Veröffentlicht: 27.04.10
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Bibel und Wissenschaft: zwei Mittel, um Gott zu erkennen

«Fremde Wissenschaften» nannten jüdische Gelehrte alles, was nicht von den autoritären Schriften des Judentums ausging. Bis der jüdische Arzt und Philosoph Maimonides ihr Denken revolutionierte. Gastprofessor Gad Freudenthal zeigt ab Mai in seiner Vorlesung, wie es zum Paradigmenwechsel kam, der in unserem Denken bis heute nachwirkt.

Julia Guran
Gad Freudenthal eröffnet die Gastprofessur «Wissenschaft und Judentum» an der ETH.  (Bild: Julia Guran / ETH Zürich)
Gad Freudenthal eröffnet die Gastprofessur «Wissenschaft und Judentum» an der ETH. (Bild: Julia Guran / ETH Zürich)

Wer beschreibt die Entstehung der Welt richtig – die Bibel und der Talmud oder die Wissenschaft? Der Konflikt zwischen religiös und rationalistisch geprägter Weltanschauungen ist nicht neu: «Diese Positionen bildeten sich schon im Mittelalter», sagt Gad Freudenthal, der ab Mai als erster Gastdozent für die Professur «Wissenschaft und Judentum» an der ETH Zürich referieren wird. Unter dem Titel «Die monotheistischen Religionen und die Wissenschaft – wer hat die Autorität?» wird er am Beispiel des Judentums erläutern, wie jüdische Gelehrte danach strebten, die gegensätzlich erscheinenden Positionen in Einklang zu bringen.

Der Reiz der «fremden Wissenschaften»

Lange hätten Bibel und Talmud als einzige Autorität gegolten, erklärt Freudenthal. Doch konnten sich jüdische Gelehrte dem Reiz der Vernunft, oder den «fremden Wissenschaften», wie sie es nannten, nicht entziehen. Jüdische Übersetzer, allen voran die Dynastie der Tibboniden, übertrugen im 12. und 13. Jh. Werke aus dem Gebiet der Philosophie und der verschiedenen Wissenschaften vom Arabischen ins Hebräische und machten sie so den jüdischen Gelehrten in Europa zugänglich.

Gersonides bringt Religion und Wissenschaft in Einklang

Die rationale Denkweise und insbesondere Aristoteles’ Ansätze stiessen zunächst auf Ablehnung. Erst Maimonides und seinen Nachfolgern, etwa Gersonides im 14. Jahrhundert, gelang es, Religion und Wissenschaft in Einklang zu bringen. Laut den beiden Philosophen ergänzen sich die beiden Lehrmeinungen. «Um die religiösen Texte richtig zu verstehen, bedarf es der wissenschaftlichen Erkenntnis. Sie ist ebenso wie die Bibel ein Mittel, um Gott zu erkennen», beschreibt Freudenthal Gersonides’ Geisteshaltung.

Spezialist für die Rezeption der Wissenschaft im Judentum

Gad Freudenthal wurde 1944 in Jerusalem geboren und verbrachte seine Jugend in Israel. Er studierte Mathematik, Physik und Philosophie in Jerusalem, Berlin und Paris. Anfang der siebziger Jahre zog er nach Paris. Heute ist er emeritierter «Directeur de Recherche» am «Centre national de la recherche scientifique».

Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Rezeption der Wissenschaft in jüdischen Kulturen. Dieses Jahr wird Freudenthal einen Sammelband mit dem Titel «Science in Medieval Jewish Cultures» herausgeben, der zeigt, wie die Wissenschaften in verschiedenen Kulturen und Epochen des Judentums aufgenommen wurden.

Vorlesungen von Gad Freudenthal:

Mo 3.5. 16-19 Uhr (LFW E 11)
Mo 10.5. 16-19 Uhr (LFW E 11)
Mo 17.5. 16-19 Uhr (LFW E 11)
Fr 21.5. 10-13 Uhr (HG F 26.1)