delivery and Nanomedicine» behandelt. Für die Krebstherapie können Nano-Container eingesetzt werden, kleinste Partikel, die ihre Fracht gezielt in einem Tumor abladen. Tumore sind besonders stark mit Blutgefässen versorgt, welche aussergewöhnlich durchlässig sind. Mit einem Anti-Krebsmittel beladene Nano-Container lassen sich in die Blutbahn schleusen, sammeln sich vorzugsweise im Tumor an und setzen ihre Fracht dort frei. Der Wirkstoff kann in hohen lokalen Dosen ans Ziel gelangen, ohne gesunde Zellen zu schädigen.

Wie weit sind wir von solchen Therapiemöglichkeiten entfernt?
In verschiedenen Ländern, insbesondere in Japan, laufen zur Zeit mehrere klinische Studien, die vielversprechend aussehen. Die Therapie mit Nano-Containern wirkt effizient gegen Tumore und zeigt sehr wenig Nebenwirkungen. Die eine oder andere dieser Entwicklungen wird sicher in den nächsten Jahren klinisch genutzt werden. In meiner Gruppe untersuchen wir, wie wir solche Container, die zusätzlich magnetische Partikel enthalten, durch einen magnetischen Impuls schlagartig öffnen können. Mit Hilfe von Magnetresonanztomographie könnte gleichzeitig kontrolliert werden, ob die Fracht am gewünschten Ort freigesetzt wird. Diese Kombination von Therapie und Diagnostik, die «Theragnostics», hat ein grosses Potential für zukünftige medizinische Anwendungen.

Gewisse Nanopartikel sind in die Schlagzeilen gekommen, weil sie Risiken für die Gesundheit des Menschen und die Umwelt bergen. Wie sieht es bei der Nanobiotechnologie aus?
Aufgrund ihrer Winzigkeit können freigesetzte Nanopartikel unter Umständen leicht über die Haut oder die Lunge in den Körper eindringen und sogar die Barriere zum Gehirn überwinden. Das hängt stark von ihrer Grösse und Form ab, unabhängig davon, ob sie für die Nanotechnologie oder Nanobiotechnologie verwendet werden. Was an einer Stelle eine potentielle Gefahr darstellt, kann in anderem Zusammenhang jedoch von Vorteil sein. Jeffrey Hubbell von der EPF Lausanne hat zum Beispiel gezeigt, dass Nanopartikel gerade aufgrund ihrer Eigenschaften sehr viel schneller in Lymphknoten gelangen und dort als potentielle Impfstoffe wirken können.

Müssen potentielle Risiken besser erforscht werden?
Eindeutig ja. Ein Teil der Konferenz beschäftigt sich daher auch mit dem Thema Nanotoxikologie. Wir müssen genauer wissen, wo freigesetzte Nanopartikel hingehen, wie lange sie im Körper bleiben und wie sie sich auswirken. Zusätzlich zur detaillierten Charakterisierung brauchen wir eine zuverlässige Datenbank für Nanomaterialien, was eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist. Darin müssen Grösse, Form und Eigenschaften von verschiedenen Nanopartikeln aufgeführt sein. Eine Nadel verhält sich nicht gleich wie ein Krümel, auch wenn das Material das gleiche ist.

Wie wird die Nanobiotechnologie von der Öffentlichkeit aufgenommen?
Die Reaktionen sind gemischt. Bei medizinischen Anwendungen ist die Akzeptanz grundsätzlich höher als in anderen Bereichen. Wir müssen offen und klar kommunizieren, was wir in der Forschung machen und wo wir Risiken vermuten. Nanobiotechnologie wird oft mit Nanopartikeln und deren Risiken gleichgesetzt. Man muss das Ganze aber differenziert betrachten. Zum Beispiel haben die Oberflächen von Knochen-Implantaten häufig Strukturen im Mikro- oder Nanometerbereich, was grossen Einfluss darauf hat, wie gut das Implantat im Knochen einwächst. Das hat aber nichts mit dem Risiko von freigesetzten Partikeln zu tun.

 
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