Veröffentlicht: 03.06.10
Science

Gegen die Flaschenhälse im Schienenverkehr

Flaschenhälse entlang der Eisenbahnachse Rotterdam–Genua drohen den Personenverkehr zugunsten des Warentransports von der Schiene zu verdrängen. Ein EU-Projekt mit ETH-Unterstützung versucht nun die Raum- und Verkehrsplanung entlang der Achse zu koordinieren.

Samuel Schlaefli
Der Warentransport soll über die Schiene laufen, sind sich die Staaten zwischen Rotterdam und Genua einig. Damit dies nicht zulasten des Personenverkehrs geht, sucht ETH-Professor Bernd Scholl Möglichkeiten, um die Flaschenhälse entlang der Strecke zu erweitern. (Bild: Katutaide / flickr)
Der Warentransport soll über die Schiene laufen, sind sich die Staaten zwischen Rotterdam und Genua einig. Damit dies nicht zulasten des Personenverkehrs geht, sucht ETH-Professor Bernd Scholl Möglichkeiten, um die Flaschenhälse entlang der Strecke zu erweitern. (Bild: Katutaide / flickr) (Grossbild)

Eigentlich wäre der zukünftige Ausbau des Gütertransports auf der Schiene eine erfreuliche Sache. Schliesslich haben sowohl die EU als auch die Schweiz die Verlagerung des Warenverkehrs von der Strasse auf die Schiene zur Priorität erklärt. Im Kampf gegen den Klimawandel und den ungebremsten Anstieg von CO2-Emissionen kommt dem Schienenverkehr eine wichtige Rolle zu.

Auf einer der wichtigsten europäischen Schienenverkehrsachsen, zwischen Rotterdam und Genua, bestehen jedoch gravierende Lücken, ist Bernd Scholl, Professor am Institut für Raum und Landschaftsentwicklung, überzeugt. Engpässe im Norden wie im Süden der Schweizer Alpenbasistunnel könnten die Leistungsfähigkeit der Transversale und somit auch die wirtschaftliche Entwicklung entlang der Strecke bald stark limitieren, sagt er. Grund dafür: In jüngerer Vergangenheit sind wichtige Investitionen der EU zur Weiterentwicklung des Korridors 24 (siehe Kasten), wie die Achse genannt wird, auf der Strecke geblieben. Niederländische, deutsche, Schweizer und italienische Raum- und Verkehrsplaner aus Forschung und staatlichen Planungsbehörden haben sich deshalb unter dem Namen Corridor Development 24 (Code 24) zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen die 15 Partnerorganisationen eine intereuropäische Perspektive auf die Wirtschaftsachse erarbeiten, um Flaschenhälse zu orten und koordiniert zu erweitern.

Raumplanung gegen Schwächung des Personenverkehrs

Die ETH Zürich leitet eines von vier Arbeitspaketen der vierjährigen EU-Initiative, die mit einem Kick-off-Meeting vor drei Wochen gestartet wurde. Bernd Scholl und sein Team beschäftigen sich mit Fragen der Raum- und Infrastrukturentwicklung. «Der internationale Güterverkehr droht den regionalen Personenverkehr zu schwächen. Eigentlich müsste dieser aber gestärkt werden», sagt Scholl. Die Schweiz sei heute ein Städtenetz mit mehreren Zentren. Die schnellen Zugverbindungen, die diese Zentren verbinden, seien Kernkomponenten für die Attraktivität von Schweizer Städten und dadurch essentiell im Kampf gegen die Zersiedelung – eine der Hauptsorgen aller Raumplaner. Sollte der Güterverkehr in Zukunft mehr Kapazitäten auf der Schiene in Anspruch nehmen, ohne dass das Schienensystem gleichzeitig ausgebaut wird, drohen wertvolle Zugverbindungen für den Personenverkehr verloren zu gehen.

Zwar findet schon länger ein Austausch zwischen den Staaten statt und einige Staatsverträge sehen Investitionen in Eisenbahninfrastrukturen zum Wohle der Gesamtachse vor. Doch von einer aufeinander abgestimmten, europäischen Planung sei man noch weit entfernt, sagt Scholl. Flaschenhälse gibt es seiner Meinung nach praktisch auf der gesamten Linie. Der neue Gotthardtunnel zum Beispiel, der voraussichtlich 2017 eröffnet wird, ist vierspurig, die Trassees davor und dahinter sind jedoch nur zweispurig – ein Flaschenhals im Herzstück der Transversale. Genau mit solchen Problemen wird sich Scholl innerhalb von Code 24 beschäftigen. Der Raumplaner will herausfinden, wo auf der Strecke Rotterdam–Genua Potentiale zur Erweiterung des Schienennetzes bestehen und wie diese im Einklang mit angestrebten Siedlungsentwicklungen genutzt werden können. Im Idealfall führt die Arbeit von Scholl und seinen europäischen Kolleginnen und Kollegen zu einem Gesamtkonzept für die langfristige Planung des intereuropäischen Korridors.

Korridor 24: Rotterdam–Genua

Der Containertransport auf der Schiene hat in den letzten 15 Jahren einen starken Aufschwung erlebt, nicht zuletzt wegen den überlasteten Strassen. Die 1200 Kilometer lange Zugverkehrsachse zwischen Rotterdam und Genua verbindet die Wirtschaftsräume der Niederlande, Deutschland, Schweiz und Italien. In Ihrem Einzugsgebiet wohnen 70 Millionen Menschen und auf ihr werden jährlich 700 Millionen Tonnen Waren verschoben; das sind rund 50 Prozent des Nord-Süd-Güterverkehrs auf der Schiene. Die neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT bildet ein Herzstück dieser Achse. Mit der Eröffnung der Transversale am Lötschberg im Jahr 2007 und voraussichtlich 2017 am Gotthard, werden die Kapazitäten für den alpenquerenden Güterverkehr nochmals bedeutend ausgebaut. Experten rechnen mit einem weitern Anstieg des Warenumschlags im Korridor 24. Unter anderem, weil der Hafen Rotterdam als wichtigster Eingangspunkt für Waren aus Übersee in den kommenden 20 Jahren weiter ausgebaut werden soll.

 
Leserkommentare: