Veröffentlicht: 07.05.10
Science

«Null Risiko wird es nie geben»

Der Unfall auf der Ölförder-Plattform «Deepwater Horizon» im Golf von Mexiko hat der Menschheit drastisch vor Augen geführt, welche Risiken mit der Erdölförderung im Meer verbunden sind. Laut Michael Faber, Leiter der Professur für Risiko und Sicherheit, ist ein solches Unglück auch mit dem fortschrittlichsten Risikomanagement nicht auszuschliessen.

Samuel Schläfli
Die Katastrophe nimmt ihren Anfang: Die Ölförder-Plattform «Deepwater Horizon» ist explodiert und steht in Flammen. (Bild: U.S. Coast Guard)
Die Katastrophe nimmt ihren Anfang: Die Ölförder-Plattform «Deepwater Horizon» ist explodiert und steht in Flammen. (Bild: U.S. Coast Guard) (Grossbild)

Herr Faber, Sie waren selber schon als Berater für das Risikomanagement auf Ölförder-Plattformen im Golf von Mexiko tätig? Wurde das Risiko im Fall von «Deepwater Horizon» unterschätzt?
Der Fakt, dass bei «Deepwater Horizon» etwas schief lief, bedeutet nicht, dass die Risiken mangelhaft beurteilt wurden. Die Öl- und Gasförderindustrie hat eine enorme Erfahrung im Umgang mit Risiken und eine der grössten Expertisen in diesem Gebiet überhaupt. Risikomanagement versucht die wichtigsten möglichen Szenarios zu erfassen und diese zu kontrollieren. Je mehr wir die Grenzen des Machbaren ausloten, wie zum Beispiel bei der Ölförderung tief im Meer, desto weniger Erfahrungswerte haben wir. Risikomanagement soll helfen, damit verbundene Risiken zu kontrollieren. Ein Nullrisiko wird es aber trotzdem nie geben. Selbst sehr fundierte Entscheidungen können aufgrund von Unsicherheiten zu schlechten Ergebnissen führen.

Man vermutet dass ein «Blow-out», also ein unkontrollierter Austritt von Erdöl in rund 1500 Meter Tiefe unter Wasser, zur Katastrophe geführt hat. Inwiefern ist ein solches Szenario Bestandteil des Risikomanagements?
Während der Planung und dem Betrieb von Ölförder-Plattformen sind Blow-outs eine der grössten Sorgen. Aber es ist sowohl theoretisch wie praktisch unmöglich, alle möglichen Zwischenfälle, die zu Blow-outs führen könnten, zu berücksichtigen. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Erdölförderung im Meer starken Unsicherheiten durch Naturereignisse, aber auch durch Entscheidungen des Menschen ausgesetzt ist. Solche Projekte sind mit Risiken verbunden; schliesslich ist es nicht das erste Mal, dass es bei der Ölförderung zu einem Blow-out kommt.

Sicherheitssysteme, die ein Blow-out verhindern und das Bohrloch automatisch schliessen sollten, sogenannte Blow-out-Preventer, funktionierten im Fall von «Deepwater Horizon» nicht. Wie hoch ist dieses Risiko?
Wir wissen im Moment noch nicht genau, was bei «Deepwater Horizon» wirklich passierte; aber die Erfahrung zeigt, dass solche Sicherheitssysteme versagen können, weil getroffene Annahmen während der Planung bei einem Zwischenfall nicht zutreffen.

Inwiefern hätte das Risiko durch zusätzliche Sicherheitssysteme für eine Aktivierung des Blow-out-Preventers reduziert werden können?
Damit können Risiken nicht zwingend geschmälert werden. Besonders, wenn solche Systeme in starker Abhängigkeit zu den bereits bestehenden Sicherheitsbarrieren stehen.

Werden ökologische Risiken im Gegensatz zu ökonomischen Risiken bei solchen Plattformen genügend stark gewichtet?
Das würde ich behaupten, ja. Die grosse öffentliche Wahrnehmung von vergangenen Umweltschäden hat der Erdölindustrie enorme Verluste zugeführt. Insofern ist die Industrie, abgesehen von einem erstarkten Umweltbewusstsein, stark daran interessiert, das Risiko von Umweltschäden und Reputationsschäden so gering wie möglich zu halten.

Was bedeutet die jetzige Katastrophe für alle anderen Bohrplattformen, die im Meer Erdöl fördern?
Für die grosse Mehrheit der existierenden Öl- und Gasförderplattformen wird das aktuelle Ereignis keine grossen Auswirkungen haben. Natürlich werden aber zukünftige Aktivitäten von den Erkenntnissen darüber profitieren, wie es zum Unfall auf der «Deepwater Horizon» gekommen ist. Das Unglück hat aber sicher einen öffentlichen Vertrauensverlust in die Tiefseebohrung zur Folge. Darum sollte der Dialog zwischen Industrie und Öffentlichkeit darüber, wie mit solchen Risiken umgegangen wird und weshalb ein solches Ereignis trotz allen Anstrengungen geschehen konnte, unbedingt gefördert werden.

Michael Havbro Faber ist Professor am Institut für Baustatik und Konstruktion an der ETH Zürich, wo er Lehrveranstaltungen im Bereich von Risiko und Sicherheit betreut. In seiner Forschung spielen Entscheidungstheoretische Ansätze nach Bayes zur Risiko- und Zuverlässigkeitsanalyse eine zentrale Rolle. Zwischen 1993 und 1998 war er im Ausschuss der European Safety and Reliability Association (ESRA) tätig, wo er zurzeit in der Arbeitsgruppe zur Offshore-Sicherheit aktiv ist. Er ist Mitglied im ISO Committee on Assessment of Existing Structures, dem ASCE Committee on Structural Safety und der internationalen Vereinigung CERRA (Civil Engineering Reliability and Risk Analysis).