Alltagsblicke auf Alltagslandschaften
Am Samstag eröffnete das Institut für Landschaftsarchitektur der ETH die Ausstellung «Blicklandschaften». Die Projektleiterin Sabine Wolf erklärt, wie damit der Blick der Bevölkerung für Landschaften geschärft werden soll.
Unter dem Titel
«Blicklandschaften» kann man sich wenig vorstellen. Was sagt er aus?
Seit zehn Jahren arbeiten wir an der Professur für Landschaftsarchitektur von
Christophe Girot mit Video in der Landschaftsarchitektur. Dies aus bestimmtem
Grund. Die Landschaft schlechthin gibt es für uns nicht. Landschaft entsteht
aus dem Blick des Einzelnen heraus. Sie ist ein Ausschnitt aus der Welt. Mit
dem Medium Video erschliessen wir uns einen bewussten Blick auf die Landschaft.
Deshalb auch «Blicklandschaften».
Auf der Homepage zu «Blicklandschaften» sieht man vorbeirasende Züge, tosende Autobahnen und wuchtige Betonklötze. Das
sind triste Aussichten. Ist das der zeitgenössische Blick auf die Landschaft?
Ja.
Da werden Orte gezeigt, an denen man auf den ersten Blick gar nicht sein möchte.
Doch gehören sie zu unserem Alltag. Letztendlich werfen wir einen Alltagsblick
auf Alltagslandschaften. Dadurch erhalten sie Aufmerksamkeit, ihnen wird eine
andere Wahrnehmung zuteil und sie erhalten einen Wert. Wenn die Leute heute an
Städte denken, haben sie hauptsächlich Innenstädte vor Augen. Diese kleinen,
schnuckeligen Gässchen mit Kopfsteinpflaster. Städte wachsen aber immer mehr.
Stadt ist nicht mehr nur Stadt mit einem Zentrum. Inzwischen gibt es mehrere
Zentren, die für die Menschen, die dort leben bedeutend sind und weit ins
Umland hinein reichen. Das ist vielen nicht bewusst, ist aber sehr wichtig, wenn
man die Landschaft als Ganzes wahrnehmen will.
Gibt es Kriterien dafür, wie man eine
Landschaft "richtig" betrachtet?
Nein.
Wenn man bisher als Landschaftsarchitekt an Landschaften heran ging, gab es
eine Masse an Analyseinstrumenten wie Vermessung und Kartierung. Gleichwohl
habe ich das Gefühl, dass diese an ihre Grenzen stossen, wo neue, urbane Landschaften
entstehen, die anders sind, als man sie kennt. Wo weder die Bilder, die wir in
den Köpfen haben, noch die Begriffe wie «Allee» oder «Achse», mit denen wir die
Landschaft beschreiben, ausreichen, um in Worte zu fassen, was man sieht.
Welches sind solche Orte?
Wenn
man in Zürich eine Strasse entlangläuft, stösst man auf ein Gebäude, dann auf
einen Briefkasten und danach auf ein Kaffee. Innerhalb einer Stadt haben wir
gelernt, uns zu orientieren. In Randbereichen ist dies manchmal nicht mehr der
Fall. Wenn man an ein riesengrosses Dienstleistungszentrum herankommt, wo Bäume
und ein Parkplatz davor und ein kleines altes Arbeiterhäuschen daneben stehen, fehlt
das Vokabular, mit dem so komplexe Bilder der Landschaften wiedergeben werden
könnte. Mit Video kann man sich diesen Orten besser nähern, weil man Bewegung
und Zusammenhänge festhalten kann. Über das Medium Video erzählt man eine Geschichte
und man kann mit Ton arbeiten. Geräusche sind neben den Bildern ganz wichtig,
um einen Ort zu charakterisieren. Über Geschichten nimmt der Mensch besser
wahr.
Die Ausstellung auf der Polyterrasse
zeigt solche Videosequenzen. Wie wissenschaftlich sind aber Videoaufnahmen von
Landschaften?
Wir
arbeiten in der Ausbildung der Landschaftsarchitekten bei Professor Christophe
Girot sehr viel über Videoaufnahmen, weil es als Skizzeninstrument, als
Hilfsmittel zur Annäherung an diese Landschaften und als Ergänzung zu den rational-analytischen
Methoden dient. Die Architekturstudenten lernen von Haus aus einen stark
objektbezogenen Blick. Sie lernen, Häuser als Objekte zu entwerfen. Wir versuchen,
dass die Studierenden über die Videoaufnahmen den Raum als Ganzes sehen lernen
und nicht mehr nur das einzelne Objekt.
Mit der Ausstellung wollen sie nicht
nur Studierende, sondern auch die breite Öffentlichkeit erreichen. Was erwartet
die Besucher?
Eine abwechslungsreiche
Ausstellung, die auch dazu einlädt, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen. Zu
sehen sind kleine und grosse Transportkisten – eine Anspielung auf die starke
Mobilität unserer Landschaften an den Stadträndern. Eine der begehbaren Kisten
ist eine Camera obscura. Bespielt wird die ganze Ausstellung mit Tönen aus der
Stadt. Mit der Polyterrasse haben wir einen zentralen Ort gewählt, von dem aus
man den Blick auf den alten Stadtkern hat. Aus dem Stadtkernblick und den
Stadtrandaufnahmen ergibt sich ein Kontrast, der doch keiner ist, weil beides
zur Stadt gehört. Wir wollen den Blick der Besucher für die Landschaften
schärfen. Uns geht es darum, zu zeigen, dass Kriterien von schön und hässlich
gar nicht mehr zutreffen. Das, was ist, soll akzeptiert werden.
Zur Person
Sabine Wolf ist die Projektleiterin von Blicklandschaften. Sie ist Raum- und Umweltplanerin sowie Landschaftsarchitektin BSLA und befasst sich mit der Repräsentation von urbaner Landschaft in Video und Film. Seit 2005 arbeitet sie an der ETH als wissenschaftliche Assistentin und Doktorandin am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur bei Professor Christophe Girot.
Zum Projekt «Blicklandschaften»
In
fast zehn Jahren ist am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur ein Portfolio aus
Videostudien und Forschungsarbeiten entstanden, die sich den neuen Landschaftsformen
vor allem an den Rändern unserer Städte widmen. Mit einer Ausstellung auf
der Polyterrasse der ETH Zürich und einer Publikation werden die Ergebnisse aus
Lehre und Forschung der Professur erstmals einem breiten Publikum öffentlich vorgestellt.
Ergänzt wird das Projekt durch eine wissenschaftliche Tagung. Blicklandschaften
wurde im Team entwickelt von Sabine Wolf (Projektleitung, Publikation), Nadine
Schütz (Ausstellung), Dr. Fred Truniger (Tagung), Susanne Hofer und Pascal
Werner.
Ausstellung:
Samstag, 15. Mai – Freitag, 28. Mai
2010
Ort: Polyterrasse, Zentrum, ETH Zürich
Täglich geöffnet von 10 – 24 Uhr
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