Veröffentlicht: 04.06.10
Globetrotter

Zurück im kalten Zürich

Sabrina Metzger ist zurück. Ein letztes Mal schreibt sie für den «Globetrotter» und zieht dabei Bilanz über ihren Aufenthalt an der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi Arabien.

Sabrina Metzger
Sabrina Metzger berichtet zum letzten Mal von der KAUST.(Bild: Sabrina Metzger / ETH Zürich)
Sabrina Metzger berichtet zum letzten Mal von der KAUST.(Bild: Sabrina Metzger / ETH Zürich) (Grossbild)

Da bin ich wieder, in meinem Büro an der Sonneggstrasse. Ich friere zwar immer noch, aber nun nicht mehr wegen der zu tief eingestellten Klima-Anlage, sondern weil das Zürcher Maiwetter Februar spielt. Durch das offene Fenster dringt nicht der Gesang des Muezzins sondern der Betonfräse.

Fragen über Fragen

Mein Aufenthalt an der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi Arabien ist zu Ende und ich habe den Blues, ich gebe es zu. Ich hatte meinen grossen Spass und wollte gar noch nicht zurückkehren. Trotzdem, oder gerade deshalb, will ich Bilanz ziehen. Dass sich der Aufenthalt für den Fortschritt meiner Forschungsarbeit gelohnt hat, steht ausser Frage. Aber ansonsten? Mit was für Erwartungen bin ich nach Saudi Arabien gegangen? Haben sich diese erfüllt? Was habe ich Neues gelernt? Als Studentin? Als Mensch? Und was ist meine eigene Meinung zur KAUST?

Das saudische Königreich wirkt nach aussen verschlossen und arrogant. Dementsprechend einseitig sind die Meinungen der Aussenstehenden. Räubergeschichten über mittelalterliche Sitten verkaufen sich immer gut, doch dass in dem Land Menschen wie du und ich wohnen und nicht nur Öl-Milliardäre, wird leider gerne übersehen. Der Lufthansa Flugbegleiter kommentierte meine Verabschiedung bei der Landung in Frankfurt mit den Worten: «Zurück in der heilen Welt, wa?» Hätten hinter mir nicht weitere ungeduldige Gäste darauf gewartet auszusteigen, hätte ich ihm lang und breit erläutert, dass man dieses widersprüchliche Land mit all seinen Einschränkungen auch geniessen kann. Der Flugkapitän schlug ebenfalls in die gleiche Bresche und sagte etwas im Stil von «...so dass wir hier möglichst rasch rauskommen» durchs Mikrofon.

Mit Flip-Flops auf die Jagd

Meine Erkundungsreisen an den Wochenenden – und davon gab es trotz eingeschränkter Mobilität viele – zeigten mir ein Land voller verborgenen Schätze. Ich empfand es als Privileg, die saudische Unterwasserwelt und die ländlichen Gebiete abseits vom Campus und der Grossstadt Jeddah entdecken zu dürfen. Spannende Begegnungen mit Einheimischen trugen das Ihre dazu bei. Da gab es zum Beispiel den freundlichen Autofahrer, der sich uns als Touristen-Polizist vorstellte und uns dann stundenlang auf unserer holperigen Fahrt durch die saudischen Lava-Felder begleitete. Oder die Gruppe junger Männer, ausgerüstet mit Flip-Flops und Gewehr, aus den Bergen «von der Jagd» zurückkehrend, die uns unbedingt ihren prall gefüllten Wassersack schenken wollten. Nur zur Sicherheit, obwohl wir offensichtlich viel besser für eine Tageswanderung ausgerüstet waren als sie für die Jagd.

Die Kriminalität im Lande ist extrem niedrig, respektive findet sie vor allem hinter den verschlossenen Türen des nie kontrollierten familiären Privatraumes statt. Ich musste nie um meine eigene Sicherheit fürchten – abgesehen vom Strassenverkehr: Hinter dem Steuer verwandeln sich alle Saudis in testosterongesteuerte Draufgänger, die für nichts und niemandem bremsen. Grausige Verkehrsunfälle stehen demzufolge auf der Tagesordnung. Der dreispurige Kreisverkehr(stau) in Jeddah ist ein Erlebnis für sich!

Doch nun zur KAUST, dieser merkwürdigen Schnittmenge arabischer und westlicher Kultur. Da prallen wahrlich zwei Welten aufeinander. Die gute Seite: Als Forscher wird man von hinten bis vorne verwöhnt und geniesst einen Lebensstil wie den eines weltbekannten Filmstars. Die schlechte Seite: Jemand muss für diesen Luxus bezahlen. Auf dem Papier ist das natürlich der König, aber in Wirklichkeit sind es die Tausende schlecht entlöhnten Arbeiter mit Arbeitsbedingungen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.

Der Professor und der Geländerpolierer

Zur Erklärung: Die Universitätsstruktur mit ihren Studenten, administrativen und wissenschaftlichen Mitarbeitern wird von der KAUST direkt geleitet. Für alle anderen Unterhaltsaufgaben wie Bau, Reinigung und sonstige Dienstleistungen sind externe Vertragspartner zuständig. Die KAUST-Obrigkeit gibt sich gezwungenermassen Mühe, ihren Angestellten faire Vertragsbedingungen mit westlichem Standard zu bieten. Um die ethnischen Richtlinien der Geschäftspartner kann sich (und will, wahrscheinlich) die KAUST nicht kümmern. Da in Saudi Arabien Gewerkschaftsverträge und Mindestlöhne noch zur Sparte Zukunftsmusik gehören, nehmen die Wanderarbeiter aus Bangladesh, Pakistan, den Philippinen und Indonesien fast schon sklavenartige Zustände in Kauf, um für sich und ihre zu Hause gebliebenen Familien ein paar Riyals zu verdienen. Die Vertragspartner der KAUST vergrössern ihrerseits ihre Gewinnmarge mit jedem zusätzlich Arbeiter, den sie anstellen. Das führt zur absurden Situation, dass auf einen KAUST Mitarbeiter etwa vier Service-Angestellte kommen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und Arbeiter werden als Tablett-Abräumer, Tür-Öffner oder Geländerpolierer angestellt.

Dieses Thema bereitete mir grosse Gewissensbisse. Wie sehr kann, will und darf ich als temporärer Besucher die Augen vor dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit verschliessen? Kann ich etwas dagegen tun? Oder ist das ganze schlussendlich doch eine Win-Win-Situation, da diese armen Leute zwar zwei Jahre pausenlos krampfen, aber danach mit neuem Reichtum heimkehren? Und wie sehr darf sich der Westen über diese Situation empören, zumal bei uns noch vor ein paar Jahrzehnten die Lage nicht gross anders war? Oder noch expliziter gefragt: Wenn wir im H&M ein T-Shirt «Made in Pakistan» für 10 Franken kaufen, oder eine nigerianische Putzfrau illegal anstellen, machen wir doch im Grunde genau dasselbe?

Übers Wochenende nach Dubai

Der ganze Luxus kann einem aber auch gehörig den Kopf verdrehen. Am meisten Sorge bereitet mir, wie sehr die KAUST ihre Studenten verhätschelt. Diese jungen Leute werden unserer zukünftigen Elite angehören, aber das letzte, was ein KAUST Student mit auf den Weg bekommt, ist Bescheidenheit und Demut: In breiten Ledersesseln lauschen Kleinklassen dem Vortrag des Dozenten, gewohnt wird in Einzelappartements, Wohngemeinschaften gibt es nur auf ausdrücklichen Wunsch. Das Stipendium ist so hoch, dass Wochenend-Flüge nach Istanbul, Dubai oder Äthiopien zur Tagesordnung gehören. Viele Studenten sammeln die erforderlichen Kreditpunkte im ersten Jahr, um sich im dritten und letzten Semester ein schönes (Reise-)Leben zu gönnen. Generell spürte ich eher eine passive Erwartungshaltung und wenig Eigeninitiative. Dies ist den Studenten aber auch kaum zu verübeln, wenn man bedenkt, wie sehr diese «Pioniere» umworben wurden. Wer für einen Info-Lunch extra nach London geflogen und mit der schwarzen Limousine am Flughafen abgeholt wurde, erwartet doch, dass es in diesem Stil weitergehen wird.

Ich habe diese Themen vielfach mit meinen neu gewonnenen Freunden und Mitarbeitern diskutiert, fand aber keine gute, richtige Antwort. Wird die KAUST Erfolg haben? Was muss man unbedingt ändern? Wie kann man die Situation verbessern? Die KAUST befindet sich auf einer ständigen Gratwanderung zwischen westlicher und saudischer Kultur. Man will gewisse Traditionen in Frage stellen, aber trotzdem den Rückhalt in der Bevölkerung nicht verlieren – ein schwieriges Unterfangen. Was ist der beste Weg, diese unterschiedlichen Mentalitäten unter einen Hut zu bringen? Ausprobieren, ist immer noch die beste Antwort, die mir einfällt. Und das Risiko eingehen, auch mal auf die Nase zu fallen. Nur dann wird die KAUST ein fruchtbarer Schmelztiegel arabischer und westlicher Wissenschaftler, insha'allah!

Zur Autorin

Sabrina Metzger hat an der ETH Zürich Interdisziplinäre Naturwissenschaften studiert. Nachdem sie anschliessend beim Schweizerischen Erdbebendienst für ein Jahr bei einem Projekt mitarbeitete, bei dem Mikrobeben in der Nähe des im Bau stehenden Gotthard-Basis-Tunnel untersucht wurden, wechselte sie zur Spectraseis Technologie AG, ein Spin-off der Uni Zürich. Im Frühjahr 2008 kehrte sie an die ETH zurück, um am Institut für Geophysik zu promovieren.Zur Zeit weilt Metzger als Gastwissenschaftlerin in Saudi Arabien, an der neu gegründeten King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), da ihr Betreuer, der isländische Geophysiker Sigurjón Jónsson, von der ETH Zürich an die KAUST wechselte.

 
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