Veröffentlicht: 21.06.10
Science

Zürich auf gutem Weg zur «grünen» Stadt

ETH-Forscher haben den Energieverbrauch des Zürcher Gebäudeparks modelliert und daraus mögliche Zukunftsszenarien errechnet. Fazit: Mit strengen Sanierungsstandards, hoch effizienter Elektrizitätsnutzung und einem rigorosen Strukturwandel in Richtung erneuerbare Energien sind die Zwischenziele der «2000-Watt-Gesellschaft» bis 2050 zu erreichen.

Samuel Schläfli
Die Stadt Zürich muss sich radikal wandeln, wenn sie die Zwischenziele der 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 erreichen will. (Bild: Juan Rubiano)
Die Stadt Zürich muss sich radikal wandeln, wenn sie die Zwischenziele der 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 erreichen will. (Bild: Juan Rubiano) (Grossbild)

Die Zürcher Stadtbewohner haben sich im November 2008 in einer Abstimmung für die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft entschieden: Der Energieverbrauch von heute 6000 Watt pro Kopf soll bis ins Jahr 2050 auf 2000 Watt gesenkt werden. Dies entspricht in etwa dem von der ETH Zürich propagierten Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen auf eine Tonne pro Kopf und Jahr (siehe Energiestrategie für die ETH). Bisher war oft unklar, wo die Stadt auf ihrem Weg zur Energieeffizienz steht und welche Massnahmen für eine Erreichung der Zielwerte nötig sind. Deshalb beauftragte die Stadt Zürich Holger Wallbaum, Professor für nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich, und den ETH-Spin-off TEP Energy, ein Modell für den zukünftigen Energieverbrauch des Zürcher Gebäudeparks zu erstellen. Das gleiche Team hatte 2009 bereits eine vergleichbare Studie für die Schweiz erarbeitet (siehe Kasten).

Modellierung bis auf Ebene von Bauteilen

Wallbaums Modellierung umfasst den Energieverbrauch von sämtlichen Zürcher Wohn-, Schul- und Bürobauten. Das sind 44'000 Gebäude, was rund 80 Prozent des gesamten Gebäudeparks entspricht. Aus bestehenden Studien sammelte das Team unter anderem Daten zu Energiewerten von Heizungen, Dämmungsmaterialien und Kühlschränken. Als Ausgangsjahr wurde 2005 gewählt. Das Team modellierte zwei Szenarien, die die End- und Primärenergienachfrage sowie die Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 bei unterschiedlichen Politiken abbilden. Das Referenzszenario ging von der aktuellen Energiepolitik aus und leitete daraus den resultierenden Energieverbrauch in der Zukunft ab. Beim Effizienz-Szenario hingegen wurde mit einer forcierten Energieeffizienz und einer Stärkung der erneuerbaren Energien gerechnet.

Rigoroser Strukturwandel nötig

Die Ergebnisse zeigen: Zürich kann die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zwar erreichen; jedoch nur mit einem rigorosen Umschwung. Sollen die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 erreicht werden, so müssen Zürcher und Zürcherinnen nämlich mit 44 Prozent weniger Primärenergie und 77 Prozent weniger CO2-Emissionen im Gebäudebereich auskommen. Mit dem «Weiter wie bisher»-Referenzszenario wird der Primärenergieverbrauch nur um 19 Prozent reduziert, wobei der Anteil an nicht erneuerbaren Energien lediglich um 32 Prozent sinken würde. Erreicht würden die Ziele jedoch mit dem Effizienzszenario. Dabei würde der Primärenergieverbrauch um 56 Prozent gesenkt, der Anteil an nicht erneuerbaren Energien um 90 Prozent und die CO2-Emissionen um 86 Prozent.

Die Modellierung zeigt: Mit ambitionierten Standards für Neubauten und Anreizen für sinnvolle Renovationen, einer hoch effizienten Elektrizitätsnutzung für Gebäudetechnik und Haushaltgeräte sowie einem substanziellen Strukturwandel in Richtung erneuerbare Energien, vor allem bei der Gebäudebeheizung, ist die 2000-Watt-Gesellschaft für die Stadt Zürich umsetzbar. «Zürich hat die besten Voraussetzungen: Die Ziele werden von der Bevölkerung getragen, der politische Wille ist stark und das nötige Know-How sowie Kapital stehen ebenfalls zur Verfügung», ist Wallbaum überzeugt.

Einzigartig beim eingesetzten Modell: Der Energieverbrauch wurde wo immer möglich auf der Ebene von einzelnen Bauteilen, darunter Dach, Wand, Fenster sowie Gebäudetechnik- und Warmwasseranlagen modelliert. Das Bevölkerungswachstum sowie Neubauten und Sanierungen wurden in beiden Szenarien mit einberechnet. Nicht jedoch die grauen Energien, also diejenigen, die zur Erstellung von Gebäudekomponenten, deren Instandsetzung oder Entsorgung anfallen. Ebenfalls nicht im Modell eingeschlossen sind weitere Gebäudekategorien und der Verkehr.

Noch stärker auf die Erneuerbaren setzen

Ausgehend vom Gebäudeparkmodell hat das Team die Sieben-Schritte-Politik der Stadt Zürich zur Erreichung ihrer Energieziele unter die Lupe genommen. Diese wurde 2001 vom Gemeinderat verabschiedet. Die sieben Schritte betreffen Minergie-Standards für Neubauten und Sanierungen, den effizienten Elektrizitätseinsatz, erneuerbare Energien und Energiebewirtschaftung. Die Autoren kommen in ihrer Einschätzung zum Schluss, dass die Stadtverwaltung mit den beschlossenen Massnahmen auf gutem Weg ist.

Das Ziel von 44 Prozent Primärenergiereduktion könnte mit der beschriebenen Politik – vorausgesetzt diese wird konsequent umgesetzt - sogar um neun Prozent übertroffen werden. Nicht ganz erreicht würden die Ziele jedoch bei den angestrebten CO2-Reduktionen; anstelle der erwünschten 77 Prozent würden nur 68 Prozent Reduktion erreicht. Die Stadt müsse deshalb noch stärker auf die erneuerbaren Energien setzen, schliessen die Autoren. Wo in der Stadt Potenziale für die Nutzung von erneuerbaren Energien, wie Sonne oder Geothermie, bestehen, erarbeitet das Team zurzeit im Energieversorgungskonzept 2050 unter Leitung von TEP Energy, das der Stadt diesen Herbst vorgelegt werden soll.

Gebäudeparkmodellierung für die Schweiz

2009 erstellte die Professur für Nachhaltiges Bauen in Zusammenarbeit mit dem ETH-Spin-off TEP Energy für das Bundesamt für Energie eine Vorstudie zum Gebäudeparkmodell Schweiz. Damit sollten Grundlagen für die Überarbeitung des Effizienzpfades des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverbands (SIA) geschaffen werden. Die aktuelle Studie für die Stadt Zürich beruht auf den Erfahrungen des gesamtschweizerischen Modells. Dadurch können die Ergebnisse verglichen werden. Die Autoren gingen bei den Annahmen zu erneuerbaren Energien für die Wärme- und Elektrizitätserzeugung für Zürich wesentlich weiter als für die Gesamtschweiz. Dies unter anderem wegen dem starken politischen Bekenntnis Zürichs zur Energieeffizienz und zu erneuerbaren Energien. Unter anderem gingen die Autoren davon aus, dass in Zürich gerade einmal elf Prozent der Bestandsbauten der Mehrfamilienhäuser im Jahr 2050 noch mittels Öl und Gas beheizt werden, während dieser Anteil für die Schweiz noch 48 Prozent beträgt. Für die Schweiz zeichnen die Autoren deshalb ein weniger optimistisches Bild. Ihre Studie aus 2009 zeigte, dass selbst bei einem rigorosen Szenario der Primärenergieverbrauch nur um 37 Prozent und die CO2-Emissionen um 70 Prozent gegenüber 2005 reduziert werden können. Die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft von 44 Prozent weniger Primärenergie und 77 Prozent weniger CO2 würden somit selbst mit einer äusserst ambitionierten Energiepolitik nicht erreicht.