Veröffentlicht: 18.06.10
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Grundlagenforschung unabdingbar

Der Klimageologe Gerald Haug wurde mit dem höchstdotierten Preis der ETH Zürich ausgezeichnet. Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt er am 17. Juni den mit 200'000 Franken dotierten Max-Rössler-Preis. Mit ETH Life sprechen die Preisträger darüber, was sie mit dem Preis verbinden und was er ihnen bedeutet.

Interview: Simone Ulmer
Preisstifter Max Roessler und Preisträger Gerald Haug (r.) (Bild: Norbert Staub / ETH Zürich)
Preisstifter Max Roessler und Preisträger Gerald Haug (r.) (Bild: Norbert Staub / ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Rössler, Sie haben der ETH Zürich Foundation 10 Millionen Franken geschenkt. Was hat Sie dazu bewogen?
Max Rössler: Ich könnte mein Vermögen natürlich immer wieder neu investieren oder alles vererben, aber ich wollte das Geld für sinnvollere Zwecke einsetzen. Wenn man über genügend finanzielle Mittel verfügt, trägt man auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Ich habe während meiner Zeit an der ETH Zürich von der Hochschule profitiert und gebe ihr und letztendlich auch der Gesellschaft mit meiner Schenkung etwas zurück.

Haben Sie konkrete Vorstellungen, was mit dem Geld gemacht werden soll?
Rössler: Die ETH Zürich kann darüber frei verfügen. Ich hatte jedoch bestimmte Wunschthemen, die damit gefördert werden sollen. Als promovierter Mathematiker liegen mir insbesondere die Naturwissenschaften und die Anwendungen in der Technik am Herzen.

Aus den Zinsen Ihrer Spende wird der Max-Rössler-Preis jährlich finanziert. Letztes Jahr wurde ein Strukturbiologe mit dem Preis ausgezeichnet, dieses Jahr ist es ein Erdwissenschaftler, der sich mit dem Klima der jüngeren Erdgeschichte befasst. Was wollen Sie mit dem Preis bewirken und welche Erwartungen haben Sie an den Preisträger?
Rössler: Das Geld ist langfristig angelegt. Mit den Zinsen soll jährlich die Forschung und deren Anwendung befruchtet werden, damit im weitesten Sinne die Menschheit weitergebracht wird. Viele Gelder werden für kulturelle oder soziale Zwecke gespendet. Mein Ziel war, Wissen weiter zu erhöhen und die Forschung voranzubringen, um damit letztendlich den Lebensstandard der Menschen erhöhen zu helfen, vor allem auch in den Entwicklungsländern.

Herr Haug, können Sie diese Erwartungen erfüllen?
Gerald Haug: In unserer Forschung geht es hauptsächlich darum, die Klimaschwankungen und die damit einhergehenden Veränderungen im Laufe der jüngeren Erdgeschichte zu rekonstruieren und zu interpretieren. Dadurch gewinnen wir Erkenntnisse, die uns helfen, die gegenwärtigen Klimaveränderungen zu verstehen. Herr Rössler hat das, was wir machen, gut gefunden. Als Bankier waren ihm unsere Auswertungen der Klimadaten – die als Zickzackkurven ähnlich dargestellt sind, wie die Analysen von Finanzprofis – vertraut und zugänglich. Kritische Schwellenwerte sind nicht nur in den Klimakurven zu erkennen; es gibt sie unglücklicherweise auch in der Finanzwelt. Diesen nicht linearen Effekten wollen wir auf den Grund gehen.

Haben Sie konkrete Vorstellungen, wie das Geld eingesetzt wird?
Haug: Förderpreise, die nicht an bestimmte Projekte gebunden sind, sind vermutlich nicht nur für die akademische Welt unglaublich wertvoll, weil man die Mittel für freies und kreatives Arbeiten verwenden kann. Wir verfügen hier an der ETH Zürich zwar über eine sehr gute Grundfinanzierung, haben aber nicht immer zum richtigen Zeitpunkt die notwendigen Mittel. Manchmal begegnen einem brillante Forschende ohne Projekte. Sie kann man mit solchen Geldern schnell und unkompliziert gewinnen und somit in der Forschung halten.

Sprechen Sie da aus Erfahrung?
Haug: Kürzlich habe ich auf einer Alexander von Humboldt-Konferenz in Mexiko einen jungen Mexikaner getroffen, der eine der schönsten Klimakurven aus einer bestimmten Region Mexikos gezeigt hat, die ich je gesehen habe. Wir arbeiten ebenfalls in dieser Region, jedoch mit Meeressedimenten des Cariacobeckens, während seine Daten von einem Stalagmiten vom Festland stammten. Seine Kurve entsprach praktisch dem Komplement zu unserer, seine Interpretation hat mich aber nicht überzeugt. Dem Wissenschaftler fehlte in Mexiko die Infrastruktur, um die hochempfindlichen geochemischen Messungen präzise durchzuführen. Ich habe ihn deshalb für drei Monate an die ETH Zürich eingeladen, damit er seine Analyse mit Schweizer Präzisions-Messgeräten nochmals durchführen kann, eventuell ergibt sich daraus sogar eine Doktorarbeit.

