Veröffentlicht: 18.05.10
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Alltagsblicke auf Alltagslandschaften

Am Samstag eröffnete das Institut für Landschaftsarchitektur der ETH die Ausstellung «Blicklandschaften». Die Projektleiterin Sabine Wolf erklärt, wie damit der Blick der Bevölkerung für Landschaften geschärft werden soll.

Rebecca Wyss
Projektleiterin Sabine Wolf: «Wir wollen den Blick der Besucher für die Landschaften schärfen.» (Bild: Rebecca Wyss)
Projektleiterin Sabine Wolf: «Wir wollen den Blick der Besucher für die Landschaften schärfen.» (Bild: Rebecca Wyss) (Grossbild)

Unter dem Titel «Blicklandschaften» kann man sich wenig vorstellen. Was sagt er aus?
Seit zehn Jahren arbeiten wir an der Professur für Landschaftsarchitektur von Christophe Girot mit Video in der Landschaftsarchitektur. Dies aus bestimmtem Grund. Die Landschaft schlechthin gibt es für uns nicht. Landschaft entsteht aus dem Blick des Einzelnen heraus. Sie ist ein Ausschnitt aus der Welt. Mit dem Medium Video erschliessen wir uns einen bewussten Blick auf die Landschaft. Deshalb auch «Blicklandschaften».

Auf der Homepage zu «Blicklandschaften» sieht man vorbeirasende Züge, tosende Autobahnen und wuchtige Betonklötze. Das sind triste Aussichten. Ist das der zeitgenössische Blick auf die Landschaft?
Ja. Da werden Orte gezeigt, an denen man auf den ersten Blick gar nicht sein möchte. Doch gehören sie zu unserem Alltag. Letztendlich werfen wir einen Alltagsblick auf Alltagslandschaften. Dadurch erhalten sie Aufmerksamkeit, ihnen wird eine andere Wahrnehmung zuteil und sie erhalten einen Wert. Wenn die Leute heute an Städte denken, haben sie hauptsächlich Innenstädte vor Augen. Diese kleinen, schnuckeligen Gässchen mit Kopfsteinpflaster. Städte wachsen aber immer mehr. Stadt ist nicht mehr nur Stadt mit einem Zentrum. Inzwischen gibt es mehrere Zentren, die für die Menschen, die dort leben bedeutend sind und weit ins Umland hinein reichen. Das ist vielen nicht bewusst, ist aber sehr wichtig, wenn man die Landschaft als Ganzes wahrnehmen will.

Gibt es Kriterien dafür, wie man eine Landschaft "richtig" betrachtet?
Nein. Wenn man bisher als Landschaftsarchitekt an Landschaften heran ging, gab es eine Masse an Analyseinstrumenten wie Vermessung und Kartierung. Gleichwohl habe ich das Gefühl, dass diese an ihre Grenzen stossen, wo neue, urbane Landschaften entstehen, die anders sind, als man sie kennt. Wo weder die Bilder, die wir in den Köpfen haben, noch die Begriffe wie «Allee» oder «Achse», mit denen wir die Landschaft beschreiben, ausreichen, um in Worte zu fassen, was man sieht.

Welches sind solche Orte?
Wenn man in Zürich eine Strasse entlangläuft, stösst man auf ein Gebäude, dann auf einen Briefkasten und danach auf ein Kaffee. Innerhalb einer Stadt haben wir gelernt, uns zu orientieren. In Randbereichen ist dies manchmal nicht mehr der Fall. Wenn man an ein riesengrosses Dienstleistungszentrum herankommt, wo Bäume und ein Parkplatz davor und ein kleines altes Arbeiterhäuschen daneben stehen, fehlt das Vokabular, mit dem so komplexe Bilder der Landschaften wiedergeben werden könnte. Mit Video kann man sich diesen Orten besser nähern, weil man Bewegung und Zusammenhänge festhalten kann. Über das Medium Video erzählt man eine Geschichte und man kann mit Ton arbeiten. Geräusche sind neben den Bildern ganz wichtig, um einen Ort zu charakterisieren. Über Geschichten nimmt der Mensch besser wahr.

Die Ausstellung auf der Polyterrasse zeigt solche Videosequenzen. Wie wissenschaftlich sind aber Videoaufnahmen von Landschaften?
Wir arbeiten in der Ausbildung der Landschaftsarchitekten bei Professor Christophe Girot sehr viel über Videoaufnahmen, weil es als Skizzeninstrument, als Hilfsmittel zur Annäherung an diese Landschaften und als Ergänzung zu den rational-analytischen Methoden dient. Die Architekturstudenten lernen von Haus aus einen stark objektbezogenen Blick. Sie lernen, Häuser als Objekte zu entwerfen. Wir versuchen, dass die Studierenden über die Videoaufnahmen den Raum als Ganzes sehen lernen und nicht mehr nur das einzelne Objekt.

Mit der Ausstellung wollen sie nicht nur Studierende, sondern auch die breite Öffentlichkeit erreichen. Was erwartet die Besucher?
Eine abwechslungsreiche Ausstellung, die auch dazu einlädt, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Zu sehen sind kleine und grosse Transportkisten – eine Anspielung auf die starke Mobilität unserer Landschaften an den Stadträndern. Eine der begehbaren Kisten ist eine Camera obscura. Bespielt wird die ganze Ausstellung mit Tönen aus der Stadt. Mit der Polyterrasse haben wir einen zentralen Ort gewählt, von dem aus man den Blick auf den alten Stadtkern hat. Aus dem Stadtkernblick und den Stadtrandaufnahmen ergibt sich ein Kontrast, der doch keiner ist, weil beides zur Stadt gehört. Wir wollen den Blick der Besucher für die Landschaften schärfen. Uns geht es darum, zu zeigen, dass Kriterien von schön und hässlich gar nicht mehr zutreffen. Das, was ist, soll akzeptiert werden.

Zur Person

Sabine Wolf ist die Projektleiterin von Blicklandschaften. Sie ist Raum- und Umweltplanerin sowie Landschaftsarchitektin BSLA und befasst sich mit der Repräsentation von urbaner Landschaft in Video und Film. Seit 2005 arbeitet sie an der ETH als wissenschaftliche Assistentin und Doktorandin am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur bei Professor Christophe Girot.

Zum Projekt «Blicklandschaften»

In fast zehn Jahren ist am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur ein Portfolio aus Videostudien und Forschungsarbeiten entstanden, die sich den neuen Landschaftsformen vor allem an den Rändern unserer Städte widmen. Mit einer Ausstellung auf der Polyterrasse der ETH Zürich und einer Publikation werden die Ergebnisse aus Lehre und Forschung der Professur erstmals einem breiten Publikum öffentlich vorgestellt. Ergänzt wird das Projekt durch eine wissenschaftliche Tagung. Blicklandschaften wurde im Team entwickelt von Sabine Wolf (Projektleitung, Publikation), Nadine Schütz (Ausstellung), Dr. Fred Truniger (Tagung), Susanne Hofer und Pascal Werner.

Ausstellung:

Samstag, 15. Mai – Freitag, 28. Mai 2010
Ort: Polyterrasse, Zentrum, ETH Zürich
Täglich geöffnet von 10 – 24 Uhr

 
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