Veröffentlicht: 30.04.10
Campus

Schwimmbad als Spiegel der Gesellschaft

Einen Ort in die Region einzubinden – das war 1967 die Vision dreier junger Architekten, als sie das Freibad in Bellinzona entwarfen. Dies und mehr erfuhren die Besucher der Eröffnung der Ausstellung «Il Bagno di Bellinzona» im ETH Hauptgebäude.

Rebecca Wyss
Der Tessiner Stararchitekt Mario Botta (l.) an der Vernissage der neuen gta-Ausstellung. (Bild: Tanya Hasler)
Der Tessiner Stararchitekt Mario Botta (l.) an der Vernissage der neuen gta-Ausstellung. (Bild: Tanya Hasler) (Grossbild)

Sie waren jung, lebenshungrig und schaffensdurstig als sich ihr architektonischer Entwurf des Freibads in Bellinzona 1967 in einem öffentlichen Wettbewerb durchsetzte. Vielleicht aber auch etwas übermütig, wie das Publikum am Donnerstagabend von Flora Ruchat-Roncati, Aurelio Galfetti und Ivo Trümpy erfahren hat. Die drei Architekten liessen im ETH-Hauptgebäude im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung «Il Bagno di Bellinzona di Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati, Ivo Trümpy» des ETH-Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) die alten Zeiten wieder aufleben.

Von Le Corbusier inspiriert

Die Stimmung war gelassen. Man lachte, erzählte Anekdoten und klopfte sich hin und wieder auf die Schultern. Rasch war klar: Da trafen sich alte Freunde. Als Freunde arbeiteten sie auch zusammen, erinnert sich Ruchat-Roncati: «Wir lebten und arbeiteten fast wie in einer Kommune.» Man kannte sich schon lange und hatte bereits einige kleine Bauten zusammen erarbeitet. Doch nichts war vergleichbar mit dem Entwurf für das Tessiner Bad. Das Projekt sei eigentlich eine Nummer zu gross gewesen, wie die heute über Siebzigjährige beteuert. Sie waren 30 Jahre alt, als sie den Bau entwarfen. Die Erfahrung mit Architektur in solchen Dimensionen fehlte bis dahin. Umso mehr lernten sie in dieser Zeit dazu. «Wir glaubten an uns und unsere Ideen und wuchsen so an unserer Aufgabe», sagt die ehemalige ETH-Professorin.

«Der Bau ist sehr bedeutend», sagt Stararchitekt Mario Botta, der ebenfalls an der Vernissage teilnahm. Als Wahrzeichen der «Territorialen Architektur» wurde das «Bagno di Bellinzona» in der ganzen Welt bekannt. Es sei mehr als funktional, es sei ein bedeutendes Beispiel dafür, wie man einen Ort in eine ganze Region einbinden könne, fand Botta. Für diesen Umstand stand ein bedeutender Architekt und Stadtplaner Pate: Le Corbusier. Dessen Vision, bei einem Bau mit den Ressourcen an Ort und Stelle auszukommen und die Topografie mit den Formen des Werkes zu harmonisieren, beeinflusste die drei Jungarchitekten. Obwohl keiner der drei direkt mit dem grossen Architekten Kontakt hatte, steht für Ruchat-Roncati fest: «Er war der Sockel unserer Entwicklung als Architekten.»

Widerstand überwinden

Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre war eine Zeit des Aufbruchs. Eine Zeit der sich wandelnden Werte. Das war auch in Bellinzona zu spüren. Der Entwurf der drei begeisterte und eckte zugleich an. Und wurde damit zum Spiegel der Gesellschaft. Nachdem der Gemeinderat das Projekt bewilligt hatte, wurde das Referendum ergriffen. Der Grund: Die Passerelle. Sie ist das zentrale Element des Bades, verbindet die Stadt mit dem Fluss, bietet aber auch Aussicht auf die ganze Schwimmebene. Und das war der Knackpunkt, wie Ruchat-Roncati weiss: «Für manche war es eine Schande, dass man als gewöhnlicher Fussgänger den halbnackten Leuten beim Baden zuschauen kann.» Trotz Misstönen sprach sich das Volk an der Urne für das Projekt aus.

Solche und andere Anekdoten sind nun Gegenstand der Ausstellung in der Haupthalle des ETH-Hauptgebäudes. Das Projekt ist Teil einer Ausstellungsreihe der Accademia di Architettura und des Archivio del Moderno in Mendrisio. Durch Baupläne, Bilder und Texte erhält der Besucher einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Baus, des damaligen öffentlichen Wettbewerbs, der Umsetzung der technischen Details sowie des gesellschaftlichen Kontexts. Wem das noch nicht reicht, um sich das Objekt in natura vorstellen zu können, ist mit dem ausgestellten Holzmodell, das einen Überblick über die ganze Anlage bietet, gut bedient. Daneben zeigt eine fotografische Dokumentation von Enrico Cano den aktuellen Zustand des Bauwerkes. Und der gibt den drei Architekten zu denken.

Renovation lässt auf sich warten

Das Bad ist seit langem renovierungsbedürftig. Getan wurde bislang nichts. Das will Ruchat-Roncati nicht hinnehmen. Sie fordert eine Renovation durch kompetente Hand. Selber projektieren will sie nicht mehr. Doch unterstützend zur Seite stehen würde sie gerne, wenn das Bauwerk damit gerettet werden kann. Andernfalls sieht sie keine Chance: «Wenn nichts getan wird, war die Eröffnungsfeier eine Totenfeier.»

Ausstellung und Buchverlosung

Zur Ausstellung «Il Bagno di Bellinzona di Aurelio Galfetti, Flora Ruchat-Roncati, Ivo Trümpy» ist im Verlag Medrisio Academy Press eine gleichnamige italienische Publikation erschienen. ETH Life verlost zwei Exemplare des Buches. Bitte senden Sie bis zum 7. Mai eine E-Mail mit dem Betreff «Bagno» an ethlife@hk.ethz.ch

Ausstellung

30. April 2010 bis 20. Mai 201,  Haupthalle, Zentrum, ETH Zürich; geöffnet Mo.-Fr., 08.00-21.00 Uhr, Sa. 08.00-16.00 Uhr, So. und Feiertage geschlossen.

 
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