Gönnen Sie sich auch persönlich etwas?
Haug: In der vorlesungsfreien Zeit werde ich mir wohl eine Art «Mini-Sabbatical» gönnen und mich im Büro eines Kollegen an einer amerikanischen Universität in Harvard, Princeton oder am Scripps Institute einnisten. Solche Auszeiten sind wichtig für mich. Ich kann mich mit Kollegen intellektuell austauschen, Gedanken zu Ende führen und schliesslich Publikationen verfassen, ohne dass ständig mein Telefon klingelt. Mit dem Einverständnis von Herrn Rössler werde ich mir für so ein «Mini-Sabbatical» das Flugticket finanzieren. Ich habe eine gute Bilanz: Nach einigen dieser Auszeiten kam eine High-Impact-Publikation zustande.

Was bedeutet Ihnen der Preis?
Haug: Ich war gerade in Princeton, als ich in einer E-Mail aufgefordert wurde, mich persönlich beim Vizepräsidenten Forschung zu melden. Ich war zuerst beunruhigt, da eine solche Aufforderung nicht alltäglich ist. Als er mir dann mitteilte, dass ich den Max-Rössler-Preis erhalte, empfand ich dies als eine grosse Ehre.

Herr Rössler, was hat Sie an Herrn Haug als Preisträger überzeugt?
Rössler: Der Vorschlag hat mich sofort wegen der Thematik überzeugt, mit der sich Herr Haug beschäftigt. Klimaforschung ist heute ein sehr aktuelles Thema, in dem ein Schwerpunkt gelegt werden muss, um die Umwelt zu erhalten. Herr Haug liefert mit seiner Forschungsarbeit dafür wichtige Grundlagen.

Sie selber haben Ihre Forscherkarriere zugunsten einer Tätigkeit in der Wirtschaft aufgegeben. Mit dem Preis engagieren Sie sich weiterhin für die Forschung. Steckt da auch Faszination dahinter?
Rössler: Je älter man wird, desto mehr erinnert man sich wieder an seine Wurzeln. Ich war lange weg von der Wissenschaft und obwohl ich immer an neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft interessiert war, habe ich nur noch wenig verfolgt, was gerade passiert. Die Möglichkeit, über den strategischen Fonds der ETH Zürich Foundation (ETH-Foundation) in die Wissenschaft zu investieren, bot mir einen neuen Zugang zur Forschung.

Sehen Sie einen Widerspruch darin, hochqualifizierte Leute mit Preisgeldern in der Forschung zu halten, obwohl man auch in der Wirtschaft auf gut ausbildete Fachleute angewiesen ist?
Rössler: Ich sehe das eher umgekehrt. Viel angesammeltes Wissen geht wieder verloren, weil zu viele Absolventen der Technischen Hochschule nach ihrer Ausbildung eine kommerzielle Tätigkeit ausüben, statt ihr Wissen wirklich anzuwenden.

Herr Haug, Sie sind «erklärter» Gegner der rein orientierten Forschung und fördern beispielsweise mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis, den Sie 2007 erhalten haben, aktiv die Grundlagenforschung. Wird Grundlagenforschung zum Luxusgut werden und dereinst nur noch über solche Preise realisierbar sein?
Haug: Ein Grund, warum ich von der Helmholzgesellschaft in Deutschland an die ETH Zürich gewechselt habe, ist die dort etablierte orientierte Forschung. Ich glaube, dass Spitzenforschung nur «bottom up» funktionieren kann. Sonst wird ganz viel Geld für Mittelmass ausgegeben. Es ist selbstverständlich, dass wir auch angewandte Forschung betreiben, da sie direkt in Franken oder Dollars umgesetzt werden kann. Aber die Grundlagenforschung ist immer noch entscheidend für die Reputation einer Universität, die auch heute noch durch Nobelpreise und High-Impact-Publikationen generiert wird.

Was ist hier zu beachten?
Haug: Entscheidend ist eine sehr gute, vor allem finanzielle, Basis, um Ideen frei entwickeln zu können. Ohne Wissenschaftler, die sich frei bewegen können, hätte man die grossen Entdeckungen des letzten Jahrhunderts nicht gemacht. Die ganz grossen Würfe aus der Grundlagenforschung, die in die Anwendung übersetzt wurden, hätte es nicht gegeben. In den Erdwissenschaften könnten wir beispielsweise ohne die Grundlagenforschung die grossen Dinge, die uns bewegen - Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche - nicht verstehen.

