Grundlagenforschung unabdingbar
Der Klimageologe Gerald Haug wurde mit dem höchstdotierten Preis der ETH Zürich ausgezeichnet. Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt er am 17. Juni den mit 200'000 Franken dotierten Max-Rössler-Preis. Mit ETH Life sprechen die Preisträger darüber, was sie mit dem Preis verbinden und was er ihnen bedeutet.
Herr Rössler, Sie haben
der ETH Zürich Foundation 10 Millionen Franken geschenkt. Was hat Sie dazu
bewogen?
Max Rössler: Ich
könnte mein Vermögen natürlich immer wieder neu investieren oder alles
vererben, aber ich wollte das Geld für sinnvollere Zwecke einsetzen. Wenn man
über genügend finanzielle Mittel verfügt, trägt man auch eine Verantwortung
gegenüber der Gesellschaft. Ich habe während meiner Zeit an der ETH Zürich von
der Hochschule profitiert und gebe ihr und letztendlich auch der Gesellschaft
mit meiner Schenkung etwas zurück.
Haben Sie konkrete
Vorstellungen, was mit dem Geld gemacht werden soll?
Rössler: Die
ETH Zürich kann darüber frei verfügen. Ich hatte jedoch bestimmte Wunschthemen,
die damit gefördert werden sollen. Als promovierter Mathematiker liegen mir
insbesondere die Naturwissenschaften und die Anwendungen in der Technik am Herzen.
Aus den Zinsen Ihrer
Spende wird der Max-Rössler-Preis jährlich finanziert. Letztes Jahr wurde ein
Strukturbiologe mit dem Preis ausgezeichnet, dieses Jahr ist es ein
Erdwissenschaftler, der sich mit dem Klima der jüngeren Erdgeschichte befasst.
Was wollen Sie mit dem Preis bewirken und welche Erwartungen haben Sie an den
Preisträger?
Rössler: Das
Geld ist langfristig angelegt. Mit den Zinsen soll jährlich die Forschung und
deren Anwendung befruchtet werden, damit im weitesten Sinne die Menschheit
weitergebracht wird. Viele Gelder werden für kulturelle oder soziale Zwecke
gespendet. Mein Ziel war, Wissen weiter zu erhöhen und die Forschung
voranzubringen, um damit letztendlich den Lebensstandard der Menschen erhöhen
zu helfen, vor allem auch in den Entwicklungsländern.
Herr Haug, können Sie
diese Erwartungen erfüllen?
Gerald Haug: In
unserer Forschung geht es hauptsächlich darum, die Klimaschwankungen und die
damit einhergehenden Veränderungen im Laufe der jüngeren Erdgeschichte zu
rekonstruieren und zu interpretieren. Dadurch gewinnen wir Erkenntnisse, die
uns helfen, die gegenwärtigen Klimaveränderungen zu verstehen. Herr Rössler hat
das, was wir machen, gut gefunden. Als Bankier waren ihm unsere Auswertungen
der Klimadaten – die als Zickzackkurven ähnlich dargestellt sind, wie die
Analysen von Finanzprofis – vertraut und zugänglich. Kritische Schwellenwerte
sind nicht nur in den Klimakurven zu erkennen; es gibt sie unglücklicherweise
auch in der Finanzwelt. Diesen nicht linearen Effekten wollen wir auf den Grund
gehen.
Haben Sie konkrete
Vorstellungen, wie das Geld eingesetzt wird?
Haug: Förderpreise,
die nicht an bestimmte Projekte gebunden sind, sind vermutlich nicht nur für
die akademische Welt unglaublich wertvoll, weil man die Mittel für freies und
kreatives Arbeiten verwenden kann. Wir verfügen hier an der ETH Zürich zwar
über eine sehr gute Grundfinanzierung, haben aber nicht immer zum richtigen
Zeitpunkt die notwendigen Mittel. Manchmal begegnen einem brillante Forschende
ohne Projekte. Sie kann man mit solchen Geldern schnell und unkompliziert
gewinnen und somit in der Forschung halten.
Sprechen Sie da aus
Erfahrung?
Haug: Kürzlich
habe ich auf einer Alexander von Humboldt-Konferenz in Mexiko einen jungen Mexikaner
getroffen, der eine der schönsten Klimakurven aus einer bestimmten Region
Mexikos gezeigt hat, die ich je gesehen habe. Wir arbeiten ebenfalls in dieser
Region, jedoch mit Meeressedimenten des Cariacobeckens, während seine Daten von
einem Stalagmiten vom Festland stammten. Seine Kurve entsprach praktisch dem
Komplement zu unserer, seine Interpretation hat mich aber nicht überzeugt. Dem
Wissenschaftler fehlte in Mexiko die Infrastruktur, um die hochempfindlichen
geochemischen Messungen präzise durchzuführen. Ich habe ihn deshalb für drei
Monate an die ETH Zürich eingeladen, damit er seine Analyse mit Schweizer
Präzisions-Messgeräten nochmals durchführen kann, eventuell ergibt sich daraus
sogar eine Doktorarbeit.
Gönnen Sie sich auch
persönlich etwas?
Haug: In
der vorlesungsfreien Zeit werde ich mir wohl eine Art «Mini-Sabbatical» gönnen
und mich im Büro eines Kollegen an einer amerikanischen Universität in Harvard,
Princeton oder am Scripps Institute einnisten. Solche Auszeiten sind wichtig
für mich. Ich kann mich mit Kollegen intellektuell austauschen, Gedanken zu
Ende führen und schliesslich Publikationen verfassen, ohne dass ständig mein
Telefon klingelt. Mit dem Einverständnis von Herrn Rössler werde ich mir für so
ein «Mini-Sabbatical» das Flugticket finanzieren. Ich habe eine gute Bilanz:
Nach einigen dieser Auszeiten kam eine High-Impact-Publikation zustande.
Was bedeutet Ihnen der
Preis?
Haug: Ich
war gerade in Princeton, als ich in einer E-Mail aufgefordert wurde, mich
persönlich beim Vizepräsidenten Forschung zu melden. Ich war zuerst beunruhigt,
da eine solche Aufforderung nicht alltäglich ist. Als er mir dann mitteilte,
dass ich den Max-Rössler-Preis erhalte, empfand ich dies als eine grosse Ehre.
Herr Rössler, was hat
Sie an Herrn Haug als Preisträger überzeugt?
Rössler: Der
Vorschlag hat mich sofort wegen der Thematik überzeugt, mit der sich Herr Haug
beschäftigt. Klimaforschung ist heute ein sehr aktuelles Thema, in dem ein
Schwerpunkt gelegt werden muss, um die Umwelt zu erhalten. Herr Haug liefert
mit seiner Forschungsarbeit dafür wichtige Grundlagen.
Sie selber haben Ihre
Forscherkarriere zugunsten einer Tätigkeit in der Wirtschaft aufgegeben. Mit
dem Preis engagieren Sie sich weiterhin für die Forschung. Steckt da auch
Faszination dahinter?
Rössler: Je
älter man wird, desto mehr erinnert man sich wieder an seine Wurzeln. Ich war
lange weg von der Wissenschaft und obwohl ich immer an neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft interessiert war, habe
ich nur noch wenig verfolgt, was gerade passiert. Die Möglichkeit, über den
strategischen Fonds der ETH Zürich Foundation (ETH-Foundation) in die Wissenschaft zu investieren,
bot mir einen neuen Zugang zur Forschung.
Sehen Sie einen
Widerspruch darin, hochqualifizierte Leute mit Preisgeldern in der Forschung zu
halten, obwohl man auch in der Wirtschaft auf gut ausbildete Fachleute
angewiesen ist?
Rössler: Ich
sehe das eher umgekehrt. Viel angesammeltes Wissen geht wieder verloren, weil
zu viele Absolventen der Technischen Hochschule nach ihrer Ausbildung eine
kommerzielle Tätigkeit ausüben, statt ihr Wissen wirklich anzuwenden.
Herr Haug, Sie sind
«erklärter» Gegner der rein orientierten Forschung und fördern beispielsweise
mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, den Sie 2007 erhalten haben, aktiv die
Grundlagenforschung. Wird Grundlagenforschung zum Luxusgut werden und dereinst
nur noch über solche Preise realisierbar sein?
Haug: Ein
Grund, warum ich von der Helmholzgesellschaft in Deutschland an die ETH Zürich
gewechselt habe, ist die dort etablierte orientierte Forschung. Ich glaube,
dass Spitzenforschung nur «bottom up» funktionieren kann. Sonst wird ganz viel
Geld für Mittelmass ausgegeben. Es ist selbstverständlich, dass wir auch
angewandte Forschung betreiben, da sie direkt in Franken oder Dollars umgesetzt
werden kann. Aber die Grundlagenforschung ist immer noch entscheidend für die
Reputation einer Universität, die auch
heute noch durch Nobelpreise und High-Impact-Publikationen generiert wird.
Was ist hier zu
beachten?
Haug: Entscheidend
ist eine sehr gute, vor allem finanzielle, Basis, um Ideen frei entwickeln zu
können. Ohne Wissenschaftler, die sich frei bewegen können, hätte man die
grossen Entdeckungen des letzten Jahrhunderts nicht gemacht. Die ganz grossen
Würfe aus der Grundlagenforschung, die in die Anwendung übersetzt wurden, hätte
es nicht gegeben. In den Erdwissenschaften könnten wir beispielsweise ohne die
Grundlagenforschung die grossen Dinge, die uns bewegen - Naturkatastrophen wie
Erdbeben oder Vulkanausbrüche - nicht verstehen.
Schwerpunktprogramme,
wie sie von der EU gefördert werden, basieren praktisch auf orientierter
Forschung. Auch die ETH ist an solchen beteiligt. Sehen Sie da eine Gefahr für
die ETH Zürich?
Haug: Ich
denke, die ETH Zürich ist mit ihrem Grundbudget gut positioniert. Solange man
das Finanzierungs- und Berufungsmodell der ETH so lässt, sehe ich keine grosse
Gefahr für die Grundlagenforschung. Wichtig erscheint mir, dass man die Grund-
und Personalfinanzierung und die ordentlichen Kredite nicht von politischen
Wünschen abhängig macht. Visionäre Menschen wie etwa Herr Rössler, welche die
Hochschule mit freien Mitteln fördern, sind entscheidend für die Sicherung der
Grundlagenforschung. Die Spitzenuniversitäten wie Harvard oder Princeton sind
Beispiele für Hochschulen, die sich dank freier Finanzierung prächtig
entwickelt haben.
Was würden Sie fördern,
wenn Sie in der Lage von Herrn Rössler wären?
Haug: Ich
würde das genauso machen wie Herr Rössler. Das Geld mit möglichst wenig Auflagen
einer Universität zur freien Verfügung spenden. Mit einer Einschränkung
vielleicht: Es soll vor allem für Grundlagenforschung genutzt werden.
Entscheidend ist, und das hat Herr Rössler unglaublich visionär gemacht, dass
das Geld nicht an spezielle Vorgaben gebunden ist. Wäre beispielsweise
Bedingung, dass damit eine ganz bestimmte Professur finanziert werden soll,
würde man wahrscheinlich automatisch Kompromisse in der Qualität machen.
Was würden Sie sich
idealerweise für die Hochschule wünschen?
Haug: In den USA werden über langfristig angelegte Gelder so genannte Named
chairs finanziert. Ein Modell, in dem eine Familie eine Professur stiftet, die
in irgendeine Richtung gehen soll. Durch diese langfristigen Donationen
generieren die Zinsen ein Salär. Es wäre schön, wenn sich dieses Modell in
Europa ausbilden würde. Das Alumni-Wesen und Donationen sind hier leider nicht
so entwickelt. Mein Wunsch wäre, dass sich andere Alumni Herrn Rössler diesbezüglich
als Vorbild nehmen und sich an ihre Wurzeln erinnern.
Rössler: Werbung mache ich nicht direkt, aber
mein Engagement soll natürlich auch andere auf den Gedanken bringen, ähnliches
zu machen.
Max Rössler
studierte Anfang der sechziger Jahre an der ETH Zürich Mathematik und war dort Assistent für angewandte Mathematik, bevor er an die Harvard University in Cambridge, USA wechselte. Nach einem Jahr Auslandsaufenthalt nahm er einen Lehrauftrag an der ETH Zürich an, bevor er 1978 in die freie Wirtschaft wechselte und Direktionsmitglied der Credit Suisse wurde. Später arbeitete er als Portfolio Manager bei der SUVA in Luzern. Heute ist er noch immer für verschiedene Banken, sowie für die ETH Zürich Foundation, in beratender Funktion tätig. 2007 schenkte er der ETH Zürich 10 Millionen Franken, von deren Zinsen der Max-Rössler-Preis gestiftet wird. Mit ihm soll jährlich ein herausragendes Projekt aus dem Bereich Naturwissenschaften und Technik gefördert werden. Im vergangenen Jahr erhielt der Strukturbiologe Nenad Ban als erster den mit 200‘000 Franken dotierten Preis (siehe ETH Life vom 16.06.2009) Der Max-Rössler-Preis wird gestiftet aus dem Rössler-Fonds der Stiftung Empiris.
Gerald Haug
studierte Geologie in Karlsruhe und promovierte an der Universität Kiel. Nach einem Jahr Postdoc ging er 1996 an die University of British Columbia (UBC) in Vancouver, Canada, dann an das Woods Hole Oceanographic Institut im Bundesstaat Massachusetts. Es folgten Aufenthalte an verschiedenen amerikanischen Hochschulen, bevor er im Jahr 2000 nach Europa zurückkehrte, wo er Oberassistent an der ETH Zürich wurde und sich dort auch habilitierte, bevor er als Sektionsleiter und Professor ans Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) ging. Im Juni 2007 kehrte er als Professor an die ETH Zürich zurück. Haug ist heute spezialisiert auf das Klima der jüngeren Erdgeschichte. Dabei geht seine Forschungsarbeit über sein Fachgebiet hinaus, wenn er beispielsweise anhand von Sedimenten zu belegen versucht, dass indem der tropische Regengürtel sich verschob, ausbleibende Regenfälle und längere Trockenphasen das Schicksal der Maya beeinflusste. Haug erhielt 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Albert-Maucher-Preis für Geowissenschaften und 2007 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis.
LESERKOMMENTARE