Veröffentlicht: 10.06.10
Science

Fluss-Revitalisierung fördert Vielfalt

An einem renaturierten Thurabschnitt fanden Studierende der ETH Zürich eine überdurchschnittliche Vielfalt von Kieselalgen und Insekten. Die Resultate überraschen selbst Profis und werfen ein neues Licht auf den Nutzen von Flussrenaturierungen.

Matthias Honegger / per
Formenvielfalt unter dem Mikroskop: die Kieselalgen Cymbella, Diatoma vulgare und Navicula (Bild: Eawag)
Formenvielfalt unter dem Mikroskop: die Kieselalgen Cymbella, Diatoma vulgare und Navicula (Bild: Eawag) (Grossbild)

Die Thur bietet unterhalb Frauenfeld, bei Niederneunforn-Altikon, ein anderes Bild als Tausend andere Flusskilometer in der Schweiz: Auf rund 700 Metern wurde sie vor sieben Jahren renaturiert. Der Fluss erhält dadurch mehr Freiheit, sich sein Bett zwischen Kiesbänken zu formen. Dadurch entstehen Lebensräume mit sehr unterschiedlichen Fliessgeschwindigkeiten und Wassertemperaturen. Belege, dass sich diese Vielfalt auch positiv auf die Biodiversität auswirkt, liegen bisher allerdings kaum vor.

Jetzt konnten 20 Studentinnen und Studenten der ETH Zürich und des Wasserforschungsinstituts Eawag in ihrem 14-wöchigen Praktikum feststellen, dass Kieselalgen im renaturierten Abschnitt eine massiv grössere Vielfalt aufweisen als im begradigten Bereich. Unter dem Mikroskop entdeckten die Studenten eine farbenprächtige, bizarre Welt. «Die Bilder könnten in einem Museum für moderne Kunst hängen», sagt der 22-jährige Student Daniel Streit, der an der Arbeit beteiligt war.

Algenvielfalt in naturnahem Abschnitt

Kieselalgen sind winzige, einzellige Organismen, die eigenartige, streng geometrische Formen entwickeln, die aussehen wie Nadeln, Ziehharmonikas, Kügelchen und Igelchen. Diese Überlebenskünstler sitzen im Fluss auf Oberflächen von Steinen, in starken Strömungen.

In der kanalisierten Thur fanden die Studenten nur wenige Formen von Kieselalgen. Im renaturierten Abschnitt hingegen zeigte sich ihnen ein völlig anders Bild: Die Zusammensetzung der Kieselalgengruppen war deutlich vielfältiger. Die Studierenden konnten mehrere, verschiedene Formen in grösserer Anzahl auszählen. Die Resultate der Studenten überraschten selbst den erfahrenen Gewässerökologen Jukka Jokela, Professor am Institut für Integrative Biologie der ETH: «Ich bin verblüfft, dass man einen so deutlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Flussbereichen sieht.»

Wasserinsekten profitieren

Auch auf die Insektenlarven wirkt sich die Thur-Renaturierung positiv aus: Auf einem begradigten Flussabschnitt fanden die jungen Wissenschaftler 15 Artengruppen. Nur wenig flussabwärts, im renaturierten Bereich, waren es 23 – also 50 Prozent mehr, darunter auffällig viele anspruchsvolle Steinfliegen. «Im Jahr der Biodiversität freuen mich diese Ergebnisse ganz besonders», betont Jokela.

Für ihre Forschungsarbeit nahmen die Studenten einen beachtlichen Aufwand in Kauf. Zuerst sammelten sie an verschiedenen Standorten Steine, von denen sie mit Hilfe einer Schablone eine stets gleich grosse Fläche von Kieselalgen befreiten. Die Algenproben wurden anschliessend unter Spezial-Mikroskopen begutachtet, die gefunden Organismen bestimmt und klassiert. Insgesamt bestimmten die Studierenden über 4200 Kieselalgen.

Mit dem ambitionierten Ziel, ein Stück intakte Natur zurückzugewinnen, wurde die Thur bei Niederneunforn seit 2001 verändert. Besonders auffallend sind die ausgedehnten Kiesbänke, die sich natürlich gebildet haben.

Wissenschaftliche Grundlagen durch CCES-Projekte

Der Flussabschnitt, den die Studierenden unter die Lupen genommen haben, dient in zwei gross angelegten Forschungsprojekten des Kompetenzzentrums Umwelt und Nachhaltigkeit (CCES) als Beispiel, um die Effekte der Renaturierung auf Biodiversität und Fliessdynamik zu studieren. Da die Studierenden im Praktikum von Doktoranden aus den beiden Projekten RECORD und BioChange angeleitet wurden, konnten sie auf viel Erfahrung und Wissen zurückgreifen.

 
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