Schwerpunktprogramme, wie sie von der EU gefördert werden, basieren praktisch auf orientierter Forschung. Auch die ETH ist an solchen beteiligt. Sehen Sie da eine Gefahr für die ETH Zürich?
Haug: Ich denke, die ETH Zürich ist mit ihrem Grundbudget gut positioniert. Solange man das Finanzierungs- und Berufungsmodell der ETH so lässt, sehe ich keine grosse Gefahr für die Grundlagenforschung. Wichtig erscheint mir, dass man die Grund- und Personalfinanzierung und die ordentlichen Kredite nicht von politischen Wünschen abhängig macht. Visionäre Menschen wie etwa Herr Rössler, welche die Hochschule mit freien Mitteln fördern, sind entscheidend für die Sicherung der Grundlagenforschung. Die Spitzenuniversitäten wie Harvard oder Princeton sind Beispiele für Hochschulen, die sich dank freier Finanzierung prächtig entwickelt haben.

Was würden Sie fördern, wenn Sie in der Lage von Herrn Rössler wären?
Haug: Ich würde das genauso machen wie Herr Rössler. Das Geld mit möglichst wenig Auflagen einer Universität zur freien Verfügung spenden. Mit einer Einschränkung vielleicht: Es soll vor allem für Grundlagenforschung genutzt werden. Entscheidend ist, und das hat Herr Rössler unglaublich visionär gemacht, dass das Geld nicht an spezielle Vorgaben gebunden ist. Wäre beispielsweise Bedingung, dass damit eine ganz bestimmte Professur finanziert werden soll, würde man wahrscheinlich automatisch Kompromisse in der Qualität machen.

Was würden Sie sich idealerweise für die Hochschule wünschen?
Haug: In den USA werden über langfristig angelegte Gelder so genannte Named chairs finanziert. Ein Modell, in dem eine Familie eine Professur stiftet, die in irgendeine Richtung gehen soll. Durch diese langfristigen Donationen generieren die Zinsen ein Salär. Es wäre schön, wenn sich dieses Modell in Europa ausbilden würde. Das Alumni-Wesen und Donationen sind hier leider nicht so entwickelt. Mein Wunsch wäre, dass sich andere Alumni Herrn Rössler diesbezüglich als Vorbild nehmen und sich an ihre Wurzeln erinnern.

Rössler: Werbung mache ich nicht direkt, aber mein Engagement soll natürlich auch andere auf den Gedanken bringen, ähnliches zu machen.

Max Rössler

studierte Anfang der sechziger Jahre an der ETH Zürich Mathematik und war dort Assistent für angewandte Mathematik, bevor er an die Harvard University in Cambridge, USA wechselte. Nach einem Jahr Auslandsaufenthalt nahm er einen Lehrauftrag an der ETH Zürich an, bevor er 1978 in die freie Wirtschaft wechselte und Direktionsmitglied der Credit Suisse wurde. Später arbeitete er als Portfolio Manager bei der SUVA in Luzern. Heute ist er noch immer für verschiedene Banken, sowie für die ETH Zürich Foundation, in beratender Funktion tätig. 2007 schenkte er der ETH Zürich 10 Millionen Franken, von deren Zinsen der Max-Rössler-Preis gestiftet wird. Mit ihm soll jährlich ein herausragendes Projekt aus dem Bereich Naturwissenschaften und Technik gefördert werden. Im vergangenen Jahr erhielt der Strukturbiologe Nenad Ban als erster den mit 200‘000 Franken dotierten Preis (siehe ETH Life vom 16.06.2009) Der Max-Rössler-Preis wird gestiftet aus dem Rössler-Fonds der Stiftung Empiris.

Gerald Haug

studierte Geologie in Karlsruhe und promovierte an der Universität Kiel. Nach einem Jahr Postdoc ging er 1996 an die University of British Columbia (UBC) in Vancouver, Canada, dann an das Woods Hole Oceanographic Institut im Bundesstaat Massachusetts. Es folgten Aufenthalte an verschiedenen amerikanischen Hochschulen, bevor er im Jahr 2000 nach Europa zurückkehrte, wo er Oberassistent an der ETH Zürich wurde und sich dort auch habilitierte, bevor er als Sektionsleiter und Professor ans Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) ging. Im Juni 2007 kehrte er als Professor an die ETH Zürich zurück. Haug ist heute spezialisiert auf das Klima der jüngeren Erdgeschichte. Dabei geht seine Forschungsarbeit über sein Fachgebiet hinaus, wenn er beispielsweise anhand von Sedimenten zu belegen versucht, dass indem der tropische Regengürtel sich verschob, ausbleibende Regenfälle und längere Trockenphasen das Schicksal der Maya beeinflusste. Haug erhielt 2001 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Albert-Maucher-Preis für Geowissenschaften und 2007 den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis.

 
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