Langstrasse: Emotional bestimmte Studie

Zu dem Artikel „Die Langstrasse als Versuchslabor“ ist zu ergänzen, dass es einen Vorgänger in einer Semesterarbeit der Architekturabteilung gibt. Bei Professor A. Camenzind wurde diese Untersuchung schon einmal durchgeführt, unter Mitwirkung des Ethnologen Prof. Dr. Mario Erdheim, der zahlreiche Interviews mit den Einwohnern und Benutzern führte. Die damalige Arbeit hatte die von Prof. B. Hösli begleitete Publikation über eine punktuelle Stadterneuerung von Carosio/Cattaneo, erschienen im Architekturverlag der ETHZ, zum Resultat.

Die Untersuchung bei Camenzind verwendete andere Methoden, als die jetzt vorliegende. Die Unterschiede in der Wahrnehmungsstruktur der verschiedenen sozialen Schichten wurden festgestellt. Immerhin wohnte damals Max Frisch an der Langstrasse. Es zeigte sich, dass hinter der scheinbar kleinräumigen Eigentümerstruktur versteckt grosse Interessengruppen stehen, u. a. auch die Stadt Zürich. Das ist in diesem zentrumsnahmen, spekulationsbelasteten Gebiet auch heute noch so. So hatte die damalige Studie vor allem einen raumplanerischen Hintergrund, mit allen politischen Komponenten und dem Vorschlag einer architektonischen Umsetzung im Rahmen der planerischen Bedingungen. Konkrete Projekte für die urbane Renovation und den Eingriff in diesem spekulationsbedrohten Stadtgebiet wurden vorgelegt.

Die nun vorliegende Studie scheint, nach Besuch der Ausstellung, sehr emotional bestimmt. Das bekannte Amsterdamer Quartier „Jordan“ steht hier offensichtlich Pate. Neben den bekannten Feststellungen der Multinationalität und sehr speziellen Exponaten endet die Arbeit in der verstecken Hoffnung, dass dieses Quartier „zwischen Tragik und Komik“ erhalten bleiben, die Langstrasse „verlängert“ werden sollte. Das ganze Langstrassenquartier ist aber seit den Zeiten des CIAM ein von der UNESCO geschütztes Gebiet. Auch vermisst man einen Hinweis auf den in Zürich immer noch tätigen Dozenten Mario Erdheim, der die Entwicklung der Problematik hätte aufzeigen können. Auch ein Vergleich mit der Publikation der ETH von Carosio/Cattaneo findet nicht statt, was den Unterschied der Möglichkeiten eines Städtebaues mit Hilfe von Megastrukturen zu einem planerisch gesteuerten punktuellen Eingriff deutlich gemacht hätte. Die in der Schweizerischen Raumplanung geforderte Behandlung einer nachhaltigen Raumzeitlichkeit von physischen, sozialen, energetischen und ambientalen Inhalten ist hier gefragt.

Die Stadt Zürich hat in der Zwischenzeit für eine Bank an der Langstrasse die Erhöhung der Gebäudehöhe bewilligt, was langfristig die physische und soziale Struktur dieser für Zürich sehr typischen Strasse verändern wird. Die Langstrasse verlängern genügt nicht, wenn man nicht weiss, welche der vielen Formen der Langstrasse verlängert werden soll.

Dr. sc. techn. Norbert C. Novotny - 24.06.10